Die Geschichte der Kreislaufwirtschaft

Nadia Bendinelli
10. Juli 2024
Dieses Fragment einer historischen Tagesdecke besteht aus drei unterschiedlichen Stoffschichten. In Handarbeit hergestellte Textilien waren sehr teuer und wurden darum immer wieder geflickt. Erst mit der Einführung der maschinellen Produktion wurde Ersetzen billiger als Reparieren. (Foto: © Schweizerisches Nationalmuseum)

Geht etwas kaputt, wird es weggeworfen und ersetzt. Auf Dinge acht zu geben und sie möglichst lange zu nutzen, ist in den Wohlstandsländern den meisten Menschen fremd. Gleichzeitig suchen Fachleute und Idealisten nach Wegen, eine funktionierende Kreislaufwirtschaft aufzubauen. Dabei ist es eigentlich keine neue Idee, Materialien zu recyceln oder Gegenstände zu reparieren, auch wenn uns Marketingabteilungen und PR-Leute das heute gerne weismachen wollen. Das Landesmuseum möchte nun allen die Möglichkeit bieten, sich mit Strategien für die Kreislaufwirtschaft auseinanderzusetzen, und hat die Ausstellung «Das zweite Leben der Dinge. Stein, Metall, Plastik» konzipiert. Historische Exponate zeigen, wie in unterschiedlichen Epochen mit Materialien und Objekten umgegangen wurde. Dabei wird auch deutlich, wie sich der Wert von Gebrauchtem und Neuwaren verändert hat.

Der Wert der Dinge

In der Ausstellung werden Reparatur, Wiederverwendung und Umnutzung dreier Materialien unter die Lupe genommen: Textil, Metall und Stein. Die Gründe, Dinge im Kreislauf zu halten, haben sich über die Zeit grundlegend verändert: Während es früher die Knappheit an Ressourcen nötig machte, allerlei Gegenstände so lange wie möglich zu nutzen, wird heute das Recycling angesichts von Umweltzerstörung und Klimawandel aus ökologischen Gründen wiederentdeckt: Der Verschwendung von Energie und Rohstoffen muss dringend Einhalt geboten werden.

Besonders aufschlussreich ist das Thema Textilien: Anders als heute blieben sie früher sehr lange in Gebrauch und generierten kaum Abfall. Die Herstellung in Manufakturen war zeitintensiv, bevor die Produktion von Stoffen und Garnen im 18. Jahrhundert maschinell wurde – allein schon deswegen besass Kleidung grossen Wert. Reiche trugen feine Seiden und von Gold- und Silberfäden durchgezogene Stoffe. Waren sie abgetragen, wurden die eleganten Roben zerschnitten und zum Beispiel zu neuen Westen zusammengenäht – davon zeugt ein Exponat. Oft aber wurden die wertvollen Stücke der Kirche gespendet, als Zeichen der Frömmigkeit. Daraus entstanden liturgische Gewänder, Altartücher oder andere in der Kirche benötigte Stoffe. Im Alltag waren Stoffflicken und Flickmuster, die durchaus ästhetisch wirken konnten, ein gewohnter Anblick. Und wenn auch die Recycling-Kleider abgetragen waren, blieben die Stoffe noch als Lumpen nützlich und wurden in der Papierproduktion genutzt.

Erst als die maschinelle Produktion von Garnen und Stoffen die Handarbeit ersetzte, verloren Textilien an Wert. Die produzierte Menge wuchs schnell an, die Lebensdauer sank. Heute bestehen viele Kleider aus Kunststoffen und enthalten Mikroplastik – die oft nach kürzester Zeit weggeworfenen Stücke türmen sich zu nicht wiederverwendbaren Abfallbergen. 

Diese Kasel, ein ärmelloses liturgisches Gewand, besteht aus zwei verschiedenen Seidenstoffen, die aus unterschiedlichen Epochen stammen. (Foto: © Schweizerisches Nationalmuseum)
Skulpturen wie diese schmückten in der Antike private Villen. Möglicherweise ging dieses Exponat kaputt oder entsprach nicht mehr dem Geschmack des Hausherrn. Jedenfalls wurde die Figur nicht einfach weggeworfen, sondern als Baumaterial in den Mauern des spätrömischen Kastells von Augusta Raurica verwendet. (Foto: © Museum Augusta Raurica, Augst)
Potenzial und Limiten der Kreislaufwirtschaft

Im nächsten Museumsraum stehen die Methoden der Kreislaufwirtschaft im Mittelpunkt. Auch hier sind grosse Unterschiede zwischen Vergangenheit und Gegenwart festzustellen – doch auch interessante Ähnlichkeiten. Wie bereits gelernt, waren Reparaturen und Umnutzungen gängige Praxis und es gab dementsprechend Berufe wie Kesselflicker oder Lumpensammler. Diese verschwanden, als die automatisierte Produktion die Preise sinken liess und Ersetzen günstiger als Reparieren wurde. Immer mehr nicht-reparierbare Dinge kamen in Umlauf – und landeten immer schneller im Müll.

