Trompe-l’œil
Bellorini Architekten AG
18. March 2021
Fotos: Alexander Gempeler
Das Team von Bellorini Architekten hat für das Restaurant Zum Äusseren Stand in Bern ein überdachtes Hofcafé entworfen. Seine illusionistische Gestaltung spiele mit der Ambivalenz der Raumwirkung, sagt Martin Spaett.
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Das Glasdach, das in den 1980er-Jahren als stark geneigtes Pultdach in die ursprüngliche Hofsituation eingepasst wurde, sollte zusammen mit der Gastronomieküche und den Haustechnik-Installationen ersetzt werden. Aus unserer Sicht musste in diesem Sanierungsschritt auch über die Neufassung der bis dahin kahlen Hofwände nachgedacht werden.
Der Raumeindruck schwankt zwischen Innen- und Aussenraum. (Foto: Alexander Gempeler)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Dem ambivalenten Raumeindruck des Hofcafés, der zwischen Innen- und Aussenraum oszilliert, sollte durch eine illusionistische Gestaltung begegnet werden, die sich an den Malereien des Barocks und Rokokos orientiert. Durch Trompe-l’œil-Elemente wird das Oszillieren selbst zum Thema. Massgebend dafür ist die Umsetzung des Spaliermotives an den Wänden: Die notwendige Akustikverkleidung im unteren Bereich des hohen Raumes wurde mit einem bedruckten Stoff bespannt, der in enger Zusammenarbeit mit dem Grafiker Lorenzo Conti entstanden ist. In den Sockelelementen der Spalierverkleidung wurden die Zuluftkanäle platziert.
Im oberen Teil des Hofcafés führt die Gipsstuckatur den illusionistischen Raumeindruck bis zum neuen Glasdach fort. Über das neue umlaufende Gesims, das als Fortführung des Altbaugesimses die Dachrinne verkleidet, wird verdeckt die Fortluft abgesaugt. Durch die Verwendung von reaktivem Glas beim neuen Glasdach konnte auf die Applikation eines aussenliegenden Sonnenschutzes verzichtet werden. Das ermöglicht auch bei Sonnenschein den unbehinderten Blick gen Himmel.
Ein kleines, augenzwinkerndes Detail spielt auf einer weiteren Ebene mit dem Thema der Raumillusion: Der Affe, das Wappentier des Äusseren Standes, der seit 1980 auf einem Wandbild einsam über dem Brunnen auf einem Krebs reitet, hat im Zuge der Neugestaltung des Hofcafés nun endlich Gesellschaft von zwei Artgenossen erhalten, die fröhlich auf dem Abschlussgesims herumtollen und Bananen stibitzen. Die Affen und Bananen wurden nach plastischen Tonvorlagen des Keramikkünstlers Roland Aebi in Gips abgegossen und vor Ort in der Farbe des Berner Sandsteins gefasst.
Das Spalier vor der Landschaft von Lorenzo Conti (Foto: Lorenzo Conti)
Die Verkleidung der neu gestalteten Hofwand (Foto: Alexander Gempeler)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Die eben erklärte Ambivalenz des Raumes hat die Entwurfsentscheidungen massgeblich geprägt. Unsere Gestaltung spielt mit allen Mitteln des klassischen Trompe-l’œils: gebaute Elemente (Spalier, Stuckprofile, Rinnenverkleidung), auf Stoff gedruckte, aber auch gemalte. Das Farbkonzept unterstützt dabei die illusionistische Wirkung auf verschiedenen Ebenen. Das grüne Holzspalier ist in seiner Machart und Farbigkeit der Realität entlehnt und vermittelt zu der auf Stoffbahnen gedruckten Landschaft dahinter. Der hellblaue Himmel der Stoffbespannung führt über in die farblich darauf abgestimmten Stuckkanneluren, die in zwei leicht differenzierten Farbnuancen gehalten sind. Die Ambivalenz des Raumes wird ein weiteres Mal durch das nun allseitig umlaufende Abschlussgesims der Rinnenkonstruktion betont, das auf den drei neu gestalteten Seiten in Form einer Holzkonstruktion ergänzt wurde. Durch die farbliche Anpassung der Holzverkleidung an den Berner Sandstein erscheint das neue Gesims als Fortführung des steinernen Hauptgesimses der Altbaufassade. Dieses leitet zur schlanken Stahlkonstruktion des Glasdaches über.
