Raum geben für Veränderung

Susanna Koeberle
28. febrero 2020
Die Zürcher Architektin mit Schülerinnen der Frauenschule für häusliche Arbeit, um 1940 (Foto: gta Archiv / ETH Zürich, Lux Guyer)

Zunächst ein Blick zurück: Die Ausstellung «Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architektenberuf» im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main gab zu reden. Was primär gut sein sollte. In einer Kritik (ein Missverständnis: Kritik muss nicht per se negativ gemeint sein) der NZZ war damals auch von «Frauenghetto» und «Trauerspiel» die Rede. Das wurde von den Macherinnen der Ausstellung nicht goutiert. Noch mehr Aufruhr gab es dann, als die Journalistin für die brillant geschriebene und inhaltlich gar nicht so vernichtende Ausstellungsbesprechung einen namhaften Preis erhielt. Ein trauriges Kapitel eigentlich. Die ganze Angelegenheit ist – oder müsste zumindest – nebensächlich sein, ist es aber im konkreten Fall nicht. Denn diese Geschichte macht deutlich, dass man sich mit dem Thema Frauen in der Architektur auf einem Minenfeld bewegt. Doch müsste eine Ausstellung, die sich diesem hochaktuellen Gegenstand widmet, nicht vielmehr als Nährboden genutzt werden für einen dringend notwendigen Diskurs? Für einen Diskurs, in dem es weniger um gekränkte Egos als um die «Sache» selbst geht? Denn diese ist schon kompliziert genug. 

Die Frage ist berechtigt, ob uns eine Sonderbehandlung des Themas weiter bringt. Eine Ausstellung über Frauen kann ja auch eine Setzung sein, die man nicht explizit benennt. Die Verstrickungen von Gender und Inhalt wurden auch anlässlich des von «Le Foyer: In Process» mitorganisierten Gesprächs im Vorfeld der Eröffnung im Zentrum Architektur Zürich (ZAZ) diskutiert. Dialog ist sicher der richtige Weg, um Fragen zu stellen und vor allem: um Lösungen voranzutreiben. 

Die Schweizer Architektin Lisbeth Sachs (1914–2002) legte ihr Diplom 1939 an der ETH ab. (Foto: Alexander Barbey, Zürcher Hochschule der Künste / Archiv)

Nun aber zur Ausstellung: Im Vergleich zur Präsentation in Frankfurt am Main hat die Schau im ehemaligen Museum Bellerive deutlich mehr Platz bekommen. Das war auch der Zürcher Kuratorin Evelyn Steiner wichtig, denn Raum schafft nicht nur Übersicht, sondern betont auch im übertragenen Sinne die Berechtigung und Aktualität der Schau. Marginalisiert werden Frauen im Beruf nämlich schon genug – nicht nur in der Architektur. Auch diese Frage wurde im Gespräch zwischen Gabrielle Schaad und Evelyn Steiner erörtert. Dass wir in der Ausstellung so viel Biographisches über diese Protagonistinnen erfahren, ist spannend, weil dies Teil der Realität und des Problems ist. Es ist müssig über weibliche Architektur zu sprechen (gibt es das überhaupt?). Das ist eine Form der Segregation, die Unterschiede auf einer Ebene zementiert, die gerade nicht produktiv ist. Dennoch: Die Biographie einer Frau ist, aufgrund der immensen Anforderungen (etwa die Doppelbelastung als Mutter und Berufstätige), welche die Gesellschaft an uns stellt, eben anders als die eines Mannes. Wir dürfen da nicht wegschauen. 

In Zürich werden keine Originale, sondern Reproduktionen der Dokumente aus dem DAM gezeigt, das ist ein Wermutstropfen. Dafür wurde die Ausstellung für das Schweizer Publikum sinnigerweise mit lokalen Beiträgen ergänzt. Zum einen mit historischen Referenzen: An einer grossen Wand werden 31 Schweizer Pionierinnen der Architektur gezeigt, von denen die meisten nur Insider*innen bekannt sein dürften, auch wenn diese Architektinnen durchaus auch wichtige Bauten entworfen haben. Fotografisches Material zu finden für die Ausstellung, erwies sich bei der Recherche als schwierig. Das ist symptomatisch, wird doch die Architekturgeschichtsschreibung mehrheitlich von Männern über Männer gemacht. 

Lisbeth Sachs, Kurtheater Baden (Foto: Roland Tännler)

Die massive Untervertretung von Frauen widerspiegelt sich auch in den Wikipedia-Einträgen, wie auch an der Eröffnung betont wurde. Für Historiker*innen gibt es also noch viel Arbeit. Zusätzlich haben die Kuratorinnen ein «SAFFA»-Zimmer eingerichtet, welche die Bedeutung der beiden «SAFFA»-Ausgaben (Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit) aufzeigen soll. Insbesondere die zweite «SAFFA» von 1958 mit dem Titel «Die Schweizerfrau, ihr Leben, ihre Arbeit» bot für viele Architektinnen eine einmalige Gelegenheit, gestalterisch mitzuwirken und sich aktiv als Architektin einzubringen. Dieser Teil wurde in Zusammenarbeit mit der Kunsthistorikerin Eliana Perotti kuratiert. 

Im oberen Stockwerk schaffen mehrere Videos mit Interviews eine Brücke in die Gegenwart. Hier lohnt es sich, gut zuzuhören. Erstaunt stellte man fest, wie dezidiert und fast unbekümmert eine ältere Generation von Baukünstlerinnen mit dem Thema Gender umgeht. Der Kampf scheint quasi verinnerlicht worden zu sein. Eine Plattform bekommen zum Glück auch ganz junge Vertreterinnen des Berufsstandes. Das ist wichtig, denn wir leben in einer Zeit des Wandels, gerade, was die Arbeitswelt betrifft. Das kann auch eine Chance sein, neue Formen der Zusammenarbeit zu etablieren. Die Filminstallation «Her Stories 20’» von Anouk Schepens, Janina Zollinger und Cristina Bellucci führt auf eindrückliche Art vor, wie Stereotypen die Architekturbranche auch im Alltag bestimmen. Die drei Architektinnen sammeln laufend neue Beiträge. In der Schau erhalten junge Schweizer Architektinnen jeweils für zwei bis drei Wochen eine «Carte Blanche», um ihr Büro und ihre Projekte erstmals einem grösseren Publikum vorzustellen. 

Die unterschiedlichen Ansätze liefern auch verschiedene Möglichkeiten, die Ausstellung zu besuchen und zu lesen. Diese Mehrstimmigkeit ist eine kuratorische Herausforderung, die in Zürich stimmig bewältigt wurde. Grafische Elemente wie eine Timeline entlang der Treppe dokumentieren wichtige Ereignisse in der Geschichte der Schweizer Architektinnen. Visualisierungen sind eine effiziente Form, die Synapsen der Besucher*innen anzuregen. Der Menschenauflauf an der Vernissage beweist, dass das Thema viele Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts interessiert. Veränderungen können nur stattfinden, wenn viele das wollen; und immer wieder. Das menschliche Gehirn ist eben einfach strukturiert, Entwicklungen zu konsolidieren braucht Zeit und Geduld. 

Die «SAFFA» von 1958 (Foto: Schweizerisches Sozialarchiv)

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