Hilfsmittel mit Risiken und Nebenwirkungen
Elias Baumgarten
9. mayo 2024
Foto: Elias Baumgarten
Künstliche Intelligenz spielt auch in der Architektur eine immer grössere Rolle. Doch wie sie die Disziplin verändern wird, hängt von den Menschen ab, die sie nutzen. Das wurde bei der Konferenz «AI – Architectural Intelligence» an der ZHAW deutlich.
Nicht Künstliche Intelligenz (KI) sei gefährlich, meint Elena Gavagnin, sondern die Menschen, die sie nutzen. Allein schon nur angesichts der Naivität, mit der manche Zeitgenossen KI-Anwendungen wie das gerade allgegenwärtige ChatGPT einsetzen, möchte man der Expertin zustimmen. Doch gilt ihre Einschätzung auch für die Architektur? Elena Gavagnin forscht und unterrichtet am Institut für Wirtschaftsinformatik der ZHAW. Zur Konferenz «AI – Architectural Intelligence» war sie gekommen, um zu erklären, wie KI eigentlich funktioniert. Ihre Kernbotschaft: KI ist kein allwissendes Gegenüber, das die Antwort auf jede Frage kennt. Vielmehr beruht sie auf Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ein Chatbot wie ChatGPT gibt lediglich die mit der höchsten Wahrscheinlichkeit richtige Antwort. Und erst recht können solche Programme keine kreativen Lösungen entwickeln oder gewiefte Strategien aushecken. Kurz, «intelligent» ist laut Fachleuten wie Elena Gavagnin eigentlich das falsche Wort für solche Systeme. Die Bezeichnung lädt zu Trugschlüssen ein.
Doch was kann KI besonders gut? Bige Tunçer, die neu in Eindhoven unterrichtet, zählt das Durchforsten grosser Datenmengen nach relevanten Informationen und das Erkennen komplexer Muster zu ihren grössten Stärken. Auch sei KI uns Menschen im Treffen von Vorhersagen auf Basis vorhandener Daten und bei Optimierungsprozessen überlegen. Doch Common Sense und Einfühlungsvermögen fehlen ihr genauso wie Intuition und die Fähigkeit, ihre Schlüsse auf andere Gebiete zu übertragen. Schlecht schneidet KI auch ab, soll sie Kontext und Kausalitäten verstehen oder bemerken, wann ein Reframing notwendig ist. – Alles Fähigkeiten, die gute Architektinnen und Architekten auszeichnen.
Also ist KI kein Thema in der Architektur? Mitnichten. Anwendungen gibt es bereits zuhauf – von neuen Helferlein für das Entwerfen bis hin zu Werkzeugen für Analyse und Optimierung. Die Programme DALL-E (2021) und Midjourney (2022) zum Beispiel können auf Basis von Texteingaben Bilder generieren. Alexandre Theriot liess seine Studierenden im Entwurfskurs mit ihnen arbeiten. Die Bildwelten seien sehr inspirierend gewesen, berichtete er in seinem Vortrag. Aber eben auch nicht mehr: Die Studierenden beklagten sich bald, die Bildproduktion sei kaum zu kontrollieren. Trotzdem: Hilfsmittel wie DALL-E oder Midjourney dürften für viele Architektinnen und Architekten demnächst Teil des Entwurfsprozesses werden – oder es schon heute sein. Und daran ist auch nichts verkehrt. KI ist, wie Georg Vrachliotis in Winterthur meinte, ein neues Werkzeug. Das heisst nicht, dass Skizzierstift und Modellbau-Utensilien nun ausgedient haben.