Die Bauherrschaft ist eine 1979 gegründete Stiftung, deren Zweck Kauf, Restaurierung und Erhalt des Rathauses des Äusseren Standes für die Öffentlichkeit ist. Im 1817 im Empire-Stil umgebauten Saal wurde 1831 die erste bernische Staatsverfassung ausgearbeitet und unterzeichnet.
Seit 1990 beherbergt das Gebäude ein Restaurant, das wir 2012 umbauen konnten. Für die zahlreichen Anlässe, für die der Empire-Saal und das Restaurant gebucht werden, suchte die Stiftung eine Neufassung des in die Jahre gekommenen Hofcafés, die sensibel mit dem geschichtsträchtigen Ort umgehen und zugleich den Erfordernisse einer zeitgemässen, gehobenen Gastronomie genügen sollte.
In diesem Sinne war es anstelle einer «Beeinflussung» eher ein Ziehen am gleichen Strang, ein wiederholtes Vorstellen und Abgleichen unserer Entwurfsideen mit den Interessen der Denkmalpflege, der Bauherrschaft und des Pächters der Gastronomie.
Die kannelierten Stuckelemente über dem Spalier (Foto: Martin Spaett)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Nein, eigentlich nicht – es war immer ein Weiterentwickeln der Grundideen. Um ein Beispiel auszuführen: Wir wollten von Anfang an ein Glasdach mit umlaufender Traufe, damit wir aus der Fortführung eines Gurtgesimses des Altbaus den oberen Raumabschluss des neuen Hofraumes bilden können. So gab es eine umlaufende Rinne um den schiefwinkligen Hof, die wir hinter dem nachgebildeten Altbaugesims verstecken konnten. Über dem Gesims faltet sich ein gläsernes Walmdach. Eine Raumsimulation legte dann aber nahe, dass ein aussenliegender Sonnenschutz erforderlich sei. Da dieser in der Einbausituation jedoch zu kompliziert geworden wäre, statteten wir das Dach mit reaktiven Glasfeldern aus und konnten so auf weitere Massnahmen verzichten.
Gestalterische Sensibilität führt uns immer wieder zu Projekten mit bestehender Bausubstanz. Bei geschützten Objekten arbeiten wir erfolgreich und von Anfang an eng mit der Denkmalpflege zusammen. Unser Ziel sind vom Ort geprägte Architekturen im Dialog mit dem Bestehenden. Fundiertes Wissen über Baustoffe und deren handwerkliche Verarbeitung bilden die Grundlage unserer Architektur.
Der Äussere Stand reiht sich zwischen zahlreiche Sanierungsprojekte ein: Wohnungen und Häusern in der Berner Altstadt, der Erlacherhof und schliesslich das Stadttheater. All diese Projekte zeichnen sich durch Respekt vor und Interesse am Bestand aus und die Lust, mit guten Handwerksfirmen die Biografien der Häuser weiterzuschreiben.
Was sind aktuelle Tendenzen? Uns interessieren langlebige, natürliche Materialien und Konstruktionen, die altern können. Lowtech liegt uns näher als Hightech (aber wir haben uns dennoch für reaktives Glas entschieden). Gestaltung entwickelt sich nie aus blossem Gestaltwillen, sondern erfüllt immer auch konstruktive oder technische Belange (Gipskanneluren zur Verbesserung der Raumakustik) und schreibt die Geschichte des Ortes behutsam weiter.
