Sanierung Hallenstadion
15. Juni 2006
Text: Werner Huber
Fotos: Giorgio Hoch
Das bald siebzigjährige Hallenstadion in Zürich-Oerlikon hat eine Verjüngungskur hinter sich, die aus dem einstigen Radtempel eine zeitgemässe Veranstaltungshalle machte. Das denkmalgeschützte Haus blieb erhalten, Zusatznutzungen haben in einem Vorbau Platz gefunden. Eine Würdigung des neuen Hallenstadions als Match in drei Dritteln samt Schlusspfiff.
Der Vorbau verleiht dem Zürcher Hallenstadion gegen die Wallisellenstrasse ein neues Gesicht. Der Eingang liegt nicht mehr zentral, sondern an den Schmal-seiten des neuen Betonriegels.
1. Drittel: Der Altbau
Die 1912 errichtete offene Radrennbahn in Oerlikon war der Stolz der
damals noch selbstständigen, reichen Industriegemeinde vor den Toren
Zürichs. Doch häufig vergällte der Regen das sonntägliche Vergnügen,
und so tat sich 1932 ein Initiativkomitee zusammen, um eine gedeckte
Rennbahn zuerstellen. 1938 – Oerlikon gehörte nun zur Stadt Zürich –
waraus dem Initiativkomitee die Aktiengesellschaft Hallenstadion
geworden, die dank Beiträgen von Bund, Stadt und Kanton Zürich im
Frühling 1938 mit dem Bau des Hallenstadions beginnen konnte. Am 4.
November 1939 eröffnete ein Fest ‹unter dem Protektorat des
Stadtzürcherischen Verbandes für Leibesübungen› den von Architekt Karl
Egender, den Ingenieuren Ernst Rathgeb und R. A. Naef erstellten Bau.
Dieser besteht aus zwei Teilen: der massiven ‹Schüssel› mit Rennbahn,
Tribünen und Garderoben und dem stählernen ‹Deckel›. Die Schüssel ist
als Betonrahmenstruktur konstruiert, an der die nur gerade acht
Zentimeter dicken Betonplatten von einer Zeit zeugen, in der die Arbeit
billig und das Material kostbar war. Unabhängig von der Schüssel steht,
als Meisterleistung der Ingenieure, die Stahlkonstruktion des Daches
auf vier Stützen an den äusseren Ecken der Tribüne. Zwei mal zwei
Hauptbinder, je zehn Meter hoch, spannen ein Rechteck auf, in das vier
weitere Binder eingehängtsind. Darauf liegt die 10 000 Quadratmeter
grosse Dachfläche aus Holzsparren, Schalung und Kiesklebedach. Um das
zu beheizende Volumen zu reduzieren, hängte man auf halber Höhe der
Hauptträger eine Decke aus Eternitplatten an ein Holzgebälk. Die darin
‹versinkenden› Fachwerkträger der Haupttragebene haben den Raumeindruck
geprägt.
Durch die zwischen die Schüssel und den Deckel gespannte Glashaut
strömte viel Licht in die Halle, doch war diese lichte Atmosphäre nur
noch auf alten Fotos zu bewundern. Längst waren die Glasflächen hinter
grossen Vorhängen verschwunden, die das Tageslicht aussperrten. Denn
obschon die Radrennen zunächst den Kalender dominierten, war das
Hallenstadion von Beginn weg als Mehrzweckhalle geplant. So gab es
Boxkämpfe, Reitwettbewerbe, Opernaufführungen oder Zirkusvorstellungen,
und schliesslich erlebte das Hallenstadion am 18. November 1950 seinen
erstenEishockeymatch: ZSC gegen Arosa.
Zwischenresultat des 1. Drittels: Bei seiner Eröffnung war das
Hallenstadion eine der grössten Veranstaltungshallen Europas. Die
‹Schildkröte›, wie das sechseckige Gebäude mit seinem nur minimal
geneigten Dach genannt wurde, ist zu einem Wahrzeichen Oerlikons
geworden. Seit der Eröffnung hat man es stets in Schuss gehalten,
repariert, was nötig war, und hier und dort kleinere Umbauten
durchgeführt. Doch mit den Jahren machten sich die Altersbeschwerden
bemerkbar; das alte Haus genügte den Ansprüchen nicht mehr. So musste
die Beleuchtung für jeden Anlass separat an der Decke befestigt werden,
und in einer Zeit, wo die grossen Stars ihr Equipment in 40-Tönnern
antransportieren, konnte bloss ein Gabelstapler von aussen ins
Hallenstadion fahren. Zudem büsste der Radrennsport seine Bedeutung ein
und die Rennbahn stand den meisten Veranstaltungen im Weg. Nach Aufgabe
des Sechstagerennens war der Weg frei für eine zeitgemässe
Mehrzweckhalle.
