Entwerfen mit «Marionette»
John Hill
7. Dezember 2017
Rendering der Ausstellung «A History of Wood in Vancouver». Bild: Principle Architecture
Was ist die Quelle architektonischer Innovation heutzutage? Man findet sie vermehrt in der Software, die Architekten benützen, um ihre Projekte zu entwerfen, zu dokumentieren und zu koordinieren.
Parametric design ist verantwortlich für einige der spektakulärsten Entwicklungen in der Architektur. Ein leiseres Projekt, das am diesjährigen Vectorworks Design Summit präsentiert worden ist, deutet an, was mit «Marionette», so der Name des parametrischen Entwurfswerkzeugs von Vectorworks, erreicht werden kann. Obwohl parametric design, das sich in Architektenkreisen mittlerweile recht gut etabliert hat, Architekten dazu verhilft, nach Parametern wie Klima, Code, Funktion oder Licht etc. zu entwerfen, wird es immer noch als Instrument angesehen, mit dem man «Blobs» kreiert. Zaha Hadid Architects fliessendes Heydar Aliyev Center in Baku, Aserbaidschan, kommt zum Beispiel in den Sinn, wenn man den Begriff hört. Diese Wahrnehmung hat sicher damit zu tun, dass Greg Lynn, UN Studio oder eben Zaha Hadid Architects unter Patrik Schumacher zu den frühen Anwendern dieser Software gehören. Aber – die Algorithmen und Skripte hinter dem parametric design werden für relativ unspektakuläre Aufgaben wie zum Beispiel der Koordination zwischen Architekt und Ingenieur verwendet. Zu Deutsch reden wir dann von Building information Modeling (BIM). Wie Carsten Sauerbrei unlängst in «Architecture 4.0» dargestellt hat, kann aber auch die Lage der Bewehrungseisen mit BIM oder eben parametric design festgelegt werden.
Eingebettet in Vectorworks’ Software-Angebot für Architekten, Landschaftsarchitektinnen und Designer in der Unterhaltungsindustrie gibt es ein eigenes Entwurfswerkzeug für parametric design namens «Marionette». Software verfügt meistens über Skripts und die sind textbasiert. «Marionette» hingegen ist grafisch, was bedeutet, dass Vectorworks-Benutzer den Code hinter dem Skript nicht kennen müssen, keine Programmier sein müssen. Kennt man aber die verschiedenen Teile (grundsätzlich Knoten und Verbindungen) und weiss, wie sie zusammenarbeiten, versteht man die Sprache der Software und kann sie anwenden.
Aufbau des «Marionette»-Skripts. Bild: Screenshot des Vectorworks-Tutorial
Als User dieser Software nimmt man standardisierte Verknüpfungen aus der Vectorworks-Bibliothek und setzt sie anhand von gewissen Parametern eines Projektes zusammen. Fortgeschrittene Anwenderinnen hingegen können den Code hinter den Verknüpfungen verändern und ihn mit anderen Vectorworks-Usern teilen. Da «Marionette» erst 2016 herausgegeben worden ist, gibt es nicht viele Projekte, die so entstanden sind. Ein Projekt jedoch, das am Vectorworks Design Summit 2017 vorgestellt wurde, lässt aber das Potenzial erahnen, das in «Marionette» steckt.
Dieses Projekt hiesst «A history of wood in Vancouver», eine Ausstellung, deren Szenographie von Principle Architecture in Zusammenarbeit mit Chad Manley (CMPLBA) und Michael Lis (Goodweather) stammt. Als Principle 2016 beauftragt worden ist, eine Ausstellung über die Geschichte und Kultur von Holz in Vancouver zu designen, war damit nicht nur ein sehr enger Zeitplan verbunden, sondern es gab auch eine Reihe von Unbekannten, darunter der gesamte Ausstellungsinhalt! Verschiedene wechselnde Parameter und der Bedarf einer Ausstellungsarchitektur, die das Thema reflektieren sollte, führten dazu, dass die Firma (...) beschloss, die Ein-Raum-Installation zu einem Versuchslabor für «Marionette» zu machen. Daniel Irvine, Architekt bei Principle erklärte es folgendermassen: «Wir mussten an Entwurf, Ausarbeitung, Konstruktion und Herstellung arbeiten – alles zur selben Zeit –, mit einem Programm, das sich ständig veränderte. Wir benutzten «Marionette», damit diese Dinge gleichzeitig passieren konnten.»
