Zum Wiederaufbau von Synagogen in Deutschland

Susanna Koeberle
26. enero 2023
Die Bornplatzsynagoge in Hamburg wurde 1939 abgerissen, nachdem sie im November 1938 während der sogenannten «Reichspogromnacht» beschädigt worden war. Auf dem gleichen Platz errichteten die Nationalsozialisten einen Hochbunker. (Foto: unbekannter Fotograf; Verlag Knackstest & Nähten / SHMH / Museum für Hamburgische Geschichte, Inv.-Nr.: 2008–1015)

Bauwerke sagen auch etwas über das Selbstverständnis ihrer Nutzer*innen aus. Zugleich sind sie Botschaften an die Aussenwelt und werden unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert, sei es aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Funktion. Vielleicht klaffen diese beiden Formen der Wahrnehmung bei Synagogen besonders stark auseinander. Die Geschichte dieser Bauten ist gerade in Deutschland traumatisch aufgeladen; sie ist geprägt durch einen Bruch, der sie in ein vor 1933 und ein nach 1945 teilt. Dementsprechend sind Synagogen in Deutschland noch symbolhafter, als es Sakralbauten ohnehin schon sind. Doch sie sind keine Mahnmale, sie stehen für das jüdische Leben, das sich nach der Shoah in Deutschland etabliert hat. Dass dies so ist, ist keineswegs selbstverständlich. Synagogen sind in erster Linie Nutzbauten, welche die Bedürfnisse einer Gemeinschaft reflektieren. Es ist allerdings durchaus nachvollziehbar, dass der Diskurs um den Wiederaufbau oder Wieder-Neubau von Synagogen auch breiter geführt wird, umso mehr, weil die Zerstörung jüdischen Lebens während der Zeit des Nationalsozialismus bis heute viele Fragen von Schuld und Wiedergutmachung, von Erinnerung und Verdrängung aufwirft. 

Hilfreich für eine sachliche Auseinandersetzung können zunächst Begriffsklärungen sein, etwa die des Terminus Rekonstruktion. Dem Begriff Rekonstruktion haftet eine gewisse Ambivalenz an. Zwar handelt es sich in der Regel auch um einen Neubau, doch schnell tauchen in diesem Zusammenhang die Wörter Kopie und Nachbildung auf. Und diesbezüglich gehen die Wahrnehmungen stark auseinander. Das hängt unter anderem mit dem abendländischen Verständnis des Verhältnisses von Kopie und Original zusammen. Klar ist: Das Original wurde etwa im Falle der Bornplatzsynagoge in Hamburg, um die es auch im Buch geht, vernichtet und kann nicht wiederhergestellt werden. Auch bei einem historisierenden Wiederaufbau wird die Synagoge ein Neubau sein. Will man den Begriff auch architekturhistorisch genauer fassen, merkt man schnell, dass es keine «Lösung» gibt für dieses Problem, denn man unterscheidet in der Theorie der Rekonstruktion verschiedene Typen. Was allenfalls wiederhergestellt werden kann, ist der Symbolgehalt dieses Ortes – doch auch dieser wurde genau genommen nie ausgelöscht. 

Auf jeden Fall schafft ein neues Bauwerk eine Sichtbarkeit. Das Thema widerspiegelt unter anderem den klassischen philosophischen Konflikt zwischen Materie und Geist. Und es macht deutlich, dass ein undogmatischer Umgang mit Begrifflichkeiten und deren vermeintlichen Abgrenzungen bei symbolgeladenen Bauwerken besonders angebracht ist. Was nicht gleichzusetzen ist mit Geschichtsvergessenheit. Gerade die zum Teil heftig geführten Debatten um den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge zeigen auch, dass Streitigkeiten um Deutungshoheiten nicht zielführend sind. 

