Haus der Kunst ohne museale Allüren
Susanna Koeberle
16. junio 2022
Gekonnter Mix: Kunst und Möbel aus dem Brocki (Foto: Gina Folly & Flavio Karrer © Basel Social Club)
Eine Villa aus den 1930er-Jahren, ausgestattet mit Brockenhausmöbeln und bestückt mit grossartiger Kunst: Das sind die Zutaten, die für eine Überraschung und eine wohltuende Abwechslung im Einheitsbrei der Basler Kunstwoche sorgen.
Das Problem mit Kunstanlässen wie der Art Basel Woche ist die Übersättigung. Vor allem, wenn man wie in meinem Fall gerade vom Salone in Milano kommt und schon tagelang von Ausstellung zu Ausstellung gepilgert ist. Irgendwann ist man einfach nicht mehr aufnahmefähig und möchte nur noch ins Schweigekloster fliehen. Man kennt dieses Gefühl von früher. Wobei früher vor der Pandemie meint. Menschen sind lernfähige Wesen und vor allen Dingen sehr flexibel, das haben wir alle gemerkt in dieser besonderen Zeit. Und doch erstaunt es, wie schnell man in alte Muster verfällt. «Back on track» lautet die Devise. Im Ernst? Liege ich falsch mit der Annahme, dass dieser irre Rhythmus von Anlässen genau das ist, was wir nicht mehr haben wollten? Jedenfalls scheine ich nicht die einzige Person zu sein, die etwas überfordert ist mit der Wiederaufnahme dieser übertrieben frenetischen Aktivität. Ich bin grundsätzlich begeisterungsfähig. Aber irgendwann legt sich vor mein inneres Auge ein Schutzschleier – nein, ohne Blumenmuster oder sonstige trendige Ornamente, einfach nur ein Schleier.
Der diskrete Charme einer Villa der Basler Bourgeoisie (Foto: Gina Folly & Flavio Karrer © Basel Social Club)
Umso mehr war ich hocherfreut über eine wunderbare Überraschung, die ich in Basel erlebte. Der Basel Social Club findet während der Art Basel Woche in einer Villa aus den 1930er-Jahren auf dem Bruderholz statt. Das Wohnquartier ist geprägt durch stattliche Häuser und viel Grün. Die vier Initiator*innen (die Künstlerin Hannah Weinberger, der Kurator Jean-Claude Freymond-Guth sowie die Galeristen Robbie Fitzpatrick und Dominik Müller) dieses Formats suchten schon länger nach einem Ort des Austausches und der Konversation. Als sich die Gelegenheit ergab, die Villa vor ihrem Abriss bespielen zu können, kam das Projekt ins Rollen. In nur drei Monaten erarbeiteten sie ein Konzept. Inspiriert ist der Basel Social Club von altehrwürdigen Institutionen wie The Arts Club (1863) oder dem National Arts Club (1898) in New York. Dass alle Beteiligten gut vernetzt sind in der Kunstszene, half sicher, doch der Aufwand, mehrere Galerien, Projekträume und Künstler*innen anzufragen und die ganze Ausstellung zu koordinieren, war enorm. Die vier Kunstfreunde arbeiten alle gratis und haben die Ausstellung neben ihren regulären Jobs auf die Beine gestellt. «Es war nicht das Ziel, etwas Perfektes zu schaffen, es sollte ein gewisser DIY-Spirit da sein», erklärt Jean-Claude Freymond-Guth bei der Führung durch das Haus. Das ist bescheiden ausgedrückt, denn die Ausstellung ist in Wahrheit eine absolute Sensation.
Jeder Raum besitzt eine andere Atmosphäre. (Foto: Gina Folly & Flavio Karrer © Basel Social Club)
Profis am Werk. Installationsansicht der «Beverly Holz»-Villa (Foto: Gina Folly & Flavio Karrer © Basel Social Club)
Die Idee ist zwar nicht neu, aber die nonchalante Raffinesse der Inszenierung ist bemerkenswert. Gekonnt wurden die Kunstwerke in den drei Stockwerken und im Garten des «Beverly Holz», wie das Team die Villa nennt, platziert und mit den unterschiedlichen Atmosphären der Räume in Dialog gebracht. Das Flickwerk der Epochen wird in den Arbeiten reflektiert. Diese sind ganz unterschiedlichen Ursprungs: Hero*innen der Kunstgeschichte wie Meret Oppenheim, A.R. Penck oder Dadamaino und international etablierte Namen wie Miriam Cahn, Monster Chetwynd, Jill Mulleady oder Koenraad Dedobbeleer treffen auf aufstrebende Talente wie Gina Fischli, Jasmine Gregory oder Gina Folly. Der Mix ist unglaublich erfrischend und inspirierend. Die Wände sind mit drei unterschiedlichen Farben bemalt, was der palimpsestartigen Schichtung von Stilen und Kunstwerken eine gewisse Struktur und Ruhe verleiht. Ergänzend zu diesem «Musée imaginaire» finden Besucher*innen im Basel Social Club auch ein gastronomisches Angebot, das man entweder entspannt am Pool oder abends auf Reservation im Salon der Villa zu sich nehmen kann. Ein Performance-Programm feiert die Kunst und das Leben. Mehr davon!