Re-Use macht Schule
Bischof Föhn Architektur
4. julio 2024
Erreicht wird der neue Kindergarten über eine Aussentreppe. Wie viele der Bauteile, die beim Umbau verwendet wurden, stammt sie von einem abgebrochenen Gebäude. (Foto: Theodor Stalder)
Stephan Bischof und Norbert Föhn haben Kindergartenräume für die Primarschule Manegg in einem Werkhof der Stadt Zürich eingerichtet. Der Umbau ist ein Pionierprojekt für die Wiederverwendung gebrauchter Bauteile.
Herr Bischof, Herr Föhn, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Stephan Bischof: Die Primarschule Manegg im Zürcher Quartier Wollishofen verzeichnet einen steigenden Bedarf an Kindergartenräumlichkeiten. Da die Anlage aus den 1930er-Jahren keine Erweiterung zulässt, entschied man sich, die sanierungsbedürftigen Mietwohnungen im Obergeschoss des stadteigenen Werkhofs an der Mööslistrasse zu einem Kindergarten mit Betreuung umzunutzen. So entstand im Werkhof, der weiter in Betrieb bleibt, ein Kindergarten mit Aussenraum – eine nicht ganz alltägliche Nutzungskombination.
Norbert Föhn: Besonders ist auch, dass sich der Umbau im Laufe der Planungen zu einem Pionierprojekt für die Kreislaufwirtschaft entwickelt hat, um im Sinne des städtischen Netto-Null-Ziels die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Zur CO2-Reduktion trugen neben dem Erhalt der Primärkonstruktion einerseits die erneute Verwendung von vorhandenen Elementen aus den ehemaligen Wohnräumen und andererseits der Einbau einer Vielzahl von Re-Use-Bauteilen aus Abbruchobjekten bei. Wiederverwendet wurden unter anderem die Holzkonstruktion des Vordaches, die Aussentreppe, die Brüstungsgeländer und Pflanztröge, die Stahlkonstruktion zur Beschattung der Aussenräume, diverse Stahlträger in den Innenräumen, Brandschutztüren, Akustikpaneele aus Holzwolle, Garderoben, Sanitärapparate, Türgriffe und eine gebrauchte Küche.
Blick in Garderobe und Spielzone: Ein kräftiges Farbkonzept bindet die vielen verschiedenen Re-Use-Bauteile ästhetisch zusammen, sodass ein stimmiger Gesamteindruck entsteht. (Foto: Theodor Stalder)
Von der Garderobe gelangt man durch eine grosse Doppeltür ins Kindergartenzimmer. (Foto: Theodor Stalder)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Stephan Bischof: Wir versuchten, mit einfachen gestalterischen Mitteln die kleingekammerten Wohnungen in möglichst grosse, ineinanderfliessende Räume zu verwandeln. Dabei wurden die Innenwände rückgebaut und mithilfe von Stahlträgern drei etwa gleich grosse Räume für den Kindergartenunterricht, die Betreuung und einen multifunktionalen Garderoben- und Spielbereich geschaffen. Mittels eines kräftigen Farbkonzepts wollten wir die einzelnen Räume differenziert ausgestalten und gleichzeitig die unterschiedlichen wiederverwendeten Bauteile im Innenraum visuell zu einer Einheit zusammenführen.
Neue Schreinermöbel ergänzen Re-Use-Bauteile. (Foto: Theodor Stalder)
Bei den Stahlträgern, den Akustikpaneele und der Garderobe handelt es sich um gebrauchte Elemente. (Foto: Theodor Stalder)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Norbert Föhn: Prägend für das Projekt war die notwendige Entflechtung der Kindergarten- und Werkhofnutzung – insbesondere mussten Zugänge und Aussenräume strikt getrennt werden. Bereits zu Beginn war klar, dass der Kindergartenzugang nicht über das Treppenhaus des Werkhofs, sondern über den Vorplatz der gegenüberliegenden Schulschwimmanlage und über eine Aussentreppe erfolgen sollte.
Eine wiederverwendete Holzpergola mit Vordach schützt diese Aussentreppe vor Bewitterung und bildet eine sichtbare Adressierung des Kindergartens. Zur Überbrückung der Geschosse war zusätzlich eine Rutschbahn von der oberen Terrasse nach unten geplant. Doch eine gebrauchte Rutsche mit dem richtigen Gefälle liess sich nicht finden und eine Extraanfertigung stellte sich als zu teuer heraus. Die Kinder können jetzt aber über einen Kletterturm mit Hängeleiter spielerisch von einem Geschoss zum anderen gelangen.