Der Begriff Recycling tauchte in den 1920er-Jahren erstmals auf. In den 1970er-Jahren etablierte er sich für die Verwertung von Haushaltsabfällen im Sprachgebrauch. Aus dieser Zeit stammen auch die ersten drei der sogenannten «RE-Strategien»: Reduce, Reuse, Recycle (Reduzieren, Wiederverwenden, Wiederverwerten). Mittlerweile sind es zehn geworden. Und doch sind diese Praktiken keine neue Erfindung: Menschen recyceln ihre Abfälle seit über 4500 Jahren – die Analyse historischer Bronzestücke zeigt, dass schon dazumal Sekundärrohstoffe aus Abfall gewonnen wurden.

Unter dem Eindruck des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs und der Ressourcenknappheit in der Schweiz gestaltete der Grafiker Hans Anton Tomamichel (1899–1984) im Auftrag des «Bureaus für Altstoffwirtschaft» Informationstafeln. Es ging darum, am Beispiel von Zinntuben, Konservenbüchsen, Stoffen und Knochen zu zeigen, welch grosse Mengen an Rohstoffen vor Kriegsbeginn im Abfall landeten und nun gesammelt werden sollten. (Foto: © Schweizerisches Nationalmuseum)

Was sich über die Zeit jedoch grundlegend geändert hat, ist die Zusammensetzung des Abfalls. Dieser besteht heute zu grossen Teilen aus Kunststoffen. Zwar mögen diese Vorteile im Gebrauch bieten, doch für die Umwelt sind sie ein gewaltiges Problem: Nur ein Bruchteil kann wiederverwertet werden. Mikroplastik gelangt ins Wasser und in die Böden. So findet es seinen Weg in die Nahrungskette und fügt Menschen und Tieren grossen Schaden zu.

Innovative Projekte zielen darauf ab, Müll zu vermeiden. Das Landesmuseum zeigt eine interessante Bachelorarbeit zweier Studenten der Zürcher Hochschule der Künste: Die Neunoi-Kinderschuhe werden nicht gekauft, sondern abonniert und sind biologisch abbaubar. Laufend werden an den abgenutzten Stellen Lederflicken aufgebracht, die den Schuh immer bunter und individueller machen. Ist ein Kind aus seinen Schuhen herausgewachsen, werden sie gründlich gereinigt, mit neuen Sohlen und Fussbetten versehen und weitergegeben.

Tönt wunderbar. Doch lauscht man den Gesprächen anderer Ausstellungsbesucher, zeigt sich schnell, wie das breite Publikum zu nachhaltigen oder ökologischen Lösungen steht: «Das ist bestimmt zu teuer!» Man mag über solche Kommentare den Kopf schütteln, doch sie stossen auf Zustimmung – und hier liegt die entscheidende Hürde auf dem Weg zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Ressourcen. Solange Reparieren und Wiederverwenden mehr kosten als Wegwerfen und Ersetzen, wird sich nicht viel ändern. An dieser Stelle ist die Politik gefragt: Gute Ansätze gibt es, doch sie werden von der Bürokratie und unserem Wirtschaftssystem ausgebremst. Die Einsicht, dass es ökologisch notwendig ist, Dinge zu reparieren und zu recyceln, reicht nicht. Entsprechende Produkte müssen für alle erschwinglich sein und vor allem günstiger als Neuware. Sie dürfen nicht bloss trendige, geschickt beworbene Luxusgüter für umweltbewusste Besserverdiener sein.

Die Ausstellung «Das zweite Leben der Dinge. Stein, Metall, Plastik» ist noch bis zum 10. November dieses Jahres im Zürcher Landesmuseum (Museumstrasse 2, 8001 Zürich) zu sehen. Danach wird sie vom 7. Dezember bis zum 27. April 2025 im Forum Schweizer Geschichte Schwyz gezeigt.


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