geortet - 7x GreenRadar
Inge Beckel, Fabian Cortesi
17. Oktober 2013
Die Projekte der diesjährigen geortet-Reihe im Überblick (Bildmontage: swiss architects)
Im Laufe der ersten Monate dieses Jahres sind insgesamt sieben so genannte GreenRadar-Beiträge auf Swiss-Architects erschienen; stets in Zusammenarbeit mit der Liestaler Firma IEU, die dann die eigentlichen Checks durchgeführt hat. Es sind sinngemäss Fallstudien – oder so genannte best examples – zur Nachhaltigkeit von sechs realisierten Bauten, Siedlungen oder Umbauten. Inge Beckel und Fabian Cortesi ziehen ein Fazit.
Konkret sind es, als nummerisches Resumée: die Giesserei Winterthur von Galli Rudolf Architekten, dann die sanierte und umgenutzte Markthalle in Basel von Blaser Architekten, gefolgt von der Siedlung Burgunder in Bern von Bürgi Schärer Architektur und Planung. Weiter diskutiert wurden die Überbauung Suurstoffi in Risch Rotkreuz von Holzer Kobler Architekturen und die Ersatzneubauten am Triemli des Büros von Ballmoos Krucker Architekten und schliesslich wurde das neue Tamedia-Haus am Zürcher Stauffacher von einem internationalen Team um den Japaner Shigeru Ban genauer unter die Lupe genommen.
Lebenszyklus
Nun, primär einmal muss festgehalten werden, dass es DIE Nachhaltigkeit nicht gibt. Vielmehr umfasst der Begriff ein riesiges Konglomerat aus Aspekten, die sich vor allem aus den Bereichen des Sozialen, des Ökologischen und des Wirtschaftlichen zusammensetzen (siehe dazu auch den Einführungsartikel zur Reihe). Ein weiterer Punkt betrifft die Fassbarkeit von Nachhaltigkeit. Es ist ein Begriff, der neben Quantität auch Qualität als Kriterium umfasst; wobei letztere bekanntlich schwer messbar – und damit vergleichbar – ist. Dennoch lässt sich Nachhaltigkeit benennen und Teilbereiche können durchaus gemessen und verglichen werden. In dieser Hinsicht sind mitunter die unterschiedlichen Labels zu sehen, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte herausgebildet und teilweise durchaus sehr gut etabliert haben. Schliesslich jedoch sollten Aspekte der Nachhaltigkeit in einem langfristigen Rahmen geplant und vor diesem Hintergrund überprüft werden. Die Überprüfung der Zielvorgaben ist wichtig, geht es doch nicht nur darum, eine Baute nachhaltig zu denken, sondern soll sie auch entsprechend genutzt und «belebt» werden. So haben die Verantwortlichen der Siedlung Burgunder beispielsweise zwei Jahre nach Bezug einen Report erarbeiten lassen, um zu sehen, welche Massnahmen sich im alltäglichen Gebrauch oder Betrieb wirklich als nachhaltig erwiesen haben. Schliesslich geht es um den Lebenszyklus einer Baute, der insgesamt nachhaltig gestaltet sein sollte – soweit dies Architektinnen und Architekten beeinflussen können.
Stadtleben
Fragt man nach einem Fazit, so gehört sicherlich der Blick auf den Kontext dazu: Wo entsteht eine Baute? Heute gilt diesbezüglich als eine der zentralen Maximen das Verdichten. Wobei, und das ist gerade hinsichtlich Nachhaltigkeitsüberlegungen sehr wichtig, geht es nicht allein ums bauliche Verdichten. Denn wohnen nach einem Eingriff gleich viele oder gar weniger Menschen an dem Ort, ist das Ziel der Verdichtung verfehlt. Es geht um bauliche und soziale Verdichtung. Ruedi Weidmann spricht in einer tec21-Nummer Anfang Jahr gar von vierfacher Verdichtung: «Verdichten ist nur nachhaltig und mehrheitsfähig, wenn es vierfach geschieht – baulich, funktional, sozial und historisch.» (1)
Von den untersuchten Beispielen gehören hier sicherlich die Siedlung am Triemli in Zürichund die Siedlung Burgunder in Bern dazu. Bei den Ersatzneubauten am Triemli wurde die Einwohnerzahl nahezu verdoppelt. Und in Bern ist die konsequente Autofreiheit der Siedlung und ihrer Bewohnerschaft ein Novum; der MIV-Bedarf, also der motorisierte Individualverkehr, wird falls nötig über Mobility abgedeckt. Nachhaltig leben hat etwas mit dem Lebensstil der Bewohner und Bewohnerinnen zu tun.
