Angesagt ist Zusammenleben, Koexistenz!
Inge Beckel
18. Juni 2015
Barcelona, Plaça de les Glòries Catalanes, mit Open Pavillon, Calderon Folch Sarsanedas Arquitectes. Bild: world-architects.com
Ein Gespräch mit dem Architekten Nicola Regusci über städtebauliche und soziale Koexistenzen, die Qualität öffentlicher Räume und Zürcher Wohnungsbauten. Regusci ist zudem Organisator des Cities Connection Project CCP, das 2015 mit und in Barcelona und Zürich stattfindet.
Im Oktober wird das dritte Cities Connection Project durchgeführt, eine Art Architektur-Austausch von Barcelona mit Zürich. Worum geht es dabei?
Vor zwei Jahren haben wir eine Begegnung mit Tessiner und Barceloneser Architekten organisiert und vor einem Jahr ein entsprechendes Projekt zwischen Genf und Barcelona. Nun, als dritte Auflage, sind Zürcher Architekten und Architektinnen dran. Dabei geht es uns darum, dass beide Seiten das Schaffen und die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen aus der anderen Stadt kennenlernen.
Anstatt aber einfach Pläne aufzuhängen und Modelle auszustellen, möchten wir, dass sich die Leute begegnen, dass sie sich treffen, austauschen und zusammen diskutieren. Beim letzten Mal sind 18 der beteiligten 20 Genfer Büros, die vorgestellt wurden, mit nach Barcelona gereist.
Bei gewissen Leuten, die sich dabei kennenlernten, dauert der Austausch über das Treffen hinaus an. Auch sehen die Architekten, wie sich die Arbeits- und Schaffenssituation in der jeweils anderen Stadt gestaltet. So ist derzeit die Lage in Barcelona für Archiekturschaffende schwierig, während sie in der Schweiz generell gut ist. Denken wir aber an die 1990er-Jahre zurück, war es genau umgekehrt.
Was geschieht derzeit in Barcelona, wo sind neuere Planungen zu finden?
Einmal ist es das alte Hafengebiet gegen Süden, das starken Veränderungen unterworfen sein wird. Dann wird das Gebiet gegen den Tibidabo hinauf, also den Hang im Norden von Barcelona, entwickelt.
Nun hat sich aber gezeigt, dass jenes obere Gebiet von der Stadt weiter unten durch die Ringstrasse eigentlich ziemlich abgeschnitten ist. Die Strasse fungiert fast wie eine Grenze. Es gibt nun ein Projekt – genannt Puertas de Collserola –, grüne Korridore vom unteren Teil der Stadt nach oben zu legen. Eigentliche Brücken oder grüne Lungen sollen dies werden. Das Projekt ist aber noch nicht weit fortgeschritten und man weiss nicht, wie sich das Vorhaben entwickelt. Auch fehlt das Geld.
Import Geneva, meeting Geneva Architects & Barcelona Architects, ARTS SANTA MÒNICA, Las Ramblas, Barcelona. Bild: Adrian Pedrazas
Was ist für dich charakeristisch an der Zürcher Architektur?
Was ich in Zürich derzeit spannend finde, sind die vielen Neubauten im Wohnungsbau. Hier hat sich sehr viel getan, vor allem im genossenschaftlichen Wohnungs- und Siedlungbau. Das ist im internationalen Vergleich faszinierend.
Was mir zudem aufgefallen ist, ist der Mix von Wohnen, Arbeiten, von Läden, Kinos oder gar einem Industriebetrieb wie der VBZ-Tramhalle in der Kalkbreite. Auch die Grundrisse mit den Clusterwohnungen sind etwas Ungewöhnliches, Neues. Oder dass eine Schule wie die ZHdK und Wohnungen auf dem Toni-Areal in ein und demselben Komplex untergebracht sind. Das gibt es in Barcelona nicht in der Art. Alles koexistiert auf engstem Raum.
1992 war Barcelona Ausstragungsort der Olympischen Sommerspiele. Was hat dieses Ereignis städtebaulich rückblickend für Barcelona bedeutet?
Die Transformation oder Umwandlung der Stadt hatte natürlich schon in den 1980er-Jahren begonnen. Damals gab es zahlreiche so genannte Mikro-Urbanismen, die an ganz unterschiedlichen Orten mit kleinsten Eingriffen die Stadt zu verändern begannen. So wurde beispielsweise in einem Quartier mit sozialen Problemen an zentralem Ort ein öffentliches Gebäude errichtet. Oder es wurden neue Plätze gebaut, öffentliche Räume. Gebäude und Plätze strahlten durch ihre Offenheit respektive Öffentlichkeit weit in ihre jeweilige Umgebung aus. Was Veränderungen fürs ganze Quartier bewirkte, indem Treffpunkte oder Begegnungsorte geschaffen wurden. Eine wichtige Figur für diese Entwicklung war der Architekt und damalige Stadtbaumeister Oriol Bohigas.
