Ein Team um das Zürcher Büro KCAP plant die Entwicklung von Keflavík auf Island
Manuel Pestalozzi
13. Januar 2022
Der Flugplatz im Südwesten der Insel verbindet Island mit der Welt. Künftig soll die Region rundherum zum Katalysator für die Entwicklung der isländischen Wirtschaft werden. (Visualisierung © KCAP)
Einst war Keflavík wegen der Fischerei und seines strategisch wichtigen Flughafens bedeutsam. Heute avanciert die Gegend zum gefragten IT-Standort. Ein Masterplan soll ein nachhaltiges Wachstum sicherstellen.
Keflavík heisst auf Deutsch Treibholz-Bucht. Die Menschen in dem kleinen Ort an der Südwestküste Islands, rund 50 Kilometer von der Hauptstadt Reykjavík entfernt, widmeten sich in den vergangenen Jahrhunderten vornehmlich dem Fischfang, einem der über lange Zeit wichtigsten Wirtschaftszweige der Insel. Der Flughafen auf der Halbinsel Reykjanes, die sich westlich der Bucht befindet, wurde während des Zweiten Weltkriegs von der U.S. Air Force gebaut und nach Kriegsende weiterhin betrieben. Damit war Islands Funktion als transatlantische Zwischenstation geboren. Bald wurde der strategisch günstig gelegene Militärflughafen auch zivil genutzt. Bevor Nonstop-Flüge zwischen Europa und Nordamerika möglich wurden, tankte man die Maschinen in Keflavík auf. Bis 1987 mussten die Passagiere auf dem Weg aus der Basis Militärkontrollen passieren, erst danach stand ein Zivilterminal ausserhalb des militärischen Bereichs der Anlage zur Verfügung. Die Vereinigten Staaten schlossen ihren Stützpunkt offiziell im Jahr 2006, der Flughafen hat aber bis heute eine wichtige strategische Bedeutung. Auf den beiden je drei Kilometer langen Pisten können auch Space Shuttles und riesige Transportflugzeuge vom Typ Antonow An-225 landen.
Die gute Verkehrsanbindung, die günstige geografische Lage und das attraktive Geothermie-Angebot in der Umgebung machen Keflavík interessant für Investoren und Entwickler. Gerade bei IT-Unternehmen steht die Region hoch im Kurs: 2010 verkündeten die Verne Holdings, dass sie die Finanzierung für ein Datencenter am Rande des Flugfelds sichern konnten. Dieses ist mittlerweile in Betrieb. Ausserdem lassen in letzter Zeit zum Beispiel Unternehmen aus der Automobilindustrie komplizierte digitale Simulationen in der Gegend durchführen. Zukünftig dürfte dieser Wirtschaftsbereich in Keflavík weiter wachsen, und auch die Einwohnerzahl wird wohl entsprechend steigen.
Eine künstliche Topografie und neu angepflanzte Bäume sollen im «Airport Corridor» wind- und lärmgeschützte Landschaftskammern schaffen. (Axonometrien und Schnitte © Felixx Landscape Architects & Planners)
Ein Masterplan für die RegionAufgrund dieser Entwicklung und des Wandels in der Gegend des Flughafens wurde 2006 die Keflavík Airport Development Corporation (Kadeco) gegründet. Ihre erste Aufgabe, die Übergabe der Militärgebäude an zivile Eigentümer, wurde 2019 abgeschlossen. 2021 schrieb Kadeco dann einen internationalen Wettbewerb für einen Masterplan aus. Beteiligt an dieser Initiative sind die politischen Gemeinden Reykjanesbær (Kevlavík) und Suðurnesjabær, der isländische Staat und Isavia, die Betreiberin des Flugplatzes Keflavik International. Gefragt war ein Vorschlag, wie vom Flughafen ausgehend die ganze Region wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltig entwickelt werden könnte. 25 Projekte gingen ein, im Dezember dann teilte Kadeco mit, dass das multidisziplinäre Team um das internationale Büro KCAP, das unter anderem in Zürich ansässig ist, mit der Entwicklung des Masterplans beauftragt wird.
