Aktueller Blick auf Max Bill

Manuel Pestalozzi
14. Dezember 2021
Teil der Schau zum Campus der Ulmer Hochschule für Gestaltung sind kleine Holzmodelle verschiedener Wohneinheiten, die deren Originalzustand zeigen. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Das Interesse am Schweizer Architekten, Künstler, Gestalter, Politiker, Aktivisten und Theoretiker Max Bill (1908–1994) manifestiert sich über die Zeit in Wellen: Um die Jahrtausendwende erhielt er als «Vater der Schweizer Kiste» grosse Aufmerksamkeit, dann wurde es wieder ruhiger um sein Werk. In letzter Zeit ist wieder ein deutlich grösseres Interesse an ihm zu beobachten. Viele neue Publikationen sind unlängst erschienen, und etliche Ausstellungen wurden gestaltet. Auch das Zentrum Paul Klee widmet sich Bill gerade ausführlich. In «max bill global» wird seine Rolle als stark vernetzte Persönlichkeit thematisiert. Bill beeinflusste nicht nur andere Kreative, sondern nahm auch selbst viele Impulse von Kolleg*innen auf. Er hatte Freunde und Gleichgesinnte im In- und Ausland, mit denen er sich regelmässig austauschte. Seine Kunst sollte globale Werte vertreten und weltweit relevant sein. Tatsächlich wirkten seine Arbeiten prägend auf das Design und die Kunst um die Mitte des 20. Jahrhunderts und verbreiteten sich weit über die Schweiz hinaus.

Die ausgezeichnet gestaltete, den gewölbten Saal von Renzo Piano sehr geschickt nutzende Ausstellung zeigt deshalb nicht nur Bilder, Skulpturen und Möbel von Max Bill, sondern stellt sie Werken von herausragenden Künstler*innen gegenüber: Josef Albers, Hans Arp, Theo van Doesburg, Lyonel Feininger, Camille Louis Graeser, Donald Judd, Wassily Kandinsky, Paul-Nagy, Piet Mondrian, Antoine Pevsner, Oskar Schlemmer, Sophie Taeuber-Arp, Joaquín Torres-García, Georges Vantongerloo, Mary Vieira und Andy Warhol; und natürlich auch solchen von Paul Klee. Max Bill begegnete Klee in Dessau, als jener am Bauhaus unterrichtete.

«max bill global» stellt Werke von Max Bill den Arbeiten anderer herausragender Künstler*innen gegenüber. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Fokus auf den Campus der Hochschule für Gestaltung

Dass die Architektur in «max bill global» nur ganz am Rande behandelt wird, hat einen bestimmten Grund: Parallel zur Ausstellung ist im Forum des Zentrums Paul Klee seit dem 10. Dezember eine weitere Schau zu sehen, die auf die Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm fokussiert, deren Campus Max Bill in den 1950er-Jahren plante und realisierte. Er war auch der erste Rektor der HfG. Kuratiert wurde diese Zusatzschau, entstanden als Kooperation mit dem Amt für Denkmalpflege des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg, von Daniel P. Meister und Dagmar Meister-Klaiber. Das Ehepaar lernte sich einst während des Studiums in Ulm kennen – und lebt heute in einem der sogenannten Dozentenhäuser. Die beiden Kuratoren haben also den Wandel des Campus aus nächster Nähe miterlebt, insbesondere vor rund zehn Jahren die Sanierungsarbeiten nach der Übergabe der Anlage von der Abteilung für Psychosomatik der Universität Ulm, welche sie nach der Schliessung der HfG im Jahr 1968 nutze, an die Stiftung HfG Ulm. Da sich das Ehepaar Sorgen um den Fortbestand des originalen architektonischen Konzepts von Max Bill machte, dokumentierte es den Schöpfungsakt und den Originalzustand. Daniel P. Meister und Dagmar Meister-Klaiber analysierten Bills Entwurf gründlich und sammelten Dokumente aus der Planungs- und Realisierungsphase. Diese Arbeit mündete in ein umfangreiches Buch (siehe unten) – und eben in die Ausstellung «ästhetik des einfachen – max bill und die hochschule für gestaltung ulm».

Zu den in der Ausstellung «ästhetik des einfachen – max bill und die hochschule für gestaltung ulm» gezeigten Objekten zählt auch dieser Türbeschlag. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Die Zusatzschau, die als Wanderausstellung konzipiert ist, interpretiert den Hochschulcampus als Gesamtskulptur und Max Bill als gewissenhaften, detailversessenen Architekten, der sich ebenso an den sozialen, politischen und ökonomischen Gegebenheiten wie auch an seinen Prinzipien als Künstler orientierte. Die Kombination von künstlerischer Freiheit, wissenschaftlicher Präzision und pragmatischer Gründlichkeit in der Umsetzung führte zu einem qualitativ hochstehenden, nachhaltigen Ensemble. Das Kuratorenpaar hat herausgearbeitet, wie Max Bills Faszination für die Zahl 3 und für den Satz des Pythagoras sowie sein Interesse an der Harmonielehre des Musikwissenschaftlers Hans Kayser in den Proportionen der Anlage wiedererkannt werden können. Liebevoll erstellte es kleine Holzmodelle der Ateliers und Wohnungen für die Studierenden wie auch der Meisterhäuser – auch von jenen, die heute nicht mehr in der Originalform bestehen. Als nutzbare Skulpturen ergänzen ein Barhocker, eine Deckenleuchte, ein Türbeschlag und ein Gugelot-Bett GB1085 die Tableaus, Modelle und Vitrinen. Und auch der berühmte Ulmer Hocker darf natürlich nicht fehlen.

Das Gugelot-Bett GB1085 für die Studierenden repräsentiert die reduzierte Einfachheit des Designs, die für die HfG charakteristisch war. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Gerade seine Architektur ruft in Erinnerung, wie sehr Max Bill seine kreative Arbeit als Teil eines grossen Ganzen sah. Er trat nicht als Star auf. An dieser Stelle sollte die Mitarbeit des niederländischen Architekten Hans Gugelot (1920–1965) am Campus der HfG besonders erwähnt werden. Er entwarf nicht nur das besagte Bett, sondern auch Dozentenhäuser. Dass sich im konservativen Deutschland der Nachkriegszeit zwei Ausländer am Campus der HfG, die sich als Nachfolgerin des Bauhauses sah, massgebend beteiligten konnten, ist ein Zeugnis der globalen Ausrichtung der Schule. Es ist wichtig, dass die Anlage weiterhin bewahrt wird. Ihr Geist muss für die Zukunft erhalten bleiben.

einfach komplex – max bill und die architektur der hfg ulm

einfach komplex – max bill und die architektur der hfg ulm
Daniel P. Meister und Dagmar Meister-Klaiber

300 x 220 Millimeter
650 Seiten
702 Illustrationen
ISBN 9783858816139
Scheidegger & Spiess
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