Was haben Instantnudeln mit Design zu tun?

Susanna Koeberle
21. September 2022
Die Kampagne der Vienna Design Week 2022 zeigt Szenen aus dem diesjährigen Fokusbezirk Mariahilf. (Montage © Bueronardin, Vienna Design Week)

Wien würde man spontan nicht mit Design assoziieren. Da drängen sich eher andere touristische Attraktionen auf. Doch eines der Designfestivals der ersten Stunde war die Vienna Design Week, die in diesem Jahr schon zum 16. Mal stattfindet. Das Festival hat es geschafft, sich auf der internationalen Designlandkarte einen Namen zu machen, nicht zuletzt wegen seiner besonderen Positionierung. Die Vienna Design Week (VDW) ist weder eine Messe noch eine Verkaufsausstellung, sondern stellt Design in einen grösseren Kontext jenseits rein kommerzieller Interessen, wobei natürlich auch so ein Festival nicht ohne Sponsoren auskommt. Der weit gefasste Designbegriff der VDW führt die gesellschaftliche Relevanz der Disziplin vor Augen – und das eben ohne Lifestyle-Weichspüler. Denn Designer*innen tragen dazu bei, unser Zusammenleben menschlicher, ökologischer und einfacher zu machen. Das von einem unabhängigen Verein gegründete Festival sensibilisiert für diese Sicht auf Design. Und nicht zuletzt schärft es auch den Blick für die Stadt Wien – dies in mehrfacher Hinsicht. Jedes Jahr ist die Zentrale der VDW in einem anderen Stadtteil domiziliert, meist handelt es sich dabei um Zwischennutzungen von leerstehenden Bauten. Auf diese Weise entsteht eine alternative Kartografie der österreichischen Hauptstadt, die verdeutlicht, wie historisch verankert Handwerk und Gestaltung in Wien sind.

Die vielen Handwerksbetriebe zu aktivieren und mit zeitgenössischer Gestaltung zusammenzubringen, ist das Ziel des Formats «Passionswege». Aufgrund der Pandemie mussten die von der VDW initiierten und kuratierten Kollaborationen zwischen Handwerker*innen und Designer*innen zwei Jahre pausieren, doch nun konnte dieses Format wieder aufgenommen werden. Für diese Ausgabe wurden zwei Tandems ausgewählt. Zudem entstand neu eine Kooperation mit der NGO co/rizom, die einen ähnlichen Ansatz auch im Ausland verfolgt. Durch neue Formen der Zusammenarbeit unterstützt sie Handwerker*innen darin, neue Absatzmärkte zu finden. Das ist insofern wichtig, als Handwerk in Europa immer seltener wird und damit viel Know-how verloren geht. Zugleich ist in vielen Kulturen und Ländern Handwerk nach der Landwirtschaft eine der wichtigsten Einkommensquellen. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Initiativen formiert, die diese aussterbende kulturelle Praxis unterstützen möchten. Angesichts der negativen Auswirkungen (ja, es gibt auch positive) der Globalisierung ein umso wichtigeres Unterfangen.

Im Rahmen des Formats «Passionswege» arbeitet die Schweizer Designerin Anna Zimmermann mit der traditionsreichen Firma Bakalowits zusammen. (Foto © Lea Sonderegger, Vienna Design Week)

Doch zurück nach Wien, wo heuer die Schweizer Designerin Anna Zimmermann mit der seit beinahe 180 Jahren bestehenden Firma Bakalowits zusammengearbeitet hat. Sie fokussierte bei ihrer Kollaboration mit dem für Kristallleuchter bekannten Wiener Betrieb bewusst nicht auf Glas, sondern auf die Expertise in der Metallverarbeitung. Mit ihren Entwürfen rückte sie so etwas Unsichtbares in den Vordergrund und bewies damit einmal mehr, wie fruchtbar und spannend ein solcher Dialog sein kann. Ihre Kollektion von Möbelstücken und Accessoires soll Teil des Angebots von Bakalowits werden. Für die Dauer der VDW (16. bis 25. September) ist zudem eine temporäre Intervention der Designerin zu sehen, die dem Raum und den darin hängenden Kristalllustern einen humorvollen und künstlerischen Anstrich geben.

Der Designer Frieder Bohaumilitzky und Ursula Klein (schulteswien) gestalteten gemeinsam aufblasbare Objekte. (Foto © Kramar, Kollektiv Fischka, Vienna Design Week)

Das Spielerische ist es auch, was beim zweiten «Passionswege»-Projekt als erstes ins Auge sticht. Doch der Schein trügt. Der Designer Frieder Bohaumilitzky arbeitete mit Ursula Klein von der Werkstatt schulteswien zusammen, die schon in dritter Generation aufblasbare Objekte kreiert. Die Inflatables nehmen mit wenig Material viel Raum ein. Und sie können durch ihre Grösse auch Statements machen. Genau diese politische Dimension von Design interessiert den deutschen Designer und Designforscher: Er entwarf eine «antifaschistische Hüpfburg» mit dem Titel «Unter dem Pflaster liegt der Strand», ein Slogan der französischen 68er-Bewegung, und stellte diese mitten in eine Brache des Fokusbezirks. 

