Hundespielzeug, futuristische Uhren, Kochbücher, Espressokocher, oder: Was Architekten bewegt
Elias Baumgarten
17. febrero 2022
Das Lieblingsspielzeug ihres Hundes Merlin hat für Sandra Kirschbaum eine besondere Bedeutung. (Foto: Elias Baumgarten)
Statt Bauten zeigen die Mitarbeitenden von Stücheli Architekten zum Bürojubiläum lieber persönliche Gegenstände – eine erfrischende Idee. Die Objekte erzählen bewegende Geschichten.
Was würden Sie erwarten, bringt ein Büro zur Feier seines 75-Jahr-Jubiläums ein Buch heraus? Einen Prachtband mit seinen besten Bauten? Grossformatige Bilder und Pläne ergänzt mit Beschreibungen, die voll des Lobes sind, doch deren Formulierungen nach den immer gleichen Textbausteinen tönen? Stücheli Architekten haben sich für einen anderen Weg entschieden. Ihr «Prachtband» ist leuchtrosa, aufwendig gemacht mit Farbschnitt und Titelprägung. Und statt seiner Lieblingsprojekte zeigt das Team Alltagsgegenstände. Alltagsgegenstände freilich, die eine besondere Bedeutung haben, sei es aus emotionalen Gründen oder als Inspiration. Alle Mitarbeitenden präsentieren je ein Objekt auf einer Doppelseite mit einer Fotografie von Tania und David Willen und einem Text, der dessen Geschichte erzählt. Diese Präsentationsweise kennt keine Hierarchie. Es gibt keinen Unterschied zwischen Inhaber*innen, Architekt*innen, Zeichner*innen oder Praktikant*innen. Das beschwört den Teamgeist, denn die kollektive Arbeit aller macht den Erfolg eines Architekturbüros aus. Entwickelt haben Stücheli Architekten dieses Konzept zusammen mit Studio Willen und Susanna Koeberle.
Die Kamera ihres Grossvaters hat für Praktikantin Lara Aschwanden eine besondere Bedeutung. (Foto: Elias Baumgarten)
Die Lektüre ist eine spannende Entdeckungsreise. Die Geschichten in «Blütenlese – Dinge, die uns bewegen» berühren. Sie erzählen von schweren Momenten, Traurigkeit und Schicksalsschlägen, aber auch von Leichtigkeit, Freundschaft und Glück. Bauleiterin Sandra Kirschbaum zum Beispiel zeigt das Lieblingsspielzeug ihres Hundes Merlin. Selbst an Krebs erkrankt, half er ihr durch schwere Zeiten. Obwohl Hunde im Büro bis anhin nicht erlaubt waren, wurde Merlin zum Baustellen- und Büro-Hund, als Sandra nach langer Krankheit zum Team stiess. Merlins Spielzeug motiviert sie durchzuhalten, egal welche Hürden das Leben vor ihr aufbaut.
Rita Vale, Architektin bei Stücheli, präsentiert einen traditionellen Schal aus ihrer Heimat Portugal. Sie brachte ihn mit, als sie in die Schweiz kam. Er steht für sie für den Austausch von Wissen und Traditionen zwischen unterschiedlichen Ländern. Rita ist mit ihrer Geschichte auch ein Beispiel für die vielen Menschen aus anderen Ländern, die in der Schweiz leben und tagtäglich den nicht immer einfachen Spagat zwischen Integration und der Pflege eines innigen Bezugs zu ihrer ersten Heimat schaffen: Gleich auf der nächsten Doppelseite zeigt Architektin Anna Kalinowska ein polnisches Kochbuch. Das Familienerbstück erinnert sie an die bewegte Geschichte Polens im vorigen Jahrhundert und das Schicksal ihrer Familie. Es stehe für Gegenwart und Vergangenheit, Regeln und Freiheit, Verantwortung und Tradition, sagt sie.
Die Portugiesin Rita Vale zeigt im Buch einen traditionellen Schal aus ihrer ersten Heimat. (Foto: Elias Baumgarten)
Kein gelungener Arbeitstag ohne Kaffee, findet Ioanna Sourvinou. (Foto: Elias Baumgarten)
Schmunzeln lässt einen indes Ioanna Sourvinou mit einem Bialetti-Moka-Espressokocher. Welches Objekt könnte passender sein? Die Architektin verbindet mit der famosen Kanne, die Alfonso Bialetti in den 1930er-Jahren entworfen hat, schöne Erinnerungen an ihr Studium. Morgendliche Diskussionen mit ihrer Studienfreundin Alejandra und frischer Kaffee gehörten damals nämlich fest zusammen. Und noch heute beginnt ein Arbeitstag für Ioanna nur richtig mit einer guten Tasse Kaffee.
Der Lieblingsgegenstand von Benjamin Nordmann ist eine Bulova Computron Drivers Watch aus den 1970er-Jahren. Radikale Designs, die zu Durchbrüchen, aber auch in Sackgassen geführt haben, interessieren ihn sehr. (Foto: Elias Baumgarten)
«Blütenlese – Dinge, die uns bewegen» begeistert mit unerwarteter Offenheit. Während viele Architekturschaffende ein streng kuratiertes Bild von sich, ihrer Arbeit und zuweilen auch von ihrer «Genialität» pflegen, präsentiert sich das Team von Stücheli wohltuend unverkrampft. Das Buch ist eine tolle Ergänzung zur eigenen Bibliothek, es macht Freude. Online ist «Blütenlese» frei als PDF verfügbar. Wer ein eigenes Exemplar in Händen halten möchte, meldet sich gerne beim Büro, um es zu beziehen: info@stuecheli.ch