Alternative Wohnformen in einem alternativen Raum
Susanna Koeberle
30. August 2021
Genossenschaftsprojekte haben in der Schweiz eine lange Tradition. Das Bild zeigt den Garten des Hunziker-Areals. (Foto: Luzia Vogt)
«Kein Museum» ist ein Projektraum, der unterschiedlichen Experimenten eine Plattform bietet. Bis 5. September 2021 ist dort die Ausstellung «Wohnlabor – kollektives Wohnen und seine architektonischen Voraussetzungen» zu sehen.
Man kann etwas auch definieren, indem man sagt, was es nicht ist. So macht es beispielsweise «Kein Museum». Auch wenn sich die heutige Ausstellungspraxis stark gewandelt hat – Museen zeigen in der Regel noch immer fertige Artefakte, für Experimente ist da meist wenig Raum. Doch genau das will die Gruppe junger Frauen von «Kein Museum» sein: eine Plattform für Experimente. Seit 2018 betreiben die neun Frauen, die sich während ihrer Studienzeit kennenlernten, den Projektraum Kein Museum. Sie möchten damit jungen Wissenschaftler*innen und Künstler*innen die Möglichkeiten bieten, ihre Projekte zu zeigen. Dabei ist die transdisziplinäre Ausrichtung des Kollektivs Programm. Die Initiantinnen selber haben unterschiedliche Hintergründe (sie haben von Grafikdesign über Kunstgeschichte bis zu Literaturwissenschaft studiert) und bereits Berufserfahrungen im Kulturbereich gesammelt. Die Miete für den Raum teilen sie sich, für die einzelnen Ausstellungsprojekte sind jeweils zwei Kuratorinnen zuständig.
Der kleine Raum war früher eine Apotheke, im Innern wurde die alte Infrastruktur belassen, das hat schon per se Seltenheitswert. Zu Kein Museum gehört auch eine Art Kiosk, der bei Events zur Bar wird. Je nach Art der Ausstellung wird das Lokal unterschiedlich genutzt und nach Bedarf umfunktioniert. Wandelbarkeit prägt auch die unterschiedlichen Ausstellungsformate, die ausprobiert werden. Im Fokus steht dabei nicht ein fertiges «Produkt», sondern das Präsentieren und Vermitteln von Recherchen und Forschungsprojekten. Das ist wichtig, weil Prozesse damit sichtbar gemacht werden. Nichts fällt einfach so vom Himmel, hinter jedem Output (um es allgemein zu formulieren) steckt Arbeit. Was so selbstverständlich klingt, ist es leider mitnichten.
Die neue Typologie der Hallenwohnung wird an der Zollstrasse in Zürich erprobt. (Foto: Luzia Vogt)
Auch mit ihrem «Wohnlabor» möchte die Architektin Luzia Vogt Selbstverständliches infrage stellen und bereits existierende Alternativen aufzeigen. Die Art und Weise, wie wir wohnen, wird diktiert von der Form der Architektur; meistens stehen hinter bestimmten Raumkonzepten gesellschaftliche Konventionen. Diese wandeln sich allerdings schneller, als neue Bauten erstellt werden. Die Architekturproduktion hinkt so gesehen stets dem soziologischen Wandel hintennach. Viele Wohnungsgrundrisse entsprechen nicht mehr den Bedürfnissen ihrer Nutzer*innen. Architekt*innen (aber auch Bauherr*innen) werden dadurch mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Doch auch Bewohner*innen organisieren sich neu und passen Wohnräume ihren individuellen Ansprüchen an. Das ist vor allem bei kollektiven Wohnformen der Fall. Daneben entstehen auch bei Neubauprojekten neue Wohnungstypologien. Dazu gehört etwa die sogenannte Hallenwohnung, die seit diesem Jahr auch in Zürich an der Zollstrasse erprobt wird.
Luzia Vogt lebte längere Zeit in Berlin, wo diese Aufnahme entstand. (Foto: Luzia Vogt)
Luzia Vogt kennt diese Themen aus eigener Erfahrung. Sie hat selbst schon unterschiedliche Wohnformen ausprobiert und ist zudem Mitinitiantin der kürzlich gegründeten IG Hallenleben, in der sich Gleichgesinnte darüber austauschen, wie der kollektive Raum genutzt werden kann und welche baulichen Vorrichtungen und institutionellen Einrichtungen dafür geschaffen werden müssen. Bei Aufenthalten in Budapest und Berlin untersuchte sie alternative Wohnformen und konnte Vergleiche mit Zürich und Umgebung anstellen. Die Resultate ihrer Recherche fasste sie in einer kleinen Publikation zusammen, bei der sie unterschiedliche Formen des kollektiven Wohnens (Hallenprojekte, Genossenschaften und andere Gemeinschaftsprojekte) nach bestimmten Begriffen eines von ihr erstellten Glossars ordnet. Ein Farbencode auf den Faltbroschüren gibt Auskunft über die unterschiedlichen Eigenschaften der Projekte. Zusammen mit Moé Radakovits und Anastasia Ott hat sie zudem eine Szenografie für den Raum erarbeitet, die interessierten Besucher*innen Einblick in die unterschiedlichen Wohnprojekte gibt. Bei Offcut (einem Materialmarkt, der Restmaterialien anbietet) bezogen sie Teile alter Universitätspulte und bastelten daraus ein hybrides modulares Mobiliar, das die Wandelbarkeit der neuen Wohnformen physisch zum Ausdruck bringt. Wichtig ist Vogt auch zu zeigen, dass alternative Wohnmodelle eine soziale Praxis implizieren; es geht mit anderen Worten immer um mehr als nur ums Wohnen.