Tore zum Untergrund
Susanna Koeberle
22. noviembre 2018
Ein ganz besonderes helvetisches Exemplar in Paspels Bild: Lukas Müller
Der Verein «Dolologie» wurde 2008 gegründet. Er bemüht sich um einen denkmalpflegerischen Umgang mit historischen Dolendeckeln, um eine Dokumentation sowie um die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für dieses faszinierende Thema.
Zur Einleitung: Dolendeckel ist der schweizerdeutsche Begriff für Schachtdeckel, Kanaldeckel oder Gully. Dole stammt vom althochdeutschen Wort «Dola» für Röhre, Graben, Rinne. Der Name «Dolologie» ist frei erfunden. Susanna Koeberle sprach mit Lukas Müller, einem der Gründer des Vereins «Dolologie».
Herr Müller, wozu dienen Dolendeckel genau?
Dolendeckel sind in erster Linie Schutz. Entweder sie schliessen Eingänge in den Untergrund ab und sind quasi Türen. Oder sie haben Öffnungen, diese dienen zum Druckausgleich oder als Ablauf des Regenwassers. Damit die metallenen Deckel bei Regen nicht gefährlich werden (Rutschgefahr), besitzen sie eine Struktur, die ganz vielfältig aussehen kann. In der Schweiz ist das quadratische «Schoggolettimuster» weit verbreitet. Die Muster dienen also einerseits der Sicherheit, haben aber auch gestalterische Qualitäten.
Können Sie ein konkretes Beispiel in der Schweiz nennen?
Eines der ältesten Beispiele einer solchen Abdeckung liegt in Vindonissa und ist über 2000 Jahre alt. Die Römer bauten schon damals Wasserleitungen und Kanäle. Bei einer Verzweigung findet sich ein runder Stein von etwa 60 cm Durchmesser und 10 cm Höhe. Er ist mit wunderschönen Kelchblättern verziert. Leider sind Dolendeckel in der Schweiz sonst eher langweilig, ausser einigen Trouvaillen, auf die der Verein immer wieder stösst.
Das «Schoggolettimuster» ist in der Schweiz weit verbreitet. Bild: sk
Dolendeckel im Bergell. Bild: sk
Wer gestaltet denn die Muster?
Es ist nicht so, dass die Muster von einem Grafiker gestaltet werden. Das übernehmen in der Regel technische Zeichner in der Giesserei.
Wie werden Dolendeckel hergestellt?
Es gibt mehrere Herstellungsvarianten, zwei Verfahren sind allerdings am häufigsten anzutreffen. Früher war der Bau- oder Grauguss üblich. Die so hergestellten Produkte sind hart und spröde, haben aber den Nachteil, dass sie wegen der starren Form klappern können. Sie können bis 100 Jahren im Einsatz sein. Seit etwa 30 Jahren wird der so genannte Sphäroguss eingesetzt. Dabei wird der Schmelze Magnesium hinzugefügt, was die Grafitstruktur des Gusseisens verändert und das Metall stahlähnlich macht. Es wird dadurch elastisch kann in einen Rahmen eingepasst werden. So klappert der Deckel nicht mehr. Der Nachteil ist, dass solche Deckel rostanfälliger sind, was eine viel kürzere Lebensdauer bedeutet.
Was hat sich sonst noch im Verlauf der Zeit geändert?
Vor 100 Jahren hatte jede Schweizer Stadt eine Giesserei, die jeweils eigene Dolendeckel herstellte. Heute ist davon noch eine Handvoll übrig geblieben. Während früher jede Stadt ihre eigenen Normen besass, kam es in den 1970er- und 1980er-Jahren zu einer Normierung (EN124). Je nach Verwendung (etwa Fussgängerbereich oder Autobahnen) gibt es zudem eigene Klassen (A bis F). Das führte allgemein zu einer Homogenisierung der Modelle und zu einem Verdrängungswettbewerb. Heute gibt es beispielsweise einen grossen Schweizer Lieferanten, der seine Produkte als schweizerisch ausgibt. In Wahrheit stammt ein Grossteil davon aus dem Ausland. Mit diesen tiefen Preisen kann dann kein Schweizer Hersteller mehr mithalten.
Branding bei Dolendeckeln? Ein Beispiel aus Milano. Bild: sk
Hübsch verziertes Exemplar aus Reggio Emilia. Bild: sk
Das betrifft nicht nur die Schweiz?
Weltweit dominieren 10 grosse Giessereien die Dolendeckelproduktion. Wenn es aber nur noch wenige Modelle gibt, dann ist das auch ein Problem. Einzelne Giessereien lassen noch wenig Platz für das Logo oder den Namen einer Stadt frei. Es gibt bei uns auch Giessereien, die individualisierte Dolendeckel anfertigen. Ob diese privaten Deckel dem öffentlichen Netz aufgesetzt werden dürfen, müssen Interessierte mit dem lokalen Tiefbauamt abklären, auch wenn sich der Dolendeckel auf privatem Grund befindet.
Und wie sieht es international aus?
Japan sticht besonders heraus. Viele Städte haben bis heute eigene Dolendeckel-Muster. Es gibt auch wunderbar gestaltete, farbige Deckel! Ein befreundeter Künstler, der in Japan war, sandte mir ein ganz besonderes Einzelstück. Diese lokal individuellen Deckel haben grossen Erfolg. Auch aus anderen Ländern höre ich immer wieder von künstlerischen Aktionen auf diesem Feld. Das finde ich grossartig.
Heute spricht man wieder vermehrt von der Rolle des öffentlichen Raums. Verändert das Ihrer Meinung nach die Wahrnehmung auf Dolendeckel?
Das wäre wünschenswert. Die Beachtung ist aber gering. Das merken wir jeweils, wenn wir Führungen machen. Die Leute scheinen da häufig erstmals richtig nach unten zu schauen. Mehr Aufmerksamkeit könnte wieder zu mehr Individualisierung führen, auch wenn das mit einem finanziellen Mehraufwand verbunden ist. Und zu einem respektvolleren Umgang mit besonders wertvollen Stücken. In Paspels habe ich auf einem privaten Grundstück ein seltenes Exemplar mit Haube entdeckt. Ich habe die Dame, der das Grundstück gehört, darauf aufmerksam gemacht. Sie hat mir versprochen, dass man das Schmuckstück bei der Sanierung des Platzes sorgfältig behandeln werde. Falls dieser Deckel entfernt werden sollte, kommt er ins Museum des Vereins «Dolologie». Wir haben bereits eine kleine Sammlung.
Eines der Deckel-Motive im japanischen Städtchen Wajima. Bild: sk
Schönes Exemplar in Taiwan. Bild: sk
Lukas Müller bietet auch Führungen mit einem Dolenspaziergang an. Kontakt via: tole@lupi.ch