Architektur als Berufung

Susanna Koeberle
30. abril 2021
Rafael Moneo ist Architekt, Denker und Lehrer. (Foto: German Saiz)

Medizinisch gesprochen müsste man Architekt*innen als Allgemeinpraktiker*innen bezeichnen. Sicher, da und dort gibt es Vertreter dieser Gilde, die sich in einem ganz spezifischen Gebiet hervorgetan haben. Doch Architektur ist mit so vielfältigen Fragen verbunden, dass es eines grossen Geschicks bedarf, all diesen Ansprüchen und Themen gerecht zu werden. Denn zur Architektur gehört nicht nur das Entwerfen und Erstellen von Bauwerken, sie ist vielmehr auch eine kulturelle Disziplin. Nicht zuletzt deswegen, weil auch das Weitergeben von Wissen Teil dieses Berufs ist. Es gibt Menschen, die an Mehrfachaufgaben wachsen, darin ihre Berufung finden. Zu diesen Personen gehört auch der spanische Architekt Rafael Moneo (*1937 in Tudela, Navarra).

Rafael Moneo schloss sein Studium 1961 an der Escuela Técnica Superior in Madrid ab. Von 1958 bis 1961 arbeitete er mit dem Architekten Francisco Javier Sáenz de Oiza (1918–2000) in Madrid und von 1961 bis 1962 in Hellebæk (Dänemark) mit Jørn Utzon (1918–2008). Im Jahr 1963 erhielt er ein Stipendium an der Spanischen Akademie in Rom. Nach seiner Rückkehr nach Spanien im Jahr 1965 eröffnete er sein Büro in Madrid und begann an der dortigen Escuela Técnica Superior zu unterrichten. 1970 erhielt er einen Lehrstuhl für Architekturtheorie an der Escuela Técnica Superior in Barcelona. Von 1980 bis 1985 war er Lehrstuhlinhaber für Komposition an der Escuela Técnica Superior von Madrid. 1985 wurde Moneo zum Vorsitzenden des Fachbereichs Architektur an der Harvard University Graduate School of Design ernannt, eine Position, die er bis 1990 innehatte. Im Jahr 1991 wurde er zum Josep Lluís Sert Professor für Architektur an der Harvard University Graduate School of Design ernannt, wo er weiterhin als Professor Emeritus lehrt. 1996 gewann er den Pritzker-Preis, weitere Ehrungen folgten.

Lernen von den Römern: Nationalmuseum für Römische Kunst in Mérida (1980–1986) (Foto: Michael Moran)

Nun wird er an der diesjährigen Architekturbiennale zu Recht mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk geehrt. Mit der Serenissima verbinden ihn unrealisierte Projekte wie sein Entwurf für einen neuen «Palazzo del Cinema» beim Lido oder seine Vorschläge für Wohnbauten auf der Giudecca, erwähnt auch Hashim Sarkis, Direktor der diesjährigen Biennale, in seinem Statement. «Während seiner langen Karriere hat sich Moneo eine poetische Fähigkeit bewahrt, die uns an die Kräfte der architektonischen Form erinnert, um auszudrücken, zu formen, aber auch um zu bestehen. Er hat sich auch hartnäckig der Architektur als einem Akt des Bauens verschrieben», sagt Sarkis weiter. Die Architekturbiennale soll am 22. Mai eröffnet werden. Das Motto «How will we live together?», also die Frage nach dem Zusammenleben, prägt die Architektur seit jeher, doch gerade heute ist das «together» wichtiger denn je. Indem sie bauen, lehren, schreiben, einen Diskurs anregen, schaffen Architekt*innen auch Gemeinschaften. 

Kursaal, Auditorium und Kongresszentrum in San Sebastián (1990–1999) (Foto: Michael Moran)

Und das tat und tut auch Moneo mit grosser Hingabe. Die Architektur, die Moneo praktiziert, zielt durchaus auf die Veränderung des Ortes, doch zugleich zollt diese Praxis dem jeweiligen Kontext grossen Respekt. Diese Haltung widerspiegelt sich etwa in seinem Essay «Das Flüstern des Ortes». Es geht also in seinem Architekturverständnis stets auch um das Hinhören. Rafael Moneo sei ein sehr gebildeter, belesener und intelligenter Mensch und dieser intellektuelle Zugang zur Architektur präge auch sein Wirken wesentlich, sagt der Architekt Felix Wettstein (studio we architetti), der mehrere Jahre für den spanischen Architekten gearbeitet hat und bis heute mit ihm befreundet ist. «Die Architektur Moneos basiert immer auf der individuellen Aufgabe der spezifischen Interpretation eines Ortes, dem Verdichten einer Idee. Daraus wächst die Gewissheit, dass in der rauen Wirklichkeit der gebauten Architektur die Essenz des Projektes und die Konsistenz der Ideen sichtbar und erlebbar werden», so Wettstein. Als Schlüsselbauten des Baukünstlers nennt er das Bankinter-Gebäude in Madrid (in Zusammenarbeit mit Ramón Bescos, 1973–1976), das Nationalmuseum für Römische Kunst in Mérida (1980–1986), das Kursaal Auditorium und Kongresszentrum in San Sebastián (1991–1999) oder das Diagonal-Gebäude in Barcelona (in Zusammenarbeit mit Manuel de Solá-Morales, 1988–1993). So unterschiedlich diese Bauten sind, sie seien stets Ausdruck des enormen Wissens von Moneo sowie seines grossen Interesses für den Ort. Vielleicht trägt genau diese Form der Empathie und Aufmerksamkeit zur zeitlosen Erscheinung und zur Beständigkeit seiner Bauwerke bei. 

Kathedrale Unserer Lieben Frau von den Engeln in Los Angeles (Foto: Michael Moran)

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