Erstmals seit Jahrzehnten lässt sich die Halle wieder im Tageslicht
erleben. Doch bei den meisten Veranstaltungen werden die Vorhänge
gezogen sein.
2. Drittel: Die Sanierung
In einer Bauzeit von nur
einem guten Jahr haben Pfister Schiess Tropeano Architekten, Meier +
Steinauer Partner und der Totalunternehmer Karl Steiner den Bau
gründlich saniert und aufgerüstet. Die innere Betonstruktur, die Fasssaden samt Fenster und Türen waren beim Umbau tabu, denn das Hallenstadion steht unter Denkmalschutz. Hingegen hat man die nicht mehr benötigte Radrennbahn entfernt und den Hallenboden mit dem Eisfeld um 1,50 Meter abgesenkt. Das erlaubte, ein Zu- und Wegfahrt für grosse Lastwagen durch die beiden seitlichen Tribünen in die Halle zu führen und an Stelle der einstigen Radrennbahn eine ansteigende Bestuhlung mit guten Sichtverhältnissen einzubauen. Rund 13 000 Plätze zählt das Hallenstadion auf - je nach Rang - mehr oder weniger gepolsterten, blauen Sesseln; 19 verschiedene Varianten für die Bespielung des Raumes sind ausgearbeitet und feuerpolizeilich abgeklärt. Der markanteste Eingriff in der Halle ist der dreigeschossige Bau in der Südkurve, der zwanzig Logen und die Kabinen für Regie, Dolmetscher und Sprecher aufnimmt. Von hier aus können Gäste der Logenmieter (250 000 Franken pro Jahr) das Geschehen aus bester Perspektive verfolgen.
An der imposanten Stahlkonstruktion des Daches mussten die Ingenieure
Walt + Galmarini sorgfältig rechnen, um den heutigen Vorschriften zu
genügen. So brachte die Entfernung der abgehängten Decke die nötige
Gewichtsersparnis, um die Dachfläche zu isolieren und neu einzudecken
und um Videowände, Sprinkler und Beleuchtungseinrichtungen an die
Stahlkonstruktion zu montieren. Den Veranstaltern steht eine
Tragkraftreserve von 20 Tonnen zur Verfügung, die sie für eigene
Installationen nutzen können. Die Dachkonstruktion, die 65 Jahre lang
zur Hälfte verborgen war, ist nun sichtbar. Da fast alle Veranstalter
eine dunkle Umgebung verlangen, ist die Decke dunkelblau und
selbstverständlich sind Verdunkelungsvorhänge eingebaut. Immerhin
lassen sich diese nun automatisch zuziehen.
Dunkelblau ist auch ein breites Betonband, das sich über dengrossen
Glasflächen der Deckenkante entlangzieht. Was auf den ersten Blick wie
ein unverständliches Tragelement aussieht, ist der seinerzeit in fünf
Zentimeter dickem Ortbetonerstellte Zuluftkanal. Diesen haben die
Haustechniker zum Abluftkanal umgepolt und die Zuluft unter die Sitze
verlegt. Die umfangreichen Lüftungsaggregate, welche die Halle im
Normalbetrieb stündlich mit 200 000 Kubikmeter Luft versorgen, sind in
Türmen untergebracht, die an den Längsseiten ausserhalb des
Hallenstadions stehen und mit den neuen Fluchttreppen kombiniert sind.
Die zunächst geplante Versenkung der Lüftung unter den Hallenboden
scheiterte bald an Kosten und Terminen.
Zwischenresultat des 2. Drittels: Nach dem Umbau spielt das
Hallenstadion wieder in der ersten Liga mit. Die geschwungene, weiss
gestrichene Betonwand inmitten der Sitzreihen erinnert an die einstige
Rennbahn und das Logenbauwerk setzt sich als eigenständiges Element vom
Alten ab. Ein Wermutstropfen bleibt: die Decke. Nach Entfernung der
Zwischendecke ist zwar die Stahlkonstruktion in ihrer ganzen Pracht zu
sehen. Doch gerade die eigentümliche Zwischendecke war charakteristisch
für den Raumeindruck. Als Ersatz hat man einen Gitterrost geprüft,
musste die Idee aber wegen des Gewichts und der Kosten fallen lassen.
