Im Hain
Elias Baumgarten
5. julio 2019
Foto © Abdallah Abada
Marks Barfield Architects aus London haben die neue Moschee von Cambridge gestaltet. Der Bau verfügt über 30 ornamentale Baumstützen aus Holz, deren Äste ein tragendes Gewölbe bilden. Das Knowhow für die Umsetzung des ambitionierten Projekts stammt aus der Schweiz.
Die neue Grossmoschee an der Mill Road im britischen Cambridge soll als Ort der Kontemplation an einen Baumhain erinnern. Die Gläubigen und Besucher sollen sich wie in einer Oase fühlen. Gestaltet hat den imposanten Bau das Londoner Büro Marks Barfield Architects, das einst für das London Eye verantwortlich zeichnete. Man betritt die Moschee über eine Gartenanlage. Von dieser gelangt man durch einen Portikus in ein halböffentliches Atrium mit Café, bevor der Weg schliesslich in den Gebetsraum führt. Um die Atmosphäre eines Hains zu erzeugen, wird das Dachtragwerk aus 30 hölzernen, freigeformten Baumstützen gebildet. Deren Äste verflechten sich zu einem tragenden Gewölbe. Die Stützen greifen dabei mit ihren Formen islamische Ornamentik auf. Bei der Gestaltung arbeiteten die Architekt*innen mit Keith Critchlow zusammen, einem Experten auf dem Gebiet der Sakralarchitektur und der islamischen Geometrie. Die komplexen Formen zu verwirklichen, war eine grosse Herausforderung. Zehn Jahre lagen zwischen dem Wettbewerbsgewinn 2009 und der Fertigstellung. Das nötige Knowhow kam aus der Schweiz: Der Holzbauer Blumer-Lehmann aus Gossau, das Ingenieurbüro SJB Kempter Fitze aus Eschenbach und die Zürcher Design-to-Production GmbH (D2P) konstruierten, planten und bauten die Moschee in enger Zusammenarbeit mit den Architekt*innen von Marks Barfield. Das Projekt ist auch eine Leistungsschau. Es demonstrierte die gestalterischen Möglichkeiten, welche digitale Konstruktions-, Planungs- und Fertigungsmethoden heute bieten.
Foto © Morley von Sternberg
Planung und UmsetzungDas Flächentragwerk besteht zur Gänze aus mehrfach gekrümmten Fichten-Brettschichtholzträgern. Schwierig war nicht nur die Umsetzung der zahllosen Rundungen und Verschlingungen, sondern auch die Logistik: Vorgefertigt in Gossau mussten 3'800 Bauelemente per Lastwagen und Fähre nach England geschafft werden. Das Werk der Blumer-Lehmann AG und den Bauplatz in Cambridge trennen über 1'500 Kilometer. Doch wie wurden diese Herausforderungen gemeistert? D2P entwickelte ein detailliertes, parametrisches CAD-Modell der Holzkonstruktion. Dabei wurde eng mit den Architekt*innen, dem Holzbauer und den Ingenieuren von SJB Kempter-Fitze zusammengearbeitet. Endergebnis war ein komplett digitalisiertes Vorfertigungs- und Montagekonzept. Die Konstruktion ist so ausgestaltet, dass die Trägerquerschnitte gleichmässig 160 x 250 Millimeter betragen können, was vergleichsweise schlank ist. Weil die Trägersegmente um die Stützen rotationssymmetrisch sind, konnte die Anzahl unterschiedlicher Bauteiltypen auf 145 begrenzt werden. Diese wiederum basieren allesamt auf nur 23 verschiedenen Brettschichtholz-Rohlingen. Doch die hatten es in sich, wie Jephtha Schaffner, Projektleiter bei Blumer-Lehmann, weiss: «Wir haben mit geraden, aber auch mit einfach und sogar zweifach gekrümmten Ausgangselementen gearbeitet, die alle 5-achsig gefräst wurden. Das erforderte eine sorgfältige Produktionsstrategie und vor allem eine Weiterentwicklung unserer Software, die wir in Teilen quasi neu geschrieben haben.» Zusammengehalten wird die Struktur über Blatt- beziehungsweise 39'000 Schraubverbindungen. Für extrem gekrümmte Bereiche wurde das Einfahren vorab digital simuliert.
Foto © Blumer-Lehmann AG
Der ZusammenbauAus dem parametrischen Modell wurden die Montagepläne abgeleitet. Vor Ort wurden je 70 bis 80 Einzelteile am Boden montiert und dann mit einem Kran in Position gehievt. Für einen möglichst reibungslosen Ablauf wurden die Teile getreu einer logischen Montagefolge nummeriert. Der neun Meter hohe Dom mit goldener Kuppel, der den Gebetsraum nach oben abschliesst, wurde am Boden komplett zusammengesetzt und ebenfalls mithilfe eines Krans montiert.
In dem Holzbau verbinden sich islamische Formensprache und vornehmlich europäische Bauweise. Nur die kleinteilig strukturierte Fassade der Moschee durchbricht den Materialkanon: Sie besteht aus Klinker. Mit diesem werden lokale Bautechniken genauso zitiert wie islamische Tradition.