Gefährlich aber wird es, hält man zweidimensionale Bilder bereits für Architektur. Denn die vielfältigen sinnlichen Qualitäten eines Bauwerks werden dabei genauso wenig berücksichtigt wie der Kontext. So «entworfen», bestünde Architektur nur noch aus Formen und Oberflächen, Bauten blieben objekthaft und isoliert. Wer beim Entwerfen also von KI profitieren möchte, braucht ein hervorragendes Raumwissen und eine exzellente Vorstellungskraft. Doch ausgerechnet hier liegt einiges im Argen: Mit dem Fokus auf Bilder droht die Raumwahrnehmung zu verkümmern. Die Folgen beklagen Patric Furrer, Andreas Jud und Stefan Kurath in ihrem Buch «Digitalisierung und Architektur in Lehre und Praxis»: Heute, schreiben sie, entstehe immer öfter Architektur, die nur noch die Augen anzusprechen vermag, die anderen Sinneseindrücke aber vernachlässigt. Hier müssen die Architekturschulen Gegensteuer geben. Je mehr in digitalen Welten gearbeitet wird, desto wichtiger werden physische Modelle: Sie schulen die Raumwahrnehmung und erlauben, die sinnlichen Qualitäten der eigenen Entwürfe zu überprüfen. Nicht umsonst sind Modelle und auch Zeichnungen für die Pioniere der digitalen Architektur wie Frank O. Gehry oder Zaha Hadid stets wichtige Entwurfswerkzeuge geblieben. Das wäre wohl auch ganz im Sinne des Mathematikers und Philosophen Dieter Mersch: An der ZHAW warnte er, KI könne unsere Art zu denken negativ beeinflussen. Er ist übrigens überzeugt, sie werde aufgrund ihrer strikt mathematischen Grundlage niemals Kunst produzieren, sondern bloss imitieren. Denn Kunst setzt sich über die Logik hinweg und schliesst das Zufällige mit ein.
«Die Arbeit von Architektinnen und Architekten endet nicht mit der Idee», sagte ZHAW-Professor Stefan Kurath während der Schlussdiskussion, «sie beginnt erst». Architektur entsteht in einem komplexen, oft langwierigen Aushandlungsprozess: Architektinnen und Architekten müssen unzählige soziale, wirtschaftliche, politische und ökologische Faktoren berücksichtigen, wenn sie ein Projekt planen und schliesslich umsetzen. Sie brauchen grosses soziales Geschick, müssen klug verhandeln und Allianzen schmieden. In Zeiten des Klimawandels, der zunehmenden Verknappung von Ressourcen, von steigenden sozialen Spannungen, von gleichzeitig ablaufenden Wachstums- und Schrumpfungsprozessen wird diese Aufgabe sogar noch verzwickter. KI, die nur Vorhandenes reproduzieren kann, ist nicht imstande, sie zu meistern. Menschliche Fähigkeiten sind hier weiterhin gefragt. Ein vertieftes Wissen um die Verknüpfung zwischen Architektur und Gesellschaft bleibt unerlässlich.
Gute Projekte werden zukünftig wohl ganz im Sinne des Konferenztitels «AI – Architectural Intelligence» im Zusammenwirken von künstlicher und menschlicher Intelligenz entstehen. Es ist wichtig, dass wir Architektinnen und Architekten – und eigentlich alle Menschen – ein genaues Verständnis für KI entwickeln, dass uns klar ist, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Statt ängstlich zu fragen, ob uns KI den Job wegnimmt, sollte uns interessieren, wie wir sie nutzen können, um ökologisch und sozial nachhaltig zu bauen. Dabei müssen wir am Ball bleiben, denn KI entwickelt sich zurzeit rasant. Und deswegen hätte der hochinteressante, von Andri Gerber und Michael Mieskes mit viel Hingabe organisierte Anlass an der ZHAW noch stärker besucht sein müssen. Denn wer sich dem Thema verschliesst, weil es Ängste weckt oder gerade mit inflationärer Häufigkeit diskutiert wird, überlässt anderen das Feld und vergibt womöglich die Chance auf eine Schlüsselrolle im Bauprozess der Zukunft. Das kann unangenehme Folgen haben: Mit Elena Gavagnin gesprochen ist keines der im Rahmen von «AI – Architectural Intelligence» thematisierten Programme eine Gefahr. Anders sieht es aus, treffen sie auf ein oberflächliches Architekturverständnis, ein fehlendes Bewusstsein für die Wechselwirkung zwischen gebauter Umwelt und Gesellschaft oder ein unzureichendes Raumwissen. KI ist kein Ersatz für Expertise.