geortet: Wohnsiedlung Burgunder in Bern-Bümpliz
Inge Beckel
24. April 2013
Verzichten will gelernt sein. So ein Fazit der Siedlung Burgunder in Berns Westen. Denn nachhaltig bauen bedeutet auch sparen oder gar weglassen.
Das Projekt von Bürgi Schärer Architektur und Planung (vormals BSR Bürgi Schärer Raaflaub) ging aus einem 2006 durchgeführten Wettbewerb hervor; realisiert wurde die Siedlung, die insgesamt 40 Wohnungen umfasst, zwischen 2008 bis 2010. Die Wohnungsgrössen reichen von 1,5- über 2,5- schrittweise bis zu 5,5-Zimmer-Einheiten, womit sich diese sowohl für Familien als auch für andere Formen gemeinschaftlichen und altersgerechten Wohnens eignen. Von Beginn an war das Thema Nachhaltigkeit vorrangig – sowohl für Bauträgerschaft als auch für Architekten.
Bei der Planung hatte die Nachhaltigkeit also einen zentralen Stellenwert. Auf der sozialen Ebene waren spätere Nutzer und Nutzerinnen in den Planunsgprozess eingebunden, auch wird die Siedlung heute über einen Hausverein teilweise selbstverwaltet. Auf der ökonomischen Ebene lautete das Ziel, günstige Mietwohnungen zu bauen, wobei heute keiner der beiden Aspekte – günstig UND mieten – Selbstverständlichkeit geniesst. Denn nicht nur fehlt es oft an günstigen Wohnungen; in den vergangenen Jahren wurde vor allem im Kaufsektor kräftig aufgerüstet, wodurch sich das Angebot an Mietwohnungen verringerte.
Auf der ökologischen Ebene ging aus der ökonomischen Zielvorgabe, günstig vermieten zu können, die einfache Vorgabe hervor, günstig zu bauen, um die Entstehungskosten möglichst tief zu halten. Das bedeutete für die Architekten primär, den Baukörper kompakt auszugestalten. Die Siedlung erreichte schliesslich nicht nur das Minergie-P-Eco-Label, sondern auch den Zielwert von 440 MJ/m2a an nicht erneuerbarer Primärenergie, und somit ist sie 2000-Watt-kompatibel und 1-Tonne-CO2-kompatibel. Das Thema Nachhaltigkeit war damit das eigentliche Leitthema, wobei auch die Mobilität äusserst differenziert angeschaut wurde.
Ästhetische Gratwanderung
Der Architekt Stefan Schärer spricht im Interview von einer Ästhetik der Nachhaltigkeit. Er nennt diese eine Art Gratwanderung. Denn eine Ästhetik der Nachhaltigkeit bedeutet vor allem weglassen. So wurde die klassische Gliederung eines Baukörpers in einen Sockel, einen Haupt- oder Mittelteil und ein Dach bei ihrer Wohnsiedlung in Bümpliz durch wenige, äusserst zurückhaltende Gesten in der Gestaltung ausgedrückt: Den Sockel bilden sinngemäss die stehenden französischen Fenster, die im Erdgeschoss den freien Zugang aufs Gelände ermöglichen. Den Hauptteil bestimmt eine fast klassische, schlicht gestaltete Lochfassade, wobei farbige, dem Lärmschutz dienende Glasblenden die Fensterlaibungen akzentuieren. Das Dach ist das Attikageschoss. Alle drei Partien sind einheitlich verputzt, applizierte Gliederungselemente, Farbänderungen oder spezielle Ornamente fehlen gänzlich.
Spiel und Variation jedoch bringt die Bepflanzung in die Fassaden. Obwohl diese noch jung ist, zeigt sich im Frühling schon heute das Grün der jungen Blätter, während der Baukörper im Sommer durch deren Üppigkeit sinngemäss fast aus dem Blick verschwindet. Im Herbst wird das Bild durch die dunklere, rotbräunliche Verfärbung bestimmt – im Winter schliesslich, nach dem Verlust der Blätter, durch die Nacktheit der Kuben. Die Herausforderung besteht also darin, so Schärer, die Architektur trotz der geforderten Sparsamkeit nicht banal erscheinen zu lassen. Eine die Jahreszeiten widerspiegelnde Bepflanzung ist für eine betont ökologisch konzipierte Siedlung sicherlich eine schöne und naheliegende Wahl.