Solche Brachen sind übrigens immer wieder Teil des Festivals, in diesem Jahr ist eine solche Freifläche eine der drei Zentralen der VDW. An dieser Stelle sei der Bogen zurück zum Thema Schärfung des Blicks für die Stadt geschlagen. Denn das Besondere an der VDW ist ihr nomadisches Funktionieren. Dieses Jahr steht der Bezirk Mariahilf, eine beliebte Einkaufsgegend, im Fokus. Doch der 6. Wiener Gemeindebezirk hat mehr zu bieten als Shopping und Konsum, denn es gibt dort auch viele versteckte Innenhöfe und Plätze. Das Festival möchte neue Zugänge zu diesen verborgenen Bestandteilen des städtischen Gewebes leisten und den Finger damit auch auf brennende Themen unserer Zeit legen: Wem gehört die Stadt? Wie lassen sich lokale Identitäten stärken, statt einen anonymen Tourismus-Einheitsbrei zu fördern?

Das Projekt «DARE TO SHARE AND WEAR, MARIAHÜF!» von Alexandra Fruhstorfer und Nina Sandino ist als Arbeit an der Stadt zu verstehen. (Foto © Petra Rautenstrauch, Kollektiv Fischka, Vienna Design Week)

Auch das Social-Design-Format «Stadtarbeit», das ebenfalls zur DNA der VDW gehört, möchte solch urbanistische Fragen aufwerfen. Im Vorfeld des Festivals rufen die VDW und die Erste Bank jeweils dazu auf, Projekte, Ideen und Konzepte einzureichen, die sich mit Fragen des sozialen Miteinanders befassen. In diesem Fall mit besonderen Augenmerk auf Themen, die den Bezirk Mariahilf prägen. Die drei ausgewählten Projekte «Ramen», «Expo» und «Kleidertausch» zeigen, wie einfache Interventionen manchmal viel bewirken können. Das Thema Vernetzung ist dabei zentral. In den angebotenen Workshops können Interessierte mit den Designschaffenden in Austausch kommen und ihre Ideen vertiefen. Besonders originell ist das Projekt der beiden in Amsterdam ansässigen Designer Pierre Castignola und Diego Faivre. Sie haben aus ausrangierten Plastikkübeln der letzten VDW eine Ramen-Noodle-Bar mit unterschiedlichen Möbelstücken entworfen. Ergänzend haben sie Kolleg*innen angefragt, Gebrauchsobjekte aus Instantnudeln (echte und Lookalikes) zu schaffen. Während man also gemütlich Nudeln isst, unterhält man sich mit den beiden über Abfälle und Warenströme. Eine künstlerische und humorvolle Annäherung an erste Probleme!

Das Projekt «THE INSTANT NOODLE REPAIR CAFÉ» von Diego Faivre und Pierre Castignola ist eine künstlerisch-humorvolle Annäherung an wichtige Themen unserer Zeit. (Foto © Philipp Podesser, Kollektiv Fischka, Vienna Design Week)

Apropos Essen: Auch damit befasst sich Design. Wie Nahrungsmittel zu den Konsument*innen gelangen, wie sie beschaffen und verpackt sind sowie andere meist unsichtbare Implikationen des Themas Ernährung wird bereits zum fünften Mal im Format «Urban Food & Design» verhandelt. Die VDW arbeitete mit der Wirtschaftsagentur Wien zusammen und entwickelt anknüpfend an die Themen urbane Landwirtschaft und Produktion über lokale und soziale Bezüge bis hin zu konzeptueller Gastlichkeit und Tischkultur dieses Jahr ein Programm, das realwirtschaftliche Veränderungsprozesse anstossen soll: Mit speziellem Fokus auf geschlossene Wertschöpfungskreisläufe erarbeiteten Kreativschaffende gemeinsam mit Betrieben aus unterschiedlichen Bereichen der Lebensmittelindustrie konkrete Designlösungen, die nun auf dem Festival präsentiert werden. 

Im Palmenhaus etwa zeigt die Designerin Jutta Goessl die Installation «Crate House», die ihr Anliegen visuell verdeutlicht. Für ihr Projekt arbeitete sie mit Theresa Imre, der Gründerin des digitalen Bauernmarkts markta, an neuen Lagerungs- und Transportkonzepten für den «Farm to Fork»-Lieferservice der Plattform. Die Idee: eine kreisläufige Verpackungskollektion, die schlichtweg zu ästhetisch und praktisch ist, um entsorgt zu werden. Als Partner für die Umsetzung erster Prototypen konnten Ifco und die Schweizer Bieri Gruppe, eine Herstellerin von innovativen Lösungen aus Planenstoffen, gewonnen werden. Solche Ideen schaffen einen Mehrwert für alle! Und sie beweisen, wie man mit Designstrategien und den richtigen Partner*innen bestehende Muster verändern kann. Das ist wohltuend und stimmt zuversichtlich, denn solche Initiativen sind mehr als ein Nice-to-have: Sie können einen wesentlichen Beitrag zum Umdenken und vor allen Dingen zum Handeln leisten.

Installation im Rahmen des Formats «Urban Food & Design» von Jutta Goessl im Palmenhaus (Foto © Karo Pernegger, Kollektiv Fischka, Vienna Design Week)

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