Lageplan: Vermessungskarten 1:4000, 1880–1925 Hamburg / Freie und Hansestadt Hamburg / Kulturbehörde

In diesem Kontext sind Publikationen wie «Das Synagogen-Projekt» (Park Books) umso wichtiger, denn sie leisten einen Beitrag zu einer offenen und differenzierten Auseinandersetzung, die weit über das Architektonische hinausreicht. Nichtsdestotrotz stehen im Buch die konkrete Form und der Zweck von möglichen Bauwerken im Zentrum – im konkreten Fall sind das die Bornplatzsynagoge und der Tempel Poolstrasse in Hamburg sowie die Synagoge Fraenkelufer in Berlin. Die Publikation entstand aus einer Zusammenarbeit der Technischen Universitäten Darmstadt und Dresden, der HafenCity Universität Hamburg und der Bauhaus-Universität Weimar. Sie schafft gleich zweierlei: zum einen einen offenen Austausch zwischen unterschiedlichen Protagonist*innen aus Politik, Architektur, Lehre und jüdischen Institutionen, zum anderen das bildliche Vorführen von Möglichkeiten. Mit Betonung auf Möglichkeiten, denn es geht bei den Vorschlägen der Studierenden und ihrer Professor*innen nicht primär um Realisierbarkeit, sondern eher um die visuelle Umsetzung von Denkräumen. 

Das Buch widerspiegelt eine Recherche, «eine Suche, die sich mit den Mitteln des architektonischen Entwurfs, in Form von Zeichnungen und perspektivischen Darstellungen den möglichen Ausdrucksformen einer neu – oder wieder – zu errichtenden Synagoge annähert», wie der Mitherausgeber Jörg Springer, Professor an der an der Bauhaus-Universität Weimar, in seiner Einleitung schreibt. In mehreren Gesprächen erläutern Vertreter der jüdischen Gemeinden, etwa Philipp Stricharz, erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg, sowie Franz-Josef Höing als Oberbaudirektor der Stadt Hamburg ihre Sicht auf Vergangenheit und Zukunft der Synagogen in Hamburg und Berlin. Mit Mirjam Wenzel, der Leiterin des Jüdischen Museums in Frankfurt, Salomon Korn, vormals Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sowie dem Rabbiner Edward van Voolen und dem Schweizer Architekten Roger Diener kommen weitere Stimmen zu Wort und diskutieren Geschichte und Bedeutung der Synagogen in deutschen Städten als Orte religiösen jüdischen Lebens und jüdischer Kultur. 

Das Projekt kam aufgrund von zwei konkreten Vorschlägen zum Wiederaufbau von Synagogen in Berlin und Hamburg ins Rollen. Damit in Zusammenhang steht auch die erschreckende Realität, nämlich zunehmender Hass und immer mehr Gewalt gegenüber Jüdinnen und Juden in Deutschland. 

Grundriss: Semmy Engel und Ernst Friedhelm / Staatsarchiv Hamburg, 522-1 / Jüdische Gemeinden

In Hamburg geht es um eine Initiative für den Wiederaufbau der Synagoge am Bornplatz, die 2020 von der Jüdischen Gemeinde ausging und schnell Befürworter*innen, aber auch Gegner*innen fand. Das Büro Wandel Lorch Götze Wach wurde mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt, die im September 2022 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Das 200 Seiten umfassende Papier ist frei zugänglich und wie das Buch äusserst lesenswert. Die Synagoge im Hamburger Grindelviertel wurde nach den Plänen des Architekten Semmy Engel gebaut und 1906 eingeweiht. Der freistehende Sakralbau mit seiner 40 Meter hohen Kuppel war von weitem sichtbar und gehörte zu den grössten Synagogen Europas. Das Bauwerk war Ausdruck des Selbstbewusstseins des Reformjudentums, denn die im neoromanischen Stil gestaltete Architektur war ein Zeichen, mit dem die jüdische Gemeinde ihre Zugehörigkeit zum deutschen Staat und ihren Anspruch auf Gleichberechtigung manifestieren wollte. 

