Das «Nagelhaus» bleibt – zunächst jedenfalls
Manuel Pestalozzi
30. November 2021
Auf dieser historischen Aufnahme erscheint das Gewerbehaus tatsächlich als eine Ikone der Moderne. Die äussere Erscheinung hat sich seither jedoch unvorteilhaft verändert und der Zustand des Baus ist nicht gut. (Foto: Neues Bauen, 1937, S.15)
Seit Jahren wird in Luzern über die Zukunft eines Gewerbehauses von Carl Mossdorf gestritten. Zunächst wurde der Abriss gestattet, jetzt ist die Zukunft des Baus wieder offen. Doch ist die Unnachgiebigkeit des Heimatschutzes richtig?
In Luzern sollte gegen das Gewerbehaus an der Tribschenstrasse 51 die Abrissbirne geschwungen werden. Gering ist die Wertschätzung für den mehrfach umgestalteten Exponenten des Neuen Bauens. Doch weil das 1933 errichtete Bauwerk einen historischen Wert hat, wurde eine Petition für seinen Erhalt gestartet. Seither wogte die Auseinandersetzung hin und her. Jetzt haben die Gegner des Abbruchs einen wichtigen Etappensieg errungen.
Entstanden ist das Haus nach einem Brand in der Altstadt. Die betroffenen zwanzig Betriebe beauftragten den Architekten Carl Mossdorf (1901–1969) mit der Planung eines Neubaus südöstlich vom Bahnhof. Der betont moderne Zweckbau weist eine Skelettkonstruktion in Eisenbeton auf, sein Flachdach ist begehbar. Architektonisch zeichnet er sich zudem durch innenliegende Stützen, eine klare Gliederung der Fassade mit angenehmen Proportionen und fassadenbündige Bandfenster sowie offene Laubengänge aus. Die heutige Eigentümerin ist die CSS Versicherung, welche direkt daneben Mitte der 2000er-Jahre durch den Architekten Andrea Roost einen Neubau errichten liess. Der historische Bau soll einem grösseren Neubau weichen, weil die Versicherung mehr Platz braucht.
Diese Entscheidung wurde nach mehreren Studien und Gutachten getroffen, die den baukulturellen Wert des Zeitzeugen ermitteln und zugleich die Möglichkeit prüften sollten, diesen trotz des Erweiterungsprojekts zu erhalten. Die Versicherung befürwortete den Abbruch, und 2017 entschied die Dienststelle Hochschulbildung und Kultur des Kantons im Einklang mit der Stadt und der Grundeigentümerin, das alte Gewerbegebäude nicht in das kantonale Denkmalverzeichnis aufzunehmen, da in diesem Fall die privaten Interessen und Eigentumsbeschränkungen höher zu gewichten seien als der baugeschichtliche Wert. Der Kunsthistoriker Michael Hanak hat diese Ereignisse in der Fachzeitschrift Tec21 nachgezeichnet. Er berichtete im Sommer vorigen Jahres auch über die eingangs genannte Petition. Hanak sieht viel in dem historischen Bauwerk: Es habe «Potenzial zur Ikone», urteilt er. Er verwahrt sich entschieden gegen den Abriss.
Doch Anfang Juli 2020 wies das Kantonsgericht eine Beschwerde gegen den Abbruch ab. Das Gebäude stehe nicht unter Denkmalschutz, sondern sei «nur» im ISOS, also dem Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder von nationaler Bedeutung, erfasst, lautete die Begründung. Der Innerschweizer und der Schweizer Heimatschutz zweifelten an der Rechtmässigkeit des Verfahrens und liessen das Urteil vom Bundesgericht überprüfen. Sie beantragten dort die Aufhebung der Abbruchbewilligung und die Zurückweisung an das Kantonsgericht Luzern zur neuen Prüfung. Auch sollte ein Gutachten der Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission sowie der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege eingeholt werden.
Das Bundesgericht hat nun entschieden, dass der negative Schutzentscheid, der in einem einseitigen Verfahren ohne Mitwirkung und Anfechtungsmöglichkeit des Heimatschutzes ergangen war, für die Erteilung der Abbruchbewilligung entgegen der Auffassung der kantonalen Vorinstanzen nicht bindend ist und daher angefochten werden kann. Das Bundesgericht hat ebenfalls zugunsten des Heimatschutzes festgehalten, dass der Verzicht auf Schutzmassnahmen in der Ortsplanung einen Schutz durch Einzelverfügung nicht ausschliesst. Letztlich ist das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht eingetreten, da die Abbruchbewilligung nur einen Zwischenentscheid darstellt. Die Auseinandersetzung des Bundesgerichts mit der Rechtsstellung des Heimatschutzes sei dennoch von wesentlicher Bedeutung für zukünftige Neubaubewilligungsverfahren, urteilt dieser selbst.
Unklar bleibt, wie es in diesem Streitfall nun weitergeht. Gewiss ist: Soll der Zweckbau tatsächlich zur Ikone werden, ist viel Arbeit zu leisten. Man müsste spätere Veränderungen rückgängig machen. Der Zustand der Tragstruktur müsste überprüft, Dichte und Dämmwerte müssten heutigen Normen angepasst werden. Dann ginge es darum, eine angemessene Nutzung zu finden – eine schwierige wie entscheidende Aufgabe. Das Gewerbehaus wäre nämlich nicht mehr ein Zweckbau, sondern ein Edelbau mit einem gewissen Ewigkeitsanspruch. Nachdem die Eigentümerin klar die Absicht bekundet hat, das Gebäude abzureissen, wird ihre Bereitschaft, stattdessen in dieses zu investieren, nicht allzu gross sein. Man wird das Gefühl nicht los, dass die am Widerstand beteiligten Organisationen und Fachleute sich in dieser Sache verrannt haben. Freunde gewinnt man mit dem geduldigen Aufstellen immer neuer Hindernisse kaum. Es geht hier wohl auch etwas vergessen, dass der Heimatschutz der Allgemeinheit dienen und keine Liebhaberei von Expert*innen und Aktivist*innen sein soll. Wir haben hierzulande bereits eine Kluft zwischen Profis und Laien, die der Bewahrung einer hochstehenden Baukultur schadet und zuweilen Unwille hervorruft. Diese sollte Zug um Zug geschlossen und nicht weiter vergrössert werden.
Wichtige Arbeit leistet die Stiftung Baukultur Schweiz. Kürzlich fand an der ETH Zürich ihre erste Jahrestagung statt.