Im möblierten Gruppenraum (Foto: Theodor Stalder)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Stephan Bischof: Bauen mit wiederverwendeten Teilen bedeutet ständige Projektänderungen und -anpassungen, insbesondere wenn man möglichst viele gebrauchte Elemente einsetzen möchte und die Zeit für die Bauteilsuche begrenzt ist. Unsere erste Skizze zur Visualisierung sah noch ziemlich anders aus als das letztendlich Gebaute. Im Innenraum ist dies weniger augenfällig als in der äusseren Erscheinung des Kindergartens: Für die Adressierung und den Witterungsschutz hatten wir anfänglich eine Holzkonstruktion über die gesamte Länge des Kindergartens geplant und im Aussenraum quer dazu eine filigrane stoffbespannte Metallpergola vorgesehen. Die «Bauteiljäger*innen», welche passende Bauteile aus Occasionslagerbeständen und Abbruchobjekten suchen, boten uns dann ein Balkon-Mock-Up des Flurhauses beim Freilager Zürich an sowie ein fast 20 Meter langes Stahlgerüst, das vor einer Coop-Filiale in Bachenbülach stand. Wir sahen in beiden angebotenen Bauteilen Potenzial und verwendeten sie schliesslich auch, obwohl sie unsere Planung auf den Kopf stellten.
Die Betonstützen, auf denen die Stahlträger aufliegen, haben eine skulpturale Qualität. (Foto: Theodor Stalder)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Norbert Föhn: Neben Neubauprojekten haben wir uns immer mit dem Bauen im Bestand beschäftigt. In der Vergangenheit stellten wir uns bei Projekten häufig die Frage, ob ein Abbruch oder ein Bauteilersatz wirklich notwendig oder doch eher purer Luxus ist. Der Schritt von der Frage nach Wiederverwendung von Bauteilen vor Ort zur Wiederverwendung von Elementen aus Abbruchobjekten war für uns naheliegend.
Die Sensibilität für Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit steigt stetig. Mittlerweile bearbeiten wir mehrere Projekte mit Re-Use-Aspekten für die öffentliche Hand, aber auch für private Bauträger. Dabei arbeiten wir meistens mit Spezialist*innen für Nachhaltigkeit oder einem Fachplanenden für Kreislaufwirtschaft zusammen. Alle unsere Bauprojekte überprüfen wir auf ihre Umweltfreundlichkeit hin. Wir forschen zum Erhalt von Bauten und Bauteilen und zum Entwerfen mit gebrauchten Teilen. Wir versuchen so, die konsumierte Menge an grauer Energie wirkungsvoll zu reduzieren.
Eingelagerte Materialien und Ausstattungsgegenstände, die im Zuge des Umbaus wiederverwendet wurden. (Foto: Theodor Stalder)
In den Kindergarten wurde eine gebrauchte Küche eingebaut. (Foto: Theodor Stalder)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Stephan Bischof: Das Projekt ist stark vom Wunsch geprägt, umweltfreundlich zu bauen. Besonders geleitet war unsere Entwurfsarbeit vom Re-Use-Gedanken. Als städtisches Pilotprojekt im Bereich Kreislaufwirtschaft und in Zusammenarbeit mit der Firma Zirkular und der Fachstelle umweltgerechtes Bauen der Stadt Zürich war das Ziel, möglichst viele Re-Use-Bauteile im Innen- und Aussenraum einzubauen. Lavabos und Toiletten aus den ehemaligen Wohnungen wurden demontiert und für den Wiedereinbau gereinigt und aufbereitet. Pflanztröge von den Balkonen konnten als Aussenraumbegrenzung wiederverwendet werden. Weiteres Mobiliar stammte aus stadteigenen Occasionslagerbeständen, und ein grosser Teil wurde von Bauteiljäger*innen aus Abbruchobjekten zusammengetragen.
Verglichen mit einem konventionellen Umbau, bei dem ausschliesslich neues Material verwendet wird, konnte eine Einsparung von rund 30 Prozent der grauen Emissionen (CO2e/m2a) nachgewiesen werden. Das ist doch beachtlich und zeigt, was möglich ist, wenn Bauherrschaft und Planende bereit sind, gemeinsam Verantwortung für ökologisches Bauen zu übernehmen.
Holzstützen aus einem Fassaden-Mock-Up sind für die Wiederverwendung eingelagert. (Foto: Theodor Stalder)
Einbau der gebrauchten Holzbauteile auf der Baustelle (Foto: Theodor Stalder)
Die grün markierten Elemente wurden als Re-Use-Bauteile wieder eingebaut. (© Bischof Föhn Architektur)
Grundriss der Kindergartenräume (© Bischof Föhn Architektur)
Kindergarten im Werkhof an der Mööslistrasse
Standort
Mööslistrasse 8, 8038 Zürich-Wollishofen
Nutzung
Kindergarten mit Betreuung
Auftragsart
Rahmenvertrag AHB Stadt Zürich
Bauherrschaft
Stadt Zürich, Amt für Hochbauten
Architektur
Bischof Föhn Architektur, Zürich
Projektleiter: Fabian Sauser
Fachplaner
Kreislaufwirtschaft: Zirkular GmbH, Zürich
Tragwerk: Ingenieurbureau Heierli AG, Zürich
HLKS: Haerter + Partner AG, Zürich
Elektro: Schmidiger + Rosasco AG, Zürich
Bauphysik: aik, Architektur + Ingenieur Kollektiv, Zürich
Bauleitung
Meili Partner Baumanagement, Zürich
Fertigstellung
2023
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 1.9 Mio.
Fotos
Theodor Stalder, Thema Fotografie GmbH, Zürich