Hier mache ich einen grossen Zeitsprung, da ein Erklärungsversuch der Geschichte an dieser Stelle zu weit führen würde und auch nicht die Absicht dieses Textes sein kann. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der sogenannten «Reichspogromnacht», wurde neben vielen anderen Tausenden Synagogen, jüdischen Verwaltungsgebäuden, Geschäften und Privatwohnungen auch die Bornplatzsynagoge schwer beschädigt. Menschen drangen in das Gotteshaus ein und schändeten die Thora sowie andere kultische Gegenstände. 1939 wurde die Synagoge unter dem Druck der NS-Behörden abgerissen – auf Kosten der jüdischen Gemeinde notabene. Auf dem Platz begann ab 1940 der Bau eines Hochbunkers, der heute noch steht. 1988 wurde zum 50. Jahrestag der Zerstörung ein Bodendenkmal nach Entwürfen des Architekten Bernhard Hirche und der Künstlerin Margrit Kahl eingeweiht. Granitsteine zeichnen nun das frühere Deckengewölbe der Synagoge im Originalmassstab nach. Zugleich wurde der frühere Bornplatz nach dem letzten Hamburger Oberrabbiner Dr. Joseph Zwi Carlebach (1883–1942) benannt.

Entwurf einer neuen Synagoge am einstigen Bornplatz von Valentin Müller und Malte Wiegend

Wie also könnte eine Rekonstruktion beziehungsweise ein Wiederaufbau oder Wieder-Neubau dieser Synagoge aussehen? Soll der Bau eine originalgetreue Rekonstruktion sein oder ein Neubau in zeitgenössischer Architektursprache, der den Vorgängerbau lediglich zitiert? Die Vorschläge, die Leser*innen in der Publikation vorfinden, führen die Bandbreite der Möglichkeiten vor – jenseits von dogmatischen Stilfragen. Sie berücksichtigen auch die unterschiedlichen Nutzungen der wachsenden Gemeinde (wobei jene immer noch deutlich kleiner ist als vor 1933). Eine Synagoge sei nicht nur ein Ort, an dem man seinen Glauben ausübt, sondern vor allem ein Haus, in dem Menschen zusammenkommen, ein Haus der Gemeinschaft, sagt Edward van Voolen, der sich seit vielen Jahren mit jüdischer Identität in der zeitgenössischen Architektur auseinandersetzt. Während des Entwurfsprozesses war er der Ansprechpartner für Fragen der Studierenden in historischer, theologischer und baulicher Hinsicht.

Eine konkrete Herausforderung bestand etwa im Umgang mit dem Hochbunker, der heute von der Universität genutzt wird. Er wurde kürzlich renoviert und steht unter Denkmalschutz. Den Bau haben die Nationalsozialisten genau an der Stelle, wo sich früher das Hauptportal der Synagoge befand, errichtet. Damit wollten sie auch verhindern, dass diese jemals wiederaufgebaut würde. Ein Abriss wäre städtebaulich unvermeidlich, wenn man die Synagoge am gleichen Ort neu errichten möchte. Zwei Entwürfe haben den Bunker beibehalten, einer davon, indem er ihn als Sockel für die neue Synagoge nutzt. Einen praktischen Einwand bringt diesbezüglich Philipp Stricharz vor, wenn er darauf hinweist, dass ein Betsaal im letzten Geschoss nicht mit den Schabbat-Gesetzen vereinbar ist. 

Ganz allgemein gesprochen sei es bei den Projekten um ein «tastendes Probieren und Austarieren» gegangen, sagt Jörg Springer. Die Bandbreite der Entwürfe zwischen Rekonstruktion und freien Arbeiten kann einen Boden schaffen für einen offenen Dialog. Ohne diesen kann auch das materielle Bauwerk nicht in naher Zukunft entstehen.

Neue Bornplatzsynagoge von Thomas Jankowski und Hanna Tschierse
Das Synagogen-Projekt. Zum Wiederaufbau von Synagogen in Deutschland

Das Synagogen-Projekt. Zum Wiederaufbau von Synagogen in Deutschland
Jörg Springer und Manuel Aust (Hrsg.)

235 x 295 Millimeter
240 Páginas
361 Illustrations
Broschur
ISBN 978-3-03860-300-9
Park Books
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