Sanierung oder Ersatzneubau
Es hat sich auch gezeigt, dass Nachhaltigkeit sehr früh im Gebäude-Life-Cycle beginnt, idealerweise mit den Aufgaben der Projektentwickler, wo die Handlungsspielräume doch am grössten sind. Dabei ist die Frage, ob ein bestehendes Gebäude saniert oder durch einen Neubau ersetzt werden soll, eine besonders wichtige. Viele sanierungsbedürftige Gebäude befinden sich in dicht bebautem Gebiet, was für eine fundierte Entscheidung eine städtebauliche Perspektive verlangt. Es ist zu beurteilen, ob die Bausubstanz noch den heutigen Ansprüchen entspricht, der Aufwand der Sanierung ist dem eines Neubauprojektes gegenüber zu stellen und der Bau ist in den Kontext einer angestrebten städtebaulichen Entwicklung zu setzen. Angesichts der Ziele der Energiestrategie 2050, zu welchen die sogenannte Transformation des Gebäudeparks Schweiz zählt, werden wir uns diese Fragen in Zukunft noch viel häufiger stellen müssen.
Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit diesen Fragen hat die Baugenossenschaft Sonnengarten Zürich gesucht und dabei Unterstützung bei der Stadt und externen Spezialisten gesucht und beide Optionen durchgedacht. Entstanden sind schlussendlich die Ersatzneubauten Triemli Zürich.
Dauerhaftigkeit und Nutzungsfragen
Kurzfristigkeit widerspricht unserem Nachhaltigkeitsdenken. Also gilt es, für eine Architektur solide Konstruktionen und dauerhafte Materialien zu wählen, die zudem auch im Gebrauch schön aussehen. Hier kommt so etwas wie Patina ins Spiel. Schönes Material altert sinngemäss auch schön … Wichtig ist bezüglich der gebauten Räume, dass sie offen nicht allzu funktional ausgeformt sind. Denn schliesslich sollen verschiedene Tätigkeiten darin Platz finden können, die sich im Laufe der Jahre oft ja auch verändern. Hierfür sind die Suurstoffi in Rotkreuz sowie das Holzskelett des Tamedia-Gebäudes am Zürcher Stauffacher gute Beispiele.
Ganz wichtig aber sind auch Nutzungsfragen. Einmal jene, was aus einem alten Bau wie etwa die architektonisch und konstruktiv sehr schöne Markthalle in Basel, die ihre angestammte Nutzung im Laufe der Jahrzehnte verloren hat, heute werden kann und soll? Dass dies nicht immer so einfach ist, zeigt ebendieses Beispiel. Die Markthalle weist eine sehr anspruchsvolle Akustik auf, die der angestrebten Nutzung für Events in der Anfangsphase zum Verhängnis wurde. Zudem ist es aufwändig und teuer, die grosse Halle ständig voll zu beheizen. Es wurde daher die unkonventionelle Entscheidung getroffen, den eigentlichen Innenraum nur leicht zu temperieren. Wichtig sind also auch Fragen nach dem Verhalten der Nutzer und Nutzerinnen. Konkret: Für uns moderne Menschen ist's sicherlich ungewohnt, eine Türe zu durchqueren und nach Eintreten in einen Raum klimatisch noch immer (fast) draussen zu sein. Doch ist die Überlegung, eine Halle, die nie als voll beheizter Innenraum gedacht war, entsprechend nicht «richtig» zu beheizen, sondern zu temperieren, im Grundsatz richtig. Schliesslich gehört hierzu natürlich auch die Flexibilität von Grundrissen oder, wie im Falle der Giesserei in Winterthur, die Möglichkeit, zu einer Wohnung ein Zimmer temporär dazu mieten zu können.
Zusammenfassend kann man damit vielleicht sagen, dass das Thema komplex, vielschichtig und inskünftig – ja, schon heute! – unumgänglich ist. Und es hat mit Geduld und Ausdauer zu tun, und Verantwortung. Es hält nach – nachhaltig eben.
Inge Beckel und Fabian Cortesi
Anmerkung:
(1) Ruedi Weidmann, Vierfach verdichten, in: tec21, 9/2013, S. 18.