Nun fehlt im Mittelteil dieses Element völlig – und in den
Randbereichen ist bloss der Holzrost übrig geblieben. So interessant
die Konstruktion ist, die einheitliche dunkelblaue Farbe verunklärt
deren Lesbarkeit. Zwar untersuchten die Architekten zusammen mit der
Denkmalpflege verschiedene Farbvarianten, doch setzte sich der von der
Bauherrschaft verlangte einheitliche dunkle Farbton durch.Der
dunkelblaue Anstrich der Dachkonstruktion verwischt aber auch den
ansonsten deutlichen Kontrast zwischen Alt und Neu: Mit ihrer Farbe
verbindet sich die alte Stahlkonstruktion optisch mit der neuen
Bestuhlung und setzt sich von der alten Betonstruktur ab.
In der Südkurve sind die VIP-Lounges in einem vom Altbau abgesetzten Betonbau eingerichtet. Nach Entfernung der Zwischendecke ist die Stahlkonstruktion des Daches in ihrer vollen Höhe erlebbar.
3. Drittel: Der Vorbau
Bereits in ihrem
Projekt von 1937 hatten die Architekten Egender und Müller vor dem
Hallenbau ein viergeschossiges, konkav geschwungenes Gebäude mit
Eingangshalle und Restaurant vorgeschlagen. Weil damals die Mittel für
die Realisierung nicht vorhanden waren, fehlten dem Hallenstadion
seither ein Foyer und ein richtiges Restaurant. Jetzt stand dieser
Platz zur Verfügung, um Kassen, Restaurants, Konferenzräume und Büros
zu erstellen. Die Architekten entwarfen einen viergeschossigen Riegel,
der an die beiden seitlichen, weit vorstehenden Treppenhäuser des
Altbaus andockt. Ein Knick in der Fassade markiert die Längsachse des
Stadions und lässt den Bau gegenüber dem Portikus der benachbarten
Messe etwas zurückweichen.
Gegen aussen verschliesst sich der Vorbau weitgehend. Nur die Kassen
und Imbissstände im Erdgeschoss und einzelne Räume in den
Obergeschossen öffnen sich zur Strasse hin. Weil das verbleibende
Trottoir für grosse Menschenmassen zu schmal ist, führt der Hauptzugang
nicht mehr frontal auf den Bau zu, sondern die beiden Haupteingänge
liegen an den Stirnseiten des Vorbaus. Aus einer offenen Vorzone
gelangt man über einen niedrigen Bereich, dessen Raumhöhe von der Kote
des ersten Ranges im Altbau bestimmt ist, ins hohe, von
Oberlichtkuppeln erhellte Foyer. Dieses ist die Überraschung des Umbaus
und die Drehscheibe, die dem Stadion bis anhin fehlte. Vom Foyer aus
führen die Treppen auf die Ränge oder in das grosse Restaurant im 1.
Stock, das sich mit breiten Schiebetüren zum Foyer hin öffnen lässt.
Die Besucher der VIP-Lounges gelangen via separaten Eingang direkt ins
2. Obergeschoss. Dort steht ihnen ein eigenes Restaurant zur Verfügung.
Damit der ehrgeizige Terminplan überhaupt einzuhalten war, wurde die
gesamte Betonkonstruktion vorfabriziert und auf der Baustelle montiert.
Ausgefacht ist die Tragstruktur aber nicht mit Backstein wie am Altbau,
sondern mit Tafeln aus verzinktem Blech, die einen ähnlichen
industriellen Touch vermitteln. Dazu gesellt sich der homogene Boden
aus schwarzem Gummigranulat mit eingestreuten Aluminiumspänen, der sich
durch das Foyer, über die Treppen und durch die Räume zieht.
Zwischenresultat des 3. Drittels: Ein Foyer, ein anständiges
Restaurant, Konferenzsäle, ein VIP-Bereich sowie angemessene Räume für
die Verwaltung – das ist für das Hallenstadionkein Luxus. Diese Räume
haben bis anhin gefehlt und es ist nahe liegend, sie dort
unterzubringen, wo die Architekten bereits vor fast siebzig Jahren ein
Gebäude vorgesehen hatten. Mit ihrer Materialwahl haben die Architekten
den Charakter des alten Hallenstadions aufgenommen, ohne sich mit einer
simplen Übernahme der Materialpalette anzubiedern oder gar den Eindruck
zu erwecken, der Vorbau habe schon immer hier gestanden. Als Folge des
neuen Vorbaus ist aber das Hallenstadion als ‹Landmark› – das Rund der
Südspitze über dem von den Treppenhäusern gefassten Platz – aus dem
Stadtbild verschwunden. Ein Wiedersehen mit dem vertrauten Bau gibt es
erst im Foyer. Doch da die Architekten aus Kostengründen kein
Glasdacheinbauen konnten, zerschneidet eine Betondecke den Blickauf die
Fassade. Nur deren unterer Teil ist zu sehen – das Aha-Erlebnis bleibt
in der Hälfte stecken.
