Bedrohliche Chance? Autodesk kauft Spacemaker

Elias Baumgarten
17. March 2021
Foto: Pok Rie via pexels.com

Viel ist unlängst die Rede von künstlicher Intelligenz, die Gebäude entwirft und Architektinnen überflüssig macht. Algorithmen als Gestalter – ist das nur ein Schreckgespenst? Einfach Panikmache? Ja und nein. Der Digitalisierungsgrad der Bauwirtschaft ist heute bekanntlich vergleichsweise sehr niedrig: Anders als etwa Autos oder Flugzeuge werden Gebäude noch immer sehr altmodisch entworfen, konstruiert und schliesslich errichtet. Doch lassen wir uns nicht täuschen: Auch wenn auf der Baustelle und in vielen Büros davon noch wenig zu spüren ist, geht die technische Entwicklung von der Robotik über die Scanner- und Drucktechnik bis hin zu Planungs- und Entwurfswerkzeugen – kurz gesagt in allen Bereichen, die mit dem schwammigen Ausdruck Digitalisierung gemeint sein können – immer schneller voran. In den letzten Jahren hat sich viel getan, das genau beobachtet werden sollte. Ein interessantes Feld ist das maschinelle Lernen, ein Teilbereich dessen, was unter dem Begriff künstliche Intelligenz zusammengefasst wird. Maschinelles Lernen bedeutet, dass Algorithmen in vorliegenden Daten Muster erkennen und daraus eigenständige Problemlösungen entwickeln können. Ein spannendes Ereignis in diesem Bereich ist der Kauf der norwegischen Plattform Spacemaker durch die amerikanische Softwarefirma Autodesk. Letztere ist in der Architekturszene durch die Programme Revit und AutoCAD weithin bekannt. Die Übernahme wurde bereits letzten Herbst aufgegleist. Autodesk bezahlte USD 240 Millionen für das erfolgreiche Start-up, das seinen Marktstart 2017 hatte und inzwischen über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. 

Künstliche Intelligenz als Werkzeug in der Frühphase der Planung?

Spacemaker ist eine cloudbasierte Plattform. Sie nutzt einerseits künstliche Intelligenz, um Entwürfe auf Basis des 3D-Modells auf ihre Effizienz hin zu überprüfen. Effizienz kann dabei je nach Anwender wirtschaftlich verstanden werden, aber beispielsweise auch im Hinblick auf die Auswirkungen eines Projekts auf das Stadtklima. Dies weckt Erinnerungen an das Tool des Spin-offs der ETH Zürich Archilyse, das «Architekturqualität» messbar machen soll und zu dem wir 2019 Firmenchef Matthias Standfest interviewt haben. Darüber hinaus kann Spacemaker andererseits – und hier wird es besonders interessant – die «bestmögliche» städtebauliche Setzung für ein Grundstück ermitteln und «ideale» Layouts vorschlagen. Der Fachbegriff hierfür ist generatives Design. Doch was heisst das? Beim generativen Design legt der Gestalter Regeln und Ziele fest. Zwischen den unterschiedlichen Zielvorgaben wird eine Gewichtung vorgenommen. Ein Algorithmus entwickelt auf dieser Basis in einem schrittweisen Prozess, bei dem immer wieder die schlechtesten Lösungen verworfen und die besten weiterverfolgt werden, «ideale» Designvarianten. Richtig angewendet können so in kurzer Zeit extrem viele Alternativen ausgetestet werden – wesentlich mehr als beim parametrischen Entwerfen, bei dem Geometrien anhand von Parametern und deren Beziehung zueinander erzeugt werden. Das klingt gut, allerdings sollte man sich bewusst sein, dass künstliche Intelligenz Tücken hat: Sie ist immer nur so gut, wie die Daten, die sie bekommt. Fehlerhafte oder schlecht ausgewogene Daten und falsche Gewichtungen können den Algorithmus in die Irre führen, er zieht fortan falsche Schlüsse. Ein bekanntes Beispiel dafür aus einem anderen Bereich ist die Verwendung von künstlicher Intelligenz in der Polizeiarbeit (predictive policing). [1] Hier können vorhandene Daten dazu führen, dass Menschen aus bestimmten Gruppen, etwa Migranten, zukünftig häufiger verdächtigt werden.