Konzeptioneller Schnitt und Grundriss für «A History of Wood in Vancouver». Plan: Principle Architecture
Das Konzept für die Ausstellungsarchitektur entwickelte sich als Serie von baumartigen Formen, gestützt durch eine Holzständerkonstruktion im Innern. Ausstellungsbesucher flanierten zwischen den «Bäumen», deren Inneres mit dem Ausstellungsinhalt versehen wurden, den das Museum zu zeigen vorsah. Das Team hatte nur sechs Monate von Entwurfs- bis Produktionsbeginn. Mit «Marionette» konnten Grösse, Form und Struktur der «Bäume» ganz einfach angepasst werden, sobald gewisse Parameter wie Inhalt eines jeden Baumstrunks, die Grösse und die Platzierung bestehender Leitungen und die erforderte Breite der Wege bekannt wurden. Letzteres passierte, als die Behörden erklärten, dass der Ausstellungsraum tatsächlich Korridor und Fluchtweg war und somit spezifische Anforderungen zu erfüllen hatte. Allgemeiner gesprochen: «Marionette» ermöglichte es den Architekten, Beziehungen zwischen Objekten aufzubauen, und die Koordination zu erleichtern, wenn sich diese Beziehungen änderten.
Perspektivischer Grundriss. Plan: Principle Architecture
Grundriss der Ausstellung. Plan: Principle Architecture
Principle Architecture bearbeitet sonst fast ausschliesslich institutionelle und gemeinschaftliche Projekte, insbesondere Schulen, Lagergebäude und Einrichtungen für kleine Gemeinden an der Küste von British Columbia. Abgesehen von einer Vorliebe für Holzstrukturen lassen ihre regional verankerten Projekte nicht erahnen, was sie nun mit «A History of Wood in Vancouver» erreicht haben. Die organischen «Bäume», die mit NURBS («non-uniform rational basis spline») modelliert worden sind, gleichen eher parametrischen Entwürfen von Büros wie UNStudio. Aber Irvine und sein Kollege bei Principle, Jean Dières Monplaisir, machen klar, dass das Ausstellungsdesign vom Script beeinflusst wurde, aber nicht dessen Produkt ist. Die Formen folgten dem Konzept, das wiederum zum Ausstellungsthema passen sollte, während «Marionette» vor allem zur Koordination des Projekts gebraucht wurde. «‹Marionette›» hat weitaus mehr Potenzial als Blobs zu kreieren», erklärte Monplaisir. «Alles, was automatisiert werden kann und von einem Set an Parametern definiert ist – Treppen, Geländer, Fensterformen – kann vom Skript berechnet werden, sodass man nicht alles neu zeichnen muss, wenn sich das Projekt verändert.»
Konstruktionsdiagramme. Plan: Principle Architecture
Konstruktionsdetails. Plan: Principle Architects
Nicht alles neu zeichnen zu müssen war wichtig für Principle wegen der vielen sich ändernden Parameter wie oben beschrieben. Aber auch wegen der Herstellung. Um die Stabilität und den natürlichen Charakter der «Bäume» zu bestimmen und die Details der Tannenhaut zu testen, wurden mit Hilfe des «Center for Advanced Wood Processing» an der Universität von British Columbia 1:1-Modelle hergestellt. Mit nur einem Klick konnte das Vectorworks-Modell auf eine CNC-Fräse übertragen werden, und die Modelle konnten zu jedem Zeitpunkt im Prozess hergestellt werden: Ein wichtiger Punkt angesichts des engen Zeitplans und der Finanzierung durch den Kunden. Leider wurde die Ausstellung letztes Jahr aus verschiedenen Gründen, ausserhalb der Kontrolle der Architekten, verschoben, aber Irvine und Monplaisir sind zuversichtlich, dass sie eines Tages gezeigt werden wird. Wenn dies der Fall ist, sollte «A History of Wood in Vancouver» die Aufmerksamkeit auf eine wichtige Ressource in Kanada lenken – und auf die Werkzeuge, die das Ausstellungsdesign von Principle erst möglich gemacht haben.
Fabrikation der 1:1-Modelle. Bild: Principle Architecture
Dieser Text erschien im November im Magazin von World-Architects anlässlich der Partnerschaft am Design Summit dieses Jahres. Übersetzt von Jenny Keller.