Low-Tech dank Synergien und Spielräumen
Sabine von Fischer
17. noviembre 2017
Haus Rauch. Bild: © Lehm Ton Erde Baukunst GmbH
Architekten und Gebäudetechniker luden am 9. November zur gemeinsamen Tagung «Low-Tech | No-Tech» nach Brugg ein.
Der Feind des Low-Tech ist womöglich nicht das High-Tech, sondern das Mid-Tech der gängigen Praxis. Dies ist nur einer der vielen Nachgedanken zur Fachtagung «Low-Tech | No-Tech», zu dem die SIA-Berufsgruppen Architektur (BGA) und Technik (BGT) gemeinsam einluden. Die Aula in Fritz und Bruno Hallers Pavillon neben dem Kloster Königsfelden war bis auf den letzten der 300 Plätze ausgebucht.
«Früher war ich ein gerngesehener Gast im Architekturbüro, heute nicht mehr», begrüsste Jobst Willers, Präsident der SIA-Berufsgruppe Technik den vollen Saal. Michael Schmid, Präsident der SIA-Berufsgruppe Architektur, setzte fort, dass heute beide Disziplinen gleichberechtigt anwesend seien. Der Programmablauf machte dann auch vor, wie im Dialog Synergien und Spielräume ausgelotet werden können. «Geht es auch mit weniger Technik?» war die Leitfrage, die mit Statements und Lösungsstrategien beleuchtet wurde.
Die Formel «Lowtech = Komplexer in der Planung, einfacher im Unterhalt», wie Inge Beckel neulich an dieser Stelle eine Berner Tagung zum problematischen Verhältnis von Technik und Gebäudeautomation im nachhaltigen Bauen auf den Punkt brachte, deckt bereits einige der in Brugg diskutierten Punkte ab, aber längst nicht alle. Die steigenden Ansprüche bei abnehmender Fehlertoleranz verlangen viel Flughöhe, welche die elf Referierenden in Brugg auch erreichten und so den Horizont über dem nebligen Begriff des Low-Tech aufmachten.
Vom Windauge zur klimatisierten Behaglichkeit
Dass «wind-ow» (auch: Norwegisch «vindauga») eigentlich «Wind-Auge» heisst, war nicht das einzige Highlight im Vortrag des Architektur- und Konstruktionshistorikers Christoph Wieser. Die Funktion des Fensters hat sich mehrfach gewandelt, und Wärme, Wasser, Licht und Luft sind in heutigen Gebäuden meist elektrisch unterstützt, weshalb Wiesers Rückbesinnung auf historische Vorläufer zur erwünschten Erweiterung des Horizonts viel beitrug.
Adrian Altenburger, Präsident Zentralkommission für Normen SIA und Institutsleiter der HSLU, erzählte von den Mühen, seinem Credo «so viel Technik wie nötig, so wenig wie möglich» gerecht zu werden. «Eleganz ist gemeisterte Verschwendung», zitierte Altenburger den deutschen Politiker und Industriellen Walter Rathenau – dies liess sich vor Energiegesetz, Brandschutzvorschriften und verschärften Normen allerdings einfacher sagen. Altenburgers Ausblick zielte auf Fachkompetenz, gute Zusammenarbeit und auf ein Honorarmodell, das einen kleineren Aufwand belohnen würde.
Kantonsbaumeister Werner Binotto wurde in Rahel Hartmann-Schweizers umsichtiger Moderation mit seinem Credo eingeführt, dass Bauten 100 Jahre überdauern und keine Maschinen, sondern ein einziges Chaos aus Drinnen und Draussen sein sollen. Sein Beitrag zum ersten Teil der Tagung zielte mit grösserem Geschoss auf die wachsenden Komfortansprüche: «Behaglich: das Wort habe ich übrigens gestrichen. Gemütlich müssen die Leute selber sein». Im Betrieb der in den letzten Jahren grossen Minergie-Bauten im Kanton St. Gallen wurde der Energiebedarf erfolgreich tiefst gehalten, fast wichtiger aber: es wurden Erfahrungen im Betrieb gesammelt. Ganz anders als selbstfahrende Autos werden Gebäude immer ein hochqualifiziertes Monitoring brauchen, nicht zuletzt für die 30% ungeklärten Stromverbrauch für Handbatterien und andere Gadgets. Low-Tech, so schloss Binotto, bediene den Markt der Intuition und Inspiration, denn es folge Zielen und nicht Normen.
Vier Low-Tech-Strategien: Struktur, Material, Gesamtsystem, Suffizienz
Die vier Flagschiffe nachhaltiger Architektur und Gebäudetechnik im zweiten Teil wurden jeweils im Team von Architekt/-in und Fachplaner präsentiert: Sabrina Contratto (Baumschlager Eberle) und Peter Widerin (T.A.U.) zeigten das Bürogebäude 2226, das über die Struktur des Baus allein den Komfortbereich von 22 bis 26 Grad erzeugt; Roger Boltshauser (Boltshauser Architekten) und Martin Rauch sprachen über das Haus Rauch und andere Lehmbauten, wie sie aus dem Boden kämen und einstmal, in über 100 Jahren, spurlos wieder dort verschwinden; Michael Fischer (Herzog & de Meuron) und Tobias Fiedler (Transsolar) zeigten am Kräuterzentrum der Ricola, wie das Klima durch die Lehmwände selbstreguliert werden sollte, dann allerdings eine Notheizung und -kühlung über Produktionsabwärme und (bisher nicht installierte) PV-Paneele beschlossen wurde. Jens Studer (Schneider Studer Primas Architekten) eröffnete die vierte Beispielpräsentation charmant damit, dass er nun auf Einladung des grössten Schweizer Normenschaffers ein Projekt zeige, dass sich an vielen dieser Normen reibt. Dass ein Gebäude wie das Schulhaus Wallrüti ohne technische Installationen in der Planung nichtsdestotrotz einen grossen Aufwand bedeutet, zeigte Marco Waldhauser (Waldhauser + Hermann) und wiederholte die von Adrian Altenburger thematisierte Idee, dass Honorare für intellektuelle Leistung und nicht abhängig von der Bausumme bestimmt werden sollten.
22 bis 26 Grad ist sicher gut – wer bietet mehr?
Struktur, Material, Gesamtsystem, Suffizienz: Die vier Strategien der präsentierten Bauprojekte wurden auf dem Abschlusspodium mitunter skeptisch reflektiert. Christoph Wiesers einleitende These einer Entwicklung «vom Verzicht aus Mangel zum Verzicht aus Überzeugung» lieferte Stoff für Kritik am Suffizienzgedanken; Verzicht als Mehrwert zu definieren war keinem der Redner gelungen, vielmehr wehrten sich einige gegen ein unüberlegtes Wegsparen. Statt weniger, lieber mehr: Zum Beispiel mehr Spielräume für Spitzentage und -temperaturen, womit die Kosten und der Energieverbrauch massgeblich gesenkt werden könnten. Die viel kritisierte Normung, so der Präsident der Zentralkommission für Normung des SIA, definiere sehr wohl Toleranzen. In den Augen des St. Galler Kantonsbaumeisters Werner Binotto allerdings nicht genug: Schmunzelnd kommentierte er: «2226 ist sicher gut, wir aber bieten «18–32»! Beim Apéro im Hallerschen Lichthof hallte das Plädoyer für Mut zum Chaos und fürs Denken in Toleranzen noch nach.