Bau des Jahres 2013 im Kontext

Juho Nyberg, Inge Beckel, Jenny Keller
6. Februar 2014
Die Skulptur «Large Interior Form» von Henry Moore (1982) vor dem Haus Würth in Rorschach. Bild: Thies Wachter

Seriös und präzis
Um das Würth Haus von Gigon/Guyer war es vergleichsweise ruhig in den Fachmedien. Zur Erinnerung: Die Würth-Gruppe hat damit ihre weltweit 15. Kunstdependance und die dritte in der Schweiz eingeweiht, das Forum Würth Rorschach. Am neuen Standort dreht sich aber nicht alles um die Kunst, der 32'200 m2 grosse Neubau ist ein Verwaltungsgebäude, beherbergt ein Ausbildungs-, und Trainingszentrum mit Büros, Veranstaltungs- und Sitzungsräumen, ein Kongresssaal mit Seesicht für 500 Personen sowie ein Café, das – wie das Forum – öffentlich ist. Die Kunst wird nicht nur im Forum ausgestellt, das ganze Gebäude ist gespickt mit Werken aus der 15'000 Stücke umfassenden Sammlung.

Vielleicht liegt das bescheidene Interesse am Würth Haus daran, dass es sich um einen eingeladenen Wettbewerb einer privaten Bauherrschaft handelte. Vielleicht aber ist das Haus auch einfach ein zu gutes Beispiel Schweizerischer Präzisionsarchitektur, die zwar seriös, verlässlich und repräsentativ ist, jedoch nicht grosse Wellen schlägt. Von Gigon/Guyer durften wir vielleicht gerade deswegen nach der Verkündung der Auszeichnung zum Bau des Jahres erfahren, dass sich Würth und alle Beteiligten sehr über die Nachricht freuten.

Wir möchten aber auch einige andere Projekte nicht unerwähnt lassen, die möglicherweise erst auf den zweiten Blick interessant erscheinen und ausserdem die unglaubliche Vielfalt der Schweizer Architektur repräsentieren: Die Projekte, die wir als Bau der Woche zeigen sind geprägt von einer breiten Nutzungsmischung, sie können gross oder klein, von grossen oder kleinen Namen gebaut worden sein und sind natürlich immer Zeuge einer persönlichen Selektion, die – und das scheint uns sehr wichtig – keinen Anspruch auf absolute Richtigkeit hat.

​Alltägliches Wahrzeichen
Schräg vis-à-vis des siegreichen Würth Hauses in Rorschach steht ein weiteres Bauwerk, das wir zu Beginn des letzten Jahres als Bau der Woche vorgestellt haben. Die architektonische Aufgabe des AufZuges Rorschachwird vom Architekturbüro Alex Buob als scheinbar einfache Infrastrukturaufgabe beschrieben, die gleichzeitig (und durch die Ausformulierung) auch zum Wahrzeichen des Ortes geworden ist. Was dieses Projekt beispielhaft macht, ist die Tatsache und das Bewusstsein darüber, dass die Stadt oder das Dorf ohne Infrastruktur keine Stadt oder Dorf wäre. Diese scheinbar unspektakulären Aufgaben sind trotz oder gerade wegen ihrer Alltäglichkeit ebenso wichtig und manchmal wichtiger als architektonische Lieblingsaufgaben, wie zum Beispiel ein Haus für die Kunst.

Verbindung zum Bahnhof Rorschach. Bild: Barbara Bühler

Umnutzungen
Nicht selten sind Architektinnen und Architekten mit Umbauarbeiten beschäftigt. Der Gebäudepark der Schweiz besteht dabei aus vielen Objekten, die vor den 1980er-Jahren erstellt worden sind und deshalb auch energetisch saniert werden müssen, der SIA spricht dabei von einer langfristigen Erneuerungsstrategie seitens der Eigentümer. Ein exemplarisches Beispiel dafür ist das Einfamilienhaus in Cortaillod von frundgallina aus Neuchâtel. Das Projekt sieht auf den ersten Blick, von aussen, etwas simpel aus, man meint, eine weitere schweizerisch korrekte aber nicht sehr aufregende «Kiste» vor sich zu haben. Hier lohnt es sich also, den Text zu lesen, haben wir es doch mit einem Haus aus den 1950er-Jahren zu tun, das umgebaut und vergrössert worden ist. Aber man sollte auch den Grundriss genauer betrachten: Die Erschliessung, die um den Kern gegliedert ist, ist Teil der neuen Gebäudehülle. Des Weiteren wurde mit dem Projekt ein doch immer noch seltene Blick über den Röstigraben geworfen, was uns als Swiss-Architects.com natürlich sehr freut.

