Keimlinge für den Stadtumbau
Gerold Kunz
26. Mai 2016
Stony Island Arts Bank: Der ehemalige Schalterraum wurde zum Ausstellungsraum transformiert. Bild: Gerold Kunz.
Über die Polizeieinsätze in Chicago wird auch in Schweizer Medien berichtet. Dabei richtet sich der Blick wiederholt auf die South Side, einem vorwiegend von Afrika-Amerikanern bewohntem Stadtteil.
In Artikeln und Büchern wird viel über die Vergangenheit und Gegenwart dieses vernachlässigten Gebiets verhandelt. Der Künstler Theaster Gates lässt mit seiner Rebuild Foundation nun auf die vielen Worte bemerkenswerte Taten folgen.
Als Rezept gegen die stagnierende Entwicklung in der Chicagoer South Side legte der Urbanist Marshall Brown 2015 ein Konzept vor, das eine Erweiterung der Parklandschaft beispielsweise um den Washington Park vorsieht. Die von der Graham Foundation geförderte Studie webt öffentliche und private Aussenräume zu einer «Gartenstadt des 21. Jahrhunderts» zusammen, wie der Planer seine Projektidee umschreibt. Er strebt eine Aufwertung von vorwiegend von Afrika-Amerikanern bewohnten Stadtteilen an, die seit Jahren unter fehlenden Investitionen leiden. Leerstehende Häuser und verwaiste Parzellen lassen die einst dicht bebauten Stadtquartiere als Vorstädte erscheinen.
Das Black Cinema House, wofür ein ehemaliges Gewerbegebäude umgenutzt wurde (oben) – die sanierten Bauten der Dorchester Art + Housing Collaborative (DHAC) wurden 2014 bezogen. Bilder: Gerold Kunz.
Auch die Obama Foundation hat für den Bau des Barack Obama Presidential Centers Grundstücke in der South Side vorgesehen. Der Wettbewerb, der im Juni entschieden wird, soll zeigen, ob einem Standort am Washington Park oder am Jackson Park der Vorzug gegeben wird. Die Obamas hoffen, mit ihrem Bau die Entwicklung der South Side positiv zu beeinflussen. Im Unterschied zum Urbanisten Brown, dessen Projektidee an den positiven Werten einer Parklandschaft anknüpft, glauben Michelle und Barack Obama, über ein öffentliches Gebäude die vernachlässigte Nachbarschaft transformieren zu können.
Mit Architektur eine positive Entwicklung einleiten, will auch der Künstler Theaster Gates, dessen Rebuild Foundation seit 2010 in der South Side aktiv ist. Zu ihrem Häuserbestand zählen mittlerweile eine Bank, ein Wohnhaus, eine Reihenhaussiedlung und mehrere Lagergebäude. Der in Urbanismus und Keramik ausgebildete Künstler hat 2005 in Chicagos Greater Grand Crossing Neighborhood mit seiner Arbeit begonnen, in einem Gebiet, wo 18% der Erwachsenen ohne Erwerbsarbeit sind und 25% der Haushaltseinkommen unter der Armutsgrenze liegen. Bis heute sind mehrere ehemals ungenutzte Gebäude revitalisiert. Gates Stiftung ist für die South Side zum wahrnehmbaren Impulsgeber geworden.
Mittlerweile ist er auch an Orten wie Detroit, St. Louis oder Ohama in Projekte involviert. Dank seinen Erfahrungen in Chicago ermöglicht er einen neuen Blick auf die altbekannten Probleme. In North Ohama hat er beispielsweise aus einer ungenutzten Bank einen Kunstraum gemacht und so den lokalen schwarzen Künstlern zu einem eigenen Ausstellungsraum verholfen. Wichtig ist Gates, dass die am Projekt beteiligten Personen lernen, einen Prozess zu initiieren, und sich weniger auf die Resultate konzentrieren.
Die Stony Island Arts Bank ist das Aushängeschild der Rebuild Foundation. Bild: Gerold Kunz.