Mobilität
Gemäss SIA 2039 und 2040 wird bei der Mobilität die gebäudebezogene Alltagsmobilität einbezogen, wozu Wege im gewohnten Umfeld der Bewohner und Bewohnerinnen zählen. Dabei unterscheiden die Burgunder-Bewohner sich in Bezug auf die Anzahl Wege und mittleren Tagesdistanzen nicht von der durchschnittlichen Stadtberner Bevölkerung. Deutliche Unterschiede bestehen allerdings bei der Verfügbarkeit über so genannte Mobilitätswerkzeuge: Die Haushalte besitzen keine eigenen Personenwagen, hoch aber ist der Anteil einer Mitgliedschaft bei Car-Sharing, sehr hoch die Besitzquote von Abonnementen des öffentlichen Verkehrs. Und hoch ist der Anteil von zu Fuss oder mit dem Velo zurückgelegten Strecken.
Für die Siedlung Burgunder wurde ergänzend jedoch die nicht-alltägliche Mobilität betrachtet, also Wege im Rahmen von kürzeren und längeren privaten sowie geschäftlichen Reisen. Hier ergeben sich aus der Stichprobe eher überdurchschnittlich hohe Verkehrsleistungen bei den Tagesausflügen und durchschnittliche Werte bei den Reisen mit Übernachtung. Die Anteile des motorisierten Individualverkehrs und der Flüge aber sind bei den Tagesreisen wesentlich und bei den Reisen mit Übernachtung nur noch spürbar tiefer. Dies führt insgesamt auch hier zu einem tieferen Energieverbrauch und tieferen Treibhausgasemissionen, die dem Gebäude zugeordnet werden können.
Diese Siedlung in Berns Westen ist die erste derart konsequent realisierte autofreie Wohnsiedlung der Schweiz. Insbesondere haben die Architekten wie die Bauherren eine differenzierte, selbstkritische Beurteilung des Bauprojekts vorgenommen, wozu die Befragung der Bewohnerschaft zu deren eigenem Nutzerverhalten zählt. Insbesondere wurde der geplante Energieverbrauch mit den schliesslich effektiv erreichten Werten verglichen. Dieser Punkt ist deswegen aussergewöhnlich, als sich das Projekt ans Nutzerverhalten heranwagt und dieses über Vorgaben zur Mobilität zu beeinflussen versucht. Diesbezüglich hat es klar Pionierarbeit geleistet.
Vorbildlich
Die Wohnsiedlung Burgunder besticht nicht durch «laute Töne», vielmehr zeigt sie ihre Vorreiterrolle zum nachhaltigen Bauen auf den zweiten Blick. So stellt sie Wohnungen bereit, die in ihrer Ausgestaltung relativ schlicht sind. Dadurch geben diese den dort lebenden Menschen gleichzeitig eine grosse Freiheit, wie sie diese bewohnen wollen. Auch die fehlende Tiefgarage ist nicht primär sichtbar. Die Schlichtheit der äusseren Gestaltung schliesslich wird im Laufe des Jahres durch eine Fassadenschicht belebt, die sinngemäss ihre Kleider wechselt. Im Weiteren ist die konsequente, akribische und kostenoptimierte Umsetzung des Minergie-P-Eco-Standards sowie schliesslich das umfassende Überprüfen der energetischen Zielwerte als vorbildlich hervorzuheben. Insgesamt eine leise, feine Umsetzung nachhaltigen Planens und Bauens.
Learning «Konsequente Erfolgskontrolle»
Nachhaltigkeitsziele sind nur etwas wert, wenn sie überprüft und ausgewiesen werden. Das Label Minergie geht von Standardwerten zum Verbrauch aus, eine Erfolgskontrolle im Betrieb ist nicht vorgesehen. Gerade bei Projekten wie der Siedlung Burgunder, die sich umfassend der Nachhaltigkeit verpflichten, verleiht den Zielen erst ihre exakte Überprüfung Glaubwürdigkeit. Genau wie bei den Projektkosten gilt es, die Zielvorgaben der Nachhaltigkeit den erreichten Werten gegenüber zu stellen. Diese Evaluation findet in der Regel nur statt, wenn sie von Anfang an im Projekt vorgesehen und budgetiert ist.
In der Wohnsiedlung Burgunder wurde durch die Architekten und Bauherren eine Erfolgskontrolle durchgeführt (vgl. Links 1, 2). Die Planungswerte wurden mit einer Auswertung von Messwerten (Stichproben) und durch Befragung der BewohnerInnen bestätigt. Die Evaluation hat den wesentlichen Einfluss der NutzerInnen auf den Energieverbrauch aufgezeigt. Die Resultate der Erhebungen wurden anlässlich einer Informationsveranstaltung den BewohnerInnen vorgestellt. Eine weiterführende Sensibilisierung und Erfolgskontrolle sollte aufrechterhalten werden.
Diese konsequente Selbstkontrolle hat Vorbildcharakter, wobei eine externe Überprüfung durch eine unabhängige Instanz die Glaubwürdigkeit erneut gesteigert hätte.
Verwandte Artikel
-
geortet: Markthalle in Basel
20.03.13
-
geortet: Giesserei Winterthur
21.02.13