Keine Flüchtlingsarchitektur, bitte

Manuel Pestalozzi
18. September 2015
Der holländische Pavillon der Expo 2000 als Flüchtlingsheim und Begegnungszentrum. Bilder: Leibniz Universität in Hannover

Give Them Shelter - Willkommen in Deutschland! So titelt Baunetzwoche, das «Querformat für Architekten», in der Ausgabe vom 17. September. Der Hintergrund des englischen Aufrufs und des deutschen Grusses bildet ein Familienfoto mit morgenländisch gekleideten Menschen zwischen Zelten, die – dem grellen Sonnenlicht nach zu urteilen – noch nicht nach Westen aufgebrochen sind, aber Anspruch auf Raum in Deutschland anmelden könnten. Die Internet-Publikation ist schon jetzt ein Zeitdokument. Sie legt Zeugnis ab über die unreflektierte und ziemlich orientierungslose Euphorie, die im Grossen Kanton durch die gewaltigen Wanderbewegungen ausgelöst wurden.

Das Anliegen der Baunetzwoche ist ein nobles und beruht in seinem Grundsatz auf Notwendigkeiten. Räume sind in der Tat dringend gefragt, denn Schutz ist das vorrangige Bedürfnis, das die Ankommenden haben. Und er muss allen gewährt werden. Doch ist dies ausserhalb der behördlichen Notzentren eine Aufgabe für Architektinnen und Architekten? In Deutschland sah sich jedenfalls der Lehrstuhl von Jörg Friedrich an der Leibniz-Universität Hannover veranlasst, die Studierenden darüber nachdenken zu lassen, ob die gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen durch architektonische Massnahmen gefördert werden kann.

Flüchtlinge in der Dachaufstockung. Wer da an Max Frischs «Biedermann und die Brandstifter» denkt, gehört durchgeschüttelt!

Die Jungtalente aktivierten ihre Visualisierungsprogramme und kreierten Vorschläge zur Verdichtung bestehender Strukturen. Aufstockungen, Lückenfüller, die Umnutzung von Lastkähnen. Und da gab es doch noch den holländischen Pavillon von der Expo 2000, der damals so viel Aufsehen erregte und seither auf dem Expogelände vor sich hingammelt. Dort könnte man die Flüchtlinge doch – nach angemessenen Ausbau – reinstecken? Die Palette der Vorschläge zeigt die Distanz zu den aktuellen Ereignissen. Und sie offenbaren, dass niemand genau weiss, mit wem man es zu tun hat und wie man mit diesen Unbekannten umgehen soll.

Konzentrieren, integrieren, isolieren – eine ganze Palette von Strategien ist in diesen Entwürfen zu erkennen. Sie offenbart die allgemeine Ratlosigkeit, was den Umgang mit den willkommen Geheissenen anbetrifft. Gemeinsam ist den Entwürfen, dass sie die freundliche Haltung zum Ausdruck bringen, mit der man die Zugezogenen aufnehmen möchte. Doch leider beschäftigen sie sich eben primär mit dieser freundlichen Haltung und nicht mit den wenig bekannten reellen Bedürfnissen dieser Menschen oder auch nur den Erwartungen, welche die Angestammten an die Ankömmlinge haben.

Flüchtlinge im Schrebergarten, wo sie gleich auch noch ihren Speisezettel anreichern könnten.

Gute Architektur bedingt eine recherche patiente. Sie ist auf Permanenz ausgelegt und hält Nomaden nur in begrenzten Mengen aus. Der Staub wird sich erst einmal legen müssen, und dann wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit erkennen, dass Zugezogene einfach in «normalen Häusern» leben wollen – wie die Deutschen. Soziale Experimente ist wohl das letzte, das sie interessiert. Natürlich wird es die spezifischen Aufenthalts-Zentren für Migranten geben, die vielleicht eine neue architektonische Typologie begründen. Doch sie sind auf den Transit ausgelegt und werden reine Zweckbauten sein, für die es auch Modulsysteme gibt. In diesem Sinne braucht Deutschland keine Flüchtlingsarchitektur.

Vorgestelltes Projekt

Haller Gut

Sportanlage Hüssenbüel

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