Obschon der Neubau im grossen Ganzen das bereits von Egender
vorgesehene Volumen umfasst, wirkt er zu klein. Denn die Umgebung des
Hallenstadions hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert –
insbesondere mit der benachbarten Messe und ihrem kolossalen Vordach.
Haben sich vor dem Umbau des Hallenstadions die beiden Bauten zu einem
grossmassstäblichen Ensemble verbunden, bringt nun der Vorbau einen
kleineren Massstab ins Spiel. Dieser wird den beiden Hallenbauten, aber
auch dem Hallenstadionallein und seiner Bedeutung nicht gerecht. Die
Architekten hatten dieses Problem erkannt und gegenüber dem Amt für
Hochbauten der Stadt Zürich die Ansicht vertreten, ein zusätzliches
Geschoss wäre eine adäquate Antwort gewesen. Zu Recht, wie der fertige
Bau zeigt.
Der Raum, der dem Hallenstadion bisher fehlte: das Foyer. Dieses ist
die Drehscheibe für alle Veranstaltungen, hier treffen auch der Alt-
und der Neubau aufeinander.
Schlusspfiff
Den Schönheitsfehlern zum Trotz: der Umbau
des Hallenstadions ist gelungen. Man mag es bedauern, dass der spröde
Charme von einst dem zeitgemässen Komfort und der Effizienz hat Platz
machen müssen. Doch muss man bedenken, dass das Hallenstadion, wie es
war, keine Zukunft gehabt hätte. 2005 ist nicht 1939 und zeitweise
stand sogar der Abbruch des Egender-Baus zur Debatte. Jetzt hat Zürich
wieder eine Veranstaltungshalle, die auf der Höhe der Zeit ist und
dennoch die Vergangenheit spüren lässt. Denn die Architektur des
Altbaus hat unter dem Umbau kaum gelitten; das Gebäude mit seinen
grossen Glasflächen blieb erhalten und die neuen Zutaten zerstörten vom
Alten nur wenig. Nichts hindert künftige Generationen daran, die
Stahlkonstruktion der einst anders zu streichen, wieder eine
Zwischendecke einzubauen, den Vorbau abzureissen – oder ihn
aufzustocken, damit er das Gewicht erhält, das er an dieser Stelle
braucht.
Zur Eröffnung ist ‹Das Hallenstadion – Arena der Emotionen›,
herausgegeben von Heiner Spiess erschienen. Das Buch erzählt auf 282
Seiten und in 300 Bildern 65 Jahre Hallenstadion-Geschichte und
schildert ausführlich den Umbau. CHF 78.–
Im Schnitt gibt die Horizontale auf der Höhe der Dachkante an, wo
früher die Zwischendecke lag. Nur die untere Hälfte der 10 Meter hohen
Träger war zu sehen. Heute ist der Blick in die Dachkonstruktion frei.
Zentral im 1. Obergeschoss liegt das grosse Restaurant. Zwei kleinere Satelliten- und Verpflegungsbuffets sorgen im Umgang für das leibliche Wohl.
Wo man einst unter dem morschen Vordach auf den Einlass warten musste, stimmt heute ein grosszügiges Foyer die Gästeauf die Veranstaltungen ein.
Sanierung Hallenstadion
2005
Wallisellenstrasse
Zürich
Bauherrschaft
AG Hallenstadion
Zürich
Totalunternehmer
Karl Steiner
Zürich
Architektur
Architektengemeinschaft
Hallenstadion
Pfister Schiess
Tropeano & Partner
Architekten AG
Zürich
und
Meier + Steinauer
Partner AG
Zürich
Bauingenieur
Walt + Galmarini
Zürich
Haustechnik
Grünberg & Partner
Zürich
Gesamtkosten
ca. 145 Mio. Franken
Hochparterre und Zumtobel
Staff laden zur Besichtigung
des umgebauten und
erweiterten Hallenstadions ein.
Die Architekten
Thomas Pfister und
Martin Meier
führen durch die Gebäude.
Nach der Besichtigung offeriert
Zumtobel Staff einen Apéro.
Datum
Donnerstag, 6. Oktober
18 Uhr
Treffpunkt
Haupteingang Seite
Tramhaltestelle
Anreise
IR und S-Bahn bis
‹Zürich-Oerlikon›
oder Tram 11 bis
‹Messe / Hallenstadion›
Anmeldung
Senden Sie eine E-Mail an
architektour@zumtobelstaff.ch
Die Teilnehmerzahl ist
beschränkt!