Das Wappentier des Äusseren Standes – am Brunnen und auf dem Gesims (Foto: Alexander Gempeler)
Die Affen für das Gesims von Roland Aebi in der Trockenkammer (Foto: Michael Hess)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Insgesamt ist das sicherlich die Wandverkleidung der neu gestalteten Hofwände: Während die Akustikverkleidung im unteren Wandabschnitt den Schall dämpft, verhilft die Kannelierung der Stuckelemente im oberen Bereich zur Streuung des Luftschalls. Dadurch wird die Nachhallzeit des Raumes mit seinen vielen harten Oberflächen verkürzt. Die nach oben strebende Struktur der Kannelierung erzeugt im Tagesverlauf ein sich ständig veränderndes Licht- und Schattenspiel, das die Enge des umschlossenen Raumes aufzuheben vermag. Die leicht abgetönte Wandfläche ist vertikal im Rhythmus des darunterliegenden Spaliers und horizontal in Höhe des Geländers des Altbaubalkons durch schmale, halbrunde und weiss überhöhte Profile gegliedert. Die neu gestalteten Wandflächen werden durch die Fortführung der horizontalen Gliederungselemente mit der bestehenden Hoffassade verbunden.
Das Rundfenster in der Eingangsachse zur Passage verhilft dem Restaurant auch auf dieser Zugangsseite zu einer Adresse und wirkt in der abendlichen Ausleuchtung des Hofcafés beinahe wie ein Himmelskörper.
Der heterogene Untergrund der Umfassungswände des Hofes (bestehende Beton- und Kalksandsteinwände, Verfüllungen von Konsolen für das Glasdach und eine neue Ständerwand zur benachbarten Passage) wurde durch Stuckgipsprofilplatten überdeckt. Durch den gewählten Rhythmus und die Trennung der einzelnen Kanneluren mit schmalen, planen Stegen können Masstoleranzen des Bestands sowohl in den Raumecken als auch bei den gliedernden, vertikalen Teilungen aufgenommen werden. Mit lediglich drei Schablonen konnten alle Profile für die Wandflächen hergestellt werden. Zwei zusätzliche wurden für die Ausbildung der Innenecken sowie das Rundfenster benötigt. Die insgesamt 384 in der Werkstatt vorfabrizierten Stuckplatten mit einer Breite von jeweils 30 Zentimetern wurden auf der Baustelle passgenau zusammengesetzt und ausgespachtelt.
Details Wandverkleidung
Schnittperspektive
Grundriss und Schnitt
Hofcafé Rathaus Zum Äusseren Stand
Standort
Zeughausgasse 17, 3011 Bern
Nutzung
Restaurant
Auftragsart
Direktauftrag
Bauherrschaft
Stiftung Rathaus des Äusseren Standes
Architektur
Bellorini Architekten AG, Bern
Pascale Bellorini und Martin Spaett
Fachplaner
Gastroplaner: Atelier AIP GmbH
Entwurf Stoffdruck: Lorenzo Conti, Bern
Bauingenieur: Emch & Berger Bern AG
Elektroplaner: fux & sarbach ENGINEERING AG
Bauphysiker: Grolimund + Partner AG
Lichtplaner: Lichtbau GmbH
Metallbauplaner: Speiser Metallbauplanungen GmbH
Sanitärplaner: Bieri Sanitärplanungen
Jahr der Fertigstellung
2019
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 4 Mio.
Kunst am Bau
Roland Aebi, Liebefeld: Bauplastik – Affen und Bananen
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Baumeisterarbeiten: Wirz AG, Bern
Glasdach: Charles Sauter AG, Lyss
Lüftungsanlagen: E. Kalt AG, Gümligen
Gipserarbeiten: Wenger, Hess & Partner GmbH, Gümligen
Schreinerarbeiten: A. Reist Schreinerei AG, Bern
Stoffdruck: Création Baumann AG, Langenthal
Stoffbespannung: Steffen Raumkonzepte AG, Herzogenbuchsee
Malerarbeiten: Burkhard & Co AG, Gümligen
Auszeichnung
Schweizer Preis für Putz und Farbe: Silber in der Kategorie Innenraumgestaltung
Fotos
Lorenzo Conti, Alexander Gempeler, Michael Hess und Martin Spaett