Vor allem Projektentwickler sind interessiert

Die Spacemaker-Macher versuchen, ihre Plattform Architekturschaffenden schmackhaft zu machen. Sie könne den Gestaltungsprozess wesentlich beschleunigen und ausserdem zum Beispiel helfen, Aspekte des klimafreundlichen Bauens zu beachten. Der Druck auf Städteplaner und Architektinnen steige durch Klimakrise, Umweltzerstörung, Ressourcenverknappung, das starke Wachstum der Weltbevölkerung, die Landflucht und so weiter – sie bräuchten deshalb leistungsfähigere Werkzeuge. Die Firma hat ein Büro in Cambridge eröffnet und sucht die Nähe zum Massachusetts Institut of Technology (MIT), wo 2018 der interdisziplinäre Studiengang Urban Science and Planning with Computer Science für Städteplanerinnen und Informatiker aufgelegt wurde. Doch aktuell interessieren sich nicht allzu viele Architekturschaffende für die Technologie, die Spacemaker zugrunde liegt. Noch diskutieren wir selten ernsthaft über Potenziale und Risiken künstlicher Intelligenz in der Architektur. Dafür aber finden Projektentwickler Gefallen an Spacemaker und dem generativen Design: Zu den ersten Nutzern gehören die grosse skandinavische Firma NREP und Bouygues Immobilier aus Frankreich. Die «bestmögliche» Lösung ist dann im Klartext jene, die die grösstmögliche Rendite verspricht. 

Zweischneidiges Schwert

Autodesk hat durch die Übernahme die Möglichkeit, Spacemaker weiterzuentwickeln und mit einem erprobten BIM-Programm wie Revit zu koppeln. So wäre es in nicht allzu ferner Zukunft innerhalb kürzester Zeit möglich, scheinbar ideale Überbauungen und Quartiere zu entwerfen und durchzuplanen. Die Schreckensvision mancher Architekturschaffender, von Algorithmen ersetzt zu werden, könnte real werden. Entwickler und andere am Bau Beteiligte hätten die Chance, «ineffiziente» Gestalterinnen endgültig aus dem Planungsprozess zu drängen. Ganz so schwarz aber sieht die Zukunft vielleicht doch nicht aus, wie uns Patrick Lüth von Snøhetta jüngst im Interview für Austria-Architects bestätigte: Spacemaker kann zwar Faktoren wie die Baugesetzgebung berücksichtigen, klimatische Bedingungen, den Verkehr, die Lärmbelastung, die Lichtverhältnisse und dergleichen mehr, doch räumliche, atmosphärische und soziale Qualitäten, die echte Architekten zu liefern vermögen, bleiben (noch) aussen vor. Ob das für alle Zeiten so sein wird, ist allerdings offen – Matthias Standfest sagte im Interview mit uns, auch ästhetische Qualitäten seien mittelfristig mess- und prognostizierbar

Positiver kann das generative Design auch als mächtiges Werkzeug verstanden werden, das gepaart mit unseren nur scheinbar altmodischen Fähigkeiten helfen kann, bessere architektonische Antworten auf komplexe Zukunftsfragen zu finden. Diese Auffassung dürfte beispielsweise Harry Gugger teilen, der an der EPF Lausanne unterrichtet und an einem Positionspapier der Schweizer Architekturschulen zur Digitalisierung [2] entscheidend mitgearbeitet hat. Er meinte mir gegenüber kürzlich, er sehe den Einsatz digitaler Werkzeuge und besonders von künstlicher Intelligenz in Architektur und Städtebau als riesige Herausforderung, aber auch als Chance. Maschinelles Lernen und allgemein algorithmisches Denken (computational thinking) könnten helfen, sagt er, zukunftsfähige Gestaltungen zu entwickeln, seien aber in Ausbildung und Praxis leider noch kaum Thema. Das ist gefährlich. Es ist wichtig, künftig einerseits wach und interessiert zu sein und andererseits unsere architektonischen Kernkompetenzen, allen voran die qualitative Gestaltung von Raum, zu kultivieren. Sonst werden andere, die gestalterisch wenig inspiriert, dafür aber Neuem gegenüber aufgeschlossener sind, die Technologien für ihre Zwecke nutzen – die Konsequenzen dürften uns nicht gefallen. 

[1] Vergleiche hierzu: Manuela Lenzen, «Künstliche Intelligenz. Was sie kann & was uns erwartet», C.H.Beck, München 2018, S. 169.

[2] Architekturrat der Schweiz, «Positionspapier: Digitalisierung in der Architekturausbildung», 2019.

Künstliche Intelligenz. Was sie kann & was uns erwartet

Künstliche Intelligenz. Was sie kann & was uns erwartet
Manuela Lenzen

272 Pages
Klappenbroschur
ISBN 9783406718694
C.H.Beck
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