Der eigentliche, grosse städtebauliche Eingriff, der die Olympiade bewirkt hat, war die Öffnung der Stadt zum Meer. Ausser an gewissen Orten, wie der Landzunge Barceloneta, wo ursprünglich vor allem Fischer mit ihren Familien lebten, war die Stadt bis in die frühen 1990er-Jahre mehrheitlich vom Meer getrennt. Unmittelbar am Wasser fanden sich Industrien und Hafengebiete. Heute aber haben wir beispielsweise den Moll de la Fusta mit der Promenade am Wasser, neue Strände und das Ufer zwischen dem Port Olimpic und dem W-Hotel.
Blick auf die im Zuge der Olympiade 1992 erschlossene Küste. Bild: Jon Tugores, Architekt, Barcelona
Wie hat sich die Stadt seither, also in den letzten zwei Jahrzehnten verändert?
Seither wurde die Diagonal von der Plaça de les Glòries Catalanes hinunter zum Meer verlängert. Und das Gebiet, wo die Diagonal auf die Küste trifft, wurde aufgewertet. Was einerseits erfreulich ist. Es gibt andererseits aber eine problematische Seite. Denn die Menschen, die dort wohnten, wurden teilweise umgesiedelt, sprich vertrieben.
Wie in vielen Metropolen heute fand – und findet weiterhin – in zentrumsnahen Gebieten eine Gentrification statt. Die neuen Wohnungen werden teurer. Viele der ehemals Ansässigen müssen weiter hinaus ziehen. Doch wurde auch in den genossenschaftlichen sowie sozialen Wohnungbau investiert. Womit auch Barcelona eine lange Tradition hat. Man denke etwa an den Komplex Walden 7 mit ursprünglich 446 Wohneinheiten aus den frühen 1970er-Jahren vom Taller de Arquitectura von Ricardo Bofill. Oder an den sozialen Wohnungsbau an der Avenida Meridiana aus den frühen 1960er-Jahren vom Studio MBM.
Wo ist Barcelona katalanisch, wo ist die Stadt global?
Was ein eigentliches Merkmal in Barcelona ist und die Stadt international auszeichnet, sind ihre öffentlichen Räume, sowohl die alten wie La Rambla oder die Plaça Reial, aber auch jüngere wie der grosse Platz vor dem Bahnhof Sants oder eben die Moll de la Fusta.
Was die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt derzeit aber stark beschäftigt, sind nicht primär Gebäude oder Plätze, sondern das Phänomen, dass Barcelona eine extrem beliebte Touristendestination ist. Wie Paris, New York, London und andere Destinationen. Natürlich ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, was gut ist. Er bringt aber gleichzeitig Probleme, die für die Einwohner der Stadt immer grösser werden. Da trifft das Lokale auf das Globale. Und umgekehrt.
Zahlreiche und qualitätvolle öffentliche Räume – Pärke & Plätze – zeichnen Barcelona aus.
Es geht also weniger um Bauliches denn Soziales oder Gesellschaftliches?
Ja, ganau. Ein weiteres Problem, das viele Menschen in Barcelona seit der Wirtschaftskrise 2008 getroffen hat, sind Zwangsräumungen. Leute, die Hypotheken für ihre Wohnungen oder Häuser nicht mehr bezahlen konnten und können, müssen ihre Häuser räumen. Davon betroffen sind sehr viele Menschen mitsamt ihren Familien. Nun haben sie begonnen, sich zu wehren.
Das Interessante ist nun, dass die Päsidentin dieser Organisation, der Plataforma de Afectados por la Hipoteca – auch unter dem Namen Movimiento contra los Desahucios oder Bewegung gegen Zwangsräumungen bekannt –, also dass die Präsidentin Ada Colau zur neuen Bürgermeisterin der Stadt gewählt worden ist. Erst vor wenigen Tagen hat sie ihr neues Amt angetreten. Eine Frau aus einer Bottom-up-Bewegung übernimmt das Stadtpräsidium. Erneut trifft das Lokale – Menschen, die aus ihren Wohnungen vertrieben werden – auf das Globale, auf die Folgen der Wirtschaftskrise von 2008.
Ada Colau, die neue Bürgermeisterin, gehört übrigens zu jenen Leuten, die klar sagen, so kann das mit dem Massentourismus in Barcelona nicht weitergehen. Was das genau bedeutet, wird die Zukunft zeigen. Letztlich aber müssen wir den Platz teilen, die verschiedenen Interessen und Bedürfnisse müssen miteinander auskommen, was auch gegenseitige Rücksichtnahme bedeutet. Wiederum geht es um Koexistenz. Denn sicherlich heissen wir Touristen willkommen. Aber es gibt auch einen Alltag vor Ort, der nicht vom oder mit dem Tourismus lebt.
Nicola Regusci ist in Lugano geboren und studierte Architektur in Genf. Noch vor der Olympiade 1992 zog er nach Barcelona, wo er heute zusammen mit Partnern das Büro XNF Arquitectes führt.
Cities Connection Project
Vor drei Jahren hat Regusci zusammen mit Xavier Bustos das Cities Connection Project gegründet, dessen dritte Durchführung diesen Herbst – Ende Oktober/Anfang November – in Barcelona und Zürich stattfindet. Dafür haben sie je 20 Büros ausgewählt, deren InhaberInnen unter 50 Jahre alt sind. Ort und genaue Daten folgen.