Steve McCurrys Bilder faszinieren, doch in der Maag-Halle fehlt es ihnen an Wirkungsraum
Katinka Corts
14. July 2021
Foto: Steve McCurry
Seit vierzig Jahren bereist der Fotograf die Welt. Seine Arbeiten beeindrucken tief. Jetzt ist in Zürich die grosse Retrospektive «The World of Steve McCurry» zu sehen.
Geboren in einem Vorort von Philadelphia, Pennsylvania, studierte Steve McCurry Film an der Pennsylvania State University und arbeitete anschliessend für eine Lokalzeitung. Nach einigen Jahren der freiberuflichen Tätigkeit reiste er erstmals mit nur ein paar Kleidern und seiner Fotoausrüstung im Gepäck durch Indien. Nachdem er bereits mehrere Monate unterwegs gewesen war, liess er sich 1979 nach Afghanistan schmuggeln. Gerade hatte dort die sowjetische Invasion stattgefunden und westlichen Journalisten war die Einreise in das Land verboten. McCurry jedoch, inzwischen 29 Jahre alt, das Gesicht wettergegerbt und den Körper in traditionelle Kleider gehüllt, begleitete bis ins Jahr 1980 hinein eine Gruppe von Mudschaheddin, die gegen die Sowjets kämpfte. McCurry führte der Welt den Konflikt in Afghanistan vor Augen, indem er dem Thema ein menschliches Gesicht verlieh, das damals praktisch von jedem Medium aufgenommen wurde.
Foto: Andy Juchli / Steve McCurry
Foto: Steve McCurry
In der Zürcher Ausstellung, die von der Italienerin Biba Giacchetti konzipiert wurde, wird jene prägende Zeit in McCurrys Leben zum Startpunkt des Rundgangs. Im ersten Raum bleibt es ruhig und schwarz-weiss – hier sind die Fotografien aus eben jener Afghanistan-Reportage zu sehen. Vor seinem Rückflug in die USA habe er die belichteten Filme jeweils in seine Kleidung eingenäht, weil er wusste, dass ihm seine Kameras beim Verlassen des Landes abgenommen würden. So kamen nicht nur die Kriegsbilder vom Einmarsch der Sowjetunion aus dem Land, sondern auch all die Aufnahmen, die McCurry während seiner Zeit in Afghanistan von Menschen, Kultur und Bauten machte. Schwarz-weiss seien sie indes nicht, weil es dramatischer wirke, sagt er im Interview. Vielmehr waren damals Fotomaterialien sehr teuer, und nachdem sein mitgebrachtes Material verbraucht war, stieg er auf günstigeren Schwarz-Weiss-Film um.
Foto: Steve McCurry
Im Hauptraum der Ausstellung wird es dann farbig – und leider auch enger und voller. Auf einer Seite des komplett in Schwarz gehaltenen Raumes sind zahlreiche Porträts von Menschen zu sehen, zu manchen davon gibt es auch eine Geschichte zu hören. Manchmal wünscht man sich aber fast mehr eine kleine Beschriftung oder einen Text neben dem Bild als die Option auf Audiokommentare. Auch der fehlende Raum fällt auf. Wie gut täte es den Bildern, mehr Wirkungsraum zu haben! Jedes einzelne ist so stark, dass man davor innehalten und seine Gedanken schweifen lassen möchte. Die relativ eng und verwinkelt gestellte Ausstellungsgestaltung erlaubt aber kaum jenen Moment der Ruhe, den man gerne hätte, um dem Bild gerecht zu werden. Im Audioguide erklärt McCurry selbst sehr knapp, was es mit der Fotografie, vor der man gerade steht, auf sich hat und wie sie entstanden ist. Jede einzelne Arbeit, ob Porträt oder Landschaft, ist aber inhaltlich so dicht, dass wohl jeder nach dem Hören gerne noch weitere Fragen stellen würde. Mir fiel dies besonders beim Bild einer alten Frau auf, die tief gebückt durch eine Strasse läuft und die McCurry auf seinem Foto im Profil zeigt. Man erfährt, dass sie als Kindfrau verheiratet wurde; dass sie mit 14 Jahren zur Witwe wurde. Doch vor uns ist diese alte Frau mit ihrem Gebrechen und man möchte mehr über ihr Leben erfahren. Und genauso bleiben auch bei anderen Bildern Fragen – wie bei dem Porträt eines kleinen peruanischen Jungen, der sich mit Tränen in den Augen eine Waffe an die Schläfe hält. Man erfährt oft nur den Ort der Aufnahme, aber nicht die Geschichten dahinter, was (zumindest mich) unzufrieden zurückliess.
Foto: Andy Juchli / Steve McCurry
Foto: Andy Juchli / Steve McCurry
«Wenn man lange genug wartet, vergessen die Menschen die Kamera und ihre Seelen beginnen sich zu zeigen.»
Ebenfalls im Raum ist auf einem Monitor ein Zusammenschnitt von kurzen Filmen zu sehen, in denen Steve McCurry seine Arbeit und seine Herangehensweise an Projekte erläutert und einzelne Episoden aus den vergangenen 40 Jahren Revue passieren lässt. Einerseits ist es schön, diesen Einblick zu erhalten, und gleichzeitig ist auch hier die räumliche Situation unbefriedigend: Vier Hocker stehen vor einer Stellwand, an der auch ein Bild hängt, und man schaut auf die gegenüberliegende Wand, an der sich recht weit oben ein Bildschirm befindet. Auch wenn es löblich ist, dass die Arbeiten dieses grossen Fotografen erstmals in dieser Dimension und Vielfalt in der Schweiz gezeigt werden – hätten sie dann nicht erst recht Raum und Luft verdient gehabt? Wer sich die Ausstellung anschauen möchte, dem seien auf jeden Fall die Randzeiten empfohlen.