Schnitt und Grundriss des umgebauten Einfamilienhauses in Cortaillod. Plan: frundgallina

Aber auch ein gutes Beispiel aus Basel ist zu erwähnen. Beer + Merz Architekten beschreiben im Text zum Projekt Umbau und Sanierung Eigentumswohnung in Zweifamilienhaus ein oft angetroffenes Problem: Wie geht man mit einer bereits mehrfach umgebauten Substanz um, was soll wiederhergestellt werden und wo lohnt sich der Aufwand auf der anderen Seite gar nicht? Die jungen Architekten haben hier bewiesen, dass sie den Umgang mit historischer Substanz beherrschen und lehnen auch mit den Einbauten an eine (leider heute oft vernachlässigte) Tradition der Schreinerarbeiten auf Mass an.

Sanierte Eigentumswohnung in Basel von Beer + Merz Architekten. Bild: Mark Niedermann

Detailfreude und Städtebau
Das Hohe Haus West von Loeliger Strub Architektur GmbH ist städtebaulich und formal gut im historischen und städtischen Kontext platziert, das bemerkt schon, wer die Fotos und die Situation studiert. Aber auch im Innern spürt man die Sorgfalt, mit der die Architekten an die Bauaufgabe herangegangen sind. Die Ausformulierung des Innenraums zeugt von einer grossen Detailfreude, von der man sich als Nicht-Bewohner zum Glück im öffentlichen Lokal «Salon» im Erdgeschoss überzeugen kann.

Küche im Hohen Haus West von Loeliger Strub. Bild: Roland Bernath

Schmuckstück
Neben wichtigen und relevanten Bauaufgaben müssen auch solche, die einer freien Kategorie angehören, möglich sein. Das sah unsere Leserschaft genau so, als sie das Badehaus im Trümplerpark von moos giuliani herrmann architekten auf den zweiten Platz gewählt haben. Der Ersatzbau des ehemaligen Badehauses zitiert Historisches und ist dennoch in der Gegenwart verankert, der einfache Raum ohne Strom und Wasser steht für sich selbst und erzählt von der Vergangenheit und der luxuriösen Gegenwart, in der sich die Bevölkerung und die Architekten in der Schweiz befinden.

Das Badehaus im Trümplerpark von moos giuliani herrmann. Bild: Architekten oder Christian Reich

Vor Ort
Was immer wieder auffällt, wenn man die Objekte aus der Rubrik Bau der Woche studiert, ist, dass die Abbildung in einem Heft, Buch oder im Internet den Besuch vor Ort nicht ersetzen kann. Ein gutes Gebäude ist immer für die Menschen darin und darum entworfen worden, deshalb muss es auch immer persönlich erlebt werden. Fotos und Pläne können nur einen Teileindruck vermitteln. Oft hört man, dass durch die Architekturfotografie (oder durch die verwandte «Vorstufe» des Renderings) bestehende Mängel bewusst kaschiert werden und dass die Realität beschönigt wird.

Bei der Telefonzentrale Wollishofen von Rossetti + Wyss Architekten ist das Umgekehrte der Fall: Die Dokumentation auf unserer Seite vermittelt ein schlechteres Bild der Realität. Die von den Architekten angestrebte nutzungsneutrale Umnutzung der ehemaligen Telefonzentrale (die lange Zeit «unternutzt» war) lebt im Innern von einer beinahe greifbaren guten Atmosphäre, die insbesondere durch die Farbgebung und die Raumhöhe zur Geltung kommt. Auf den Bildern ist das nicht nachzuvollziehen, die Fotografie scheint das falsche Medium zur Dokumentation dieses Projekts zu sein. Ein Bericht aus Plänen, Bildern und ein Text können hier den Besuch vor Ort überhaupt nicht ersetzen.

Ausblick
Man könnte kritisieren, dass bei der Wahl zum Bau des Jahres Äpfel mit Birnen verglichen werden, wir meinen, die Auswahl wiederspiegelt eben die Vielfalt der Bauaufgaben in unserem Land. Und, die Abstimmung hat das wichtige Ziel, die von uns getroffene und möglicherweise subjektive Auswahl der Projekte in der Rubrik Bau der Woche zu demokratisieren. Obwohl die Beliebtheit dieser Rubrik ausser Frage steht, freuen wir uns über die ununterbrochene Bestätigung durch unsere Leserschaft. Der letztjährige Sieger, Daniel Lischer, hat es folgendermassen formuliert: «Den Bau der Woche auf Swiss-Architects.com verfolgen wir regelmässig, denn hier werden immer aktuelle Bauten vorgestellt, die (…)  schon durch eine Triage gegangen sind. Diese Selektion macht die Qualität aus.» In diesem Sinne freuen wir uns schon auf die Abstimmungsergebnisse im nächsten Januar, wenn wir den Bau des Jahres 2014 verkünden werden.

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