Das ÖV-Netz soll ausgebaut werden, um nachhaltige Mobilität zu ermöglichen. (Plan © MIC Mobility in Chain, KCAP)
Verdichtung und LandschaftsschutzDer Vorschlag des Teams um KCAP soll ermöglichen, die natürlichen Energiequellen, die günstige Verkehrslage und die eindrucksvolle Landschaft des UNESCO-Geoparks Reykjanes gleichermassen optimal zu nutzen. Ausserdem soll der Plan als Katalysator für die künftige Entwicklung der isländischen Wirtschaft wirken. Ziel ist, dass das Flughafengelände und die Gemeinden Reykjanesbær und Suðurnesjabær zusammenwachsen und in einer einvernehmlichen Weise voneinander profitieren. Zu diesem Zweck wird Gewicht auf Projekte gelegt, die im Besitz von Ansässigen sind und der Region zugutekommen. Dies ist wichtig: Die Eigenverantwortung der Region und ihrer Bevölkerung soll gestärkt werden.
Aktuell gibt es rund um den Flughafen freie Flächen im Übermass. Es besteht das Risiko, dass auf diesen Bauten geringer Dichte und mässiger architektonischer Qualität entstehen. Darum hat das Team um KCAP in seinem Masterplan verschiedene Orte definiert, an denen Entwicklung stattfinden soll. Das Team spricht aus diesem Grund auch von einem «Katalysatoren-Archipel». Verbunden werden sollen diese Zentren, die durch die Qualität ihrer künftigen Bebauung und ihre innovative Nutzung identitätsstiftend wirken sollen, durch den sogenannten «Airport Corridor», einen Grünzug, der sich dereinst vom Flughafengelände bis nach Reykjanesbær erstrecken wird. Dieser soll Teil der landesweiten Aufforstungskampagne werden, die auf Island aktuell läuft. Der Vorschlag umfasst ausserdem den Aufbau eines dichten ÖV-Netzes, dass eine umweltfreundliche Mobilität und die gute Anbindung der Region an Islands Hauptstadt sicherstellen soll.
Für die einzelnen Entwicklungsgebiete sieht der Vorschlag unterschiedliche Strategien vor. Diese reichen von landschaftsgestalterischen Massnahmen bis zur Transformation und Verdichtung bestehender Siedlungsgebiete. Die verschiedenen Zonen dürfen sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickeln, je nach Wirtschaftslage und Nachfrage. Der «Archipel» soll auch neue Nutzungen umfassen, die weiteres Wachstum versprechen. Das Planungsteam denkt hier beispielsweise an die Produktion von sogenanntem grünen Wasserstoff, E-Aviation, Hightech-Landwirtschaft oder Meeresaquakulturen. Und auch attraktive Begegnungsorte sollen entstehen, die einen Austausch zwischen isländischer und internationaler Kultur ermöglichen, wenn noch mehr Expert*innen aus dem Ausland in die Region kommen.
Das Team um KCAP spricht hinsichtlich seines Masterplans von einem «Katalysatoren-Archipel». Einzelne Entwicklungszonen sollen ein Netzwerk bilden. Auf diese Weise möchte man eine wenig dichte Bebauung der vielen freien Flächen um den Flughafen verhindern. (Pläne © KCAP)
Ein Vorschlag, der sich beweisen mussPálmi Freyr Randversson, der CEO von Kadecos, nennt den Plan einen «entscheidenden Schritt» hin zur Realisierung der Vision seiner Firma für den Flughafen und die Region. Aus der Ferne fällt schwer, die Qualität des Masterplans zu beurteilen. Die Umgebung des Flughafens zeigt sich eben, karg und unwirtlich. Die Idee, hier zwischen einzelnen Zentren aufzuforsten und die Landschaft zu pflegen, scheint nachvollziehbar. Auch die Sorge, dass das flache Land bei einer weiterhin positiven wirtschaftlichen Entwicklung mit belanglosen Bauten zugepflastert und die raue Naturlandschaft ruiniert werden könnte, ist verständlich. Der Wunsch, das Wachstum zu kanalisieren, scheint logisch. Ob die Ideen des Teams um KCAP aufgehen werden, ist indes eine andere Frage. Erst recht offen ist, ob die Gestaltung der Region zum Vorbild für das ganze Land werden kann. All das wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erst erweisen müssen und hängt sicher auch davon ab, wie der mit dem Masterplan definierte Rahmen architektonisch und hinsichtlich der Landschaftsgestaltung ausgefüllt wird und wie sich überhaupt die wirtschaftliche Lage entwickelt. Es bleibt spannend im Norden.