Auf diesem Bekenntnis bauen die in Chicagos Süden umgesetzten Projekte auf. 2013 hat Gates an der Art Unlimited in Basel 100 Marmorplatten als Aktien verkauft, versehen mit der Aufschrift «IN ART WE TRUST», und so das Geld beschafft für Erwerb und Restaurierung einer über Jahrzehnte ungenutzten Bank, die an den Glanz vergangener Zeiten erinnert. Sie steht isoliert an einer stark frequentierten Hauptstrasse. Heute ist die Stony Island Arts Bank ein Kulturzentrum, das über Ausstellungs- und Sammlungsräume verfügt und wegen der prominenten Lage zum Aushängeschild geworden ist.
Seit 2013 ist das 1923 als Stony Island Trust & Savings Bank erstellte Gebäude im nationalen Denkmalregister verzeichnet. Die Restaurierung hatte nach denkmalpflegerischen Grundsätzen zu erfolgen, die von FitzGerald Associates Architects übernommen wurde. Vom Leerstand verursachte Schäden wurden konserviert, um an des Gebäudes wechselvolle Geschichte zu erinnern. Denn Theaster Gates will nicht nur neue Räume etablieren, sondern auch Artefakte der Geschichte dieser black neighborhood erhalten, was die Restaurierung aus denkmalpflegerischer Sicht besonders wertvoll macht.
Bereits 2009 hatte Gates mit der Sanierung leerstehender Bauten begonnen. Neben der Arts Bank konnte 2014 die Dorchester Art + Housing Collaborative (DHAC) bezogen werden, eine Siedlung von 32 ehemals unter dem Namen Dante Harper Townhouses bekannten Reihenhäuser. Sie standen seit 2007 leer, weil sich die Wohnsituation verschlechtert hatte. Die subventionierten, für Kunstschaffende und Mieter reservierten Wohneinheiten wurden nach Plänen der im sozialen Wohnungsbau erfahrenen Architekten Landon Bone Baker umgebaut. Doch nicht nur die Sanierung der Gebäude, auch die Aufwertung der Freiraumgestaltung und die Ergänzung mit einem Arts Center machen aus der Anlage einen Impulsgeber für das Quartier.
Auf einer Führung durch die Stony Island Arts Bank, in die eine Bibliothek integriert wurde. Bild: Gerold Kunz.
Neben diesen beiden grossen Projekten zählen das Black Cinema House, das Archive House, das Listening House und der Monastery (eine ausgediente Energiestation, die nach Vorbild er Rothko Chappel umgenutzt werden soll) zum Hausbestand der Rebuild Fondation. Alle diese Gebäude befinden sich in Gehdistanz zwischen der East 67th Street und der East 72nd Street. Die Konzentration der Gebäude und die öffentlichen Nutzungen verändern die Nachbarschaft, die von der eingeleiteten Umwertung profitiert.
Im Unterschied zu den eingangs beschriebenen Projekten von Michelle und Barack Obama oder Marshall Brown Projects gründet das Vorhaben der Rebuild Foundation auf einem anderen Vorgehen. Indem bestehende Bauten reaktiviert und zu Kontaktorten zwischen Bewohnern und Kulturschaffenden werden, wird ein Prozess in Gang gesetzt, der einen Keim für den Stadtumbau in sich trägt. «Projects that are succsessful are symbolic,» sagt dazu der Künstler im Interview mit Carol Becker und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, mit seinem erfolgreichen Engagement aktiv zum Umbau der zum Problem gewordenen South Side beizutragen.
Dass ihm das gelingen wird, wird beim Besuch von Veranstaltungen in diesen Einrichtungen in der South Side augenfällig. Dennoch ist der negative Einfluss der Kriminalität nicht zu unterschätzen. Wie die Chicago Tribune noch 2014 berichtete, rangiert die Nachbarschaft an fünfter Stelle in der Kriminalstatistik des Polizeidepartements. Die Eingangstüre zum Black Cinema House ist noch kurz vor Veranstaltungsbeginn geschlossen und über dem Eingang der Stony Island Arts Bank ist eine Überwachungskamera installiert. Dennoch ist ein Besuch zu empfehlen. Die Einrichtungen laden zu einer anderen Begegnung mit der South Side ein. Sie machen deutlich, dass ein Stadtumbau der kleinen Schritte denkbar ist.
Gerold Kunz ist Architekt, Denkmalpfleger im Kanton Nidwalden und Architekten-Blogger beim Onlinemagazin zentral+. Derzeit weilt er für vier Monate, als Stipendiat im Atelier von Luzern, in Chicago.