Entdeckung eines Multitalents
Susanna Koeberle
22. September 2016
Die P40 Liege für Tecno ist auch heute noch Borsanis bekanntester Entwurf. Bild: © Archiv Borsani
Unweit von Mailand gibt die Villa Borsani mit angrenzendem Archiv Einblick in das reiche Schaffen des Italieners Osvaldo Borsani.
Schätze entdeckt man zuweilen gerade in der Peripherie. Varedo ist ein kleines Städtchen vor den Toren Mailands. Nichts würde darauf hindeuten, dass man hier auf etwas Aussergewöhnliches stossen könnte. Der Besuch der Villa Borsani und des dazu gehörenden Archivs belehrt uns allerdings eines Besseren. Osvaldo Borsani (1911-1985) ist Designliebhabern auch in unseren Breitengraden ein Begriff. Seine Entwürfe für die Firma Tecno, die er zusammen mit seinem Zwillingsbruder im Jahr 1953 gegründet hat (sie ist heute eine Aktiengesellschaft und zum Teil noch in den Händen der Familie Borsani), gehören zu den Ikonen des italienischen Designs und werden nach wie vor produziert. Vielleicht führte gerade dieser Umstand dazu, dass man Borsani nur als Designer der «Tecno» kennt. Borsanis Werk lässt sich aber bei Weitem nicht darauf reduzieren. Das zeigt gerade ein Besuch in Varedo sehr schön.
Borsani (ganz links) war zeit seines Lebens ein Teammensch (hier mit Marco Fantoni, Eugenio Gerli, Valeria Borsani und Fulgenzio Borsani).
Früh übt sich
Borsani wird in Varedo geboren. Sein Vater ist Inhaber des «Atelier di Varedo» (später wird die Firma in «Aredamenti Borsani Varedo» umbenannt), einer angesehenen Möbelmanufaktur. Diese stellt Möbel her, die dem Geist der Wiener Werkstätte entspringen, im Italien des frühen 20. Jahrhunderts also ziemlich exotisch daherkommen. Doch das Konzept der «Einheit der Künste», das damals in Wien en vogue war, prägt den jungen Borsani stark, der bereits als Jugendlicher im Betrieb des Vaters mithilft und dort seine Lektion in Sachen Raumgestaltung und Handwerk lernt. Seinen Hang zum Künstlerischen widerspiegelt seine Maturität mit künstlerischer Ausrichtung an der Accademia delle Belle Arti Mailands. Danach beginnt er am Politecnico di Milano mit dem Architekturstudium, das er 1937 abschliesst. Schon während seines Studiums zeigt sich Borsanis Talent und seine Leidenschaft für Gestaltung. Mit seinem Entwurf «la Casa Minima» (1933), einem Haus, das von Aussen zwar minimalistisch daherkommt, in der Innenausstattung aber ausgesprochen variiert und reichhaltig wirkt, nimmt er an der V. Triennale di Milano teil. Ein paar Jahre später entwirft er eine Villa in Forte dei Marmi, die heute Teil eines Hotelkomplexes ist.
Sein Genie und sein künstlerisches Flair zeigt sich erstmals im Haus, das er 1940 für seine Familie in Varedo entwirft und das 1943 fertiggestellt wird. Die strengen Geometrien des Baus machen im Innern einem ungeheuren Detailreichtum Platz. Borsani ist schon damals mit namhaften zeitgenössischen Künstlern wie Lucio Fontana, Fausto Melotti (der später auch mit Gio Ponti zusammenarbeitet), Agenore Fabbri, Arnaldo Pomodoro oder Adriano Spilimbergo befreundet und beginnt eine intensive Kollaboration mit diesen. In der Villa Borsani etwa stammt der Entwurf für den Kamin von Lucio Fontana; von Fontana ist auch eine kleine Keramik-Madonna an der Fassade des Hauses, die heute kaum zu erkennen ist zwischen dem dichten Efeu. Auch Skulpturen von Spilimbergo und Fabbri begegnet man mehrmals im Haus. Borsani selber hätte durchaus das Zeug zum Künstler gehabt. Das jedenfalls geht der Besucherin durch den Kopf, als sie in der Eingangshalle die spektakuläre Treppe aus Glas, Marmor und Holz entdeckt, die er zusammen mit Elio Luxardo entworfen hat. Kein Wunder wird das Haus regelmässig für Modeshootings gebucht.
Villa Borsani: Die Skulptur am Fuss der Treppe stammt von Agenore Fabbri. Bild: © Archiv Borsani
Gesamtkunstwerke
Während sich seine Arbeit als Architekt auf wenige Bauten beschränkt, ist die Liste seiner Aktivität als Innenarchitekt und Designer lang. Es gehörte schon damals zum guten Ton in der gehobenen Bourgeoisie, sich Interieurs nach Mass anfertigen zu lassen. Auch hier arbeitet Borsani eng mit seinen Künstlerfreuden zusammen. Lucio Fontana erhält mehrmals den Auftrag, die Decken zu gestalten und es entstehen Meisterwerke, die leider heute nur zum Teil erhalten sind. Meistens waren die Möbelentwürfe für diese Projekte Einzelanfertigungen, teilweise entstanden aber auch Serien, die auch von Künstlern customized wurden. Regelmässig tauchen auf dem Markt solche Stücke auf. Geht es um die Authentifizierung dieser Kostbarkeiten, erweist sich eine weitere Gewohnheit und Begabung Borsanis als kostbar.
Casa G. Soffitto und Bar. Bild: © Archiv Borsani
Aquarell: © Archiv Borsani
Von jedem einzelnen Projekt, seien dies ganze Interieurs oder auch nur einzelne Möbelstücke, fertigte er Zeichnungen und Aquarelle an. Zudem existieren fast bei allen Arbeiten genauste Pläne und Fotografien. Mithilfe dieser Fülle an Material sind die Erben und Betreiber des Archivs heute in der Lage, die Provenienz der Möbel präzise zu bestimmen. Das Vorliegen dieser umfangreichen Dokumentation von Osvaldo Borsanis Wirken als Designer, Innenarchitekt, Architekt und nicht zuletzt auch als Unternehmer (immerhin führte er neben der Firma Tecno weiterhin die Möbelwerkstätte der Eltern weiter) bewog die Erben Borsanis zum Erarbeiten einer grösseren Publikation. Der Catalogue raisonné seines Werkes soll nächstes Jahr erscheinen. Geplant ist zudem für 2018 eine grosse Einzelausstellung. Wer bis dahin nicht warten möchte, kann Villa und Archiv in Varedo jederzeit auf Anmeldung besichtigen