Warten auf Francesco

Marques Architekten
15. August 2024
Der Laubengang des neuen Wohnhauses Francesco schliesst an die historische Klostermauer an. Die Bestandsbauten im Klostergarten inspirierten die Architekten. (Foto: Kuster Frey)
Herr Marques, Herr Schlumpf, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Daniele Marques: Das Kloster Wesemlin in Luzern ist mit seinem Garten, seiner historischen Bibliothek und dem Archiv eine der ältesten noch intakten Anlagen dieser Art. Es ist das bedeutendste Kapuzinerkloster der Schweiz und gilt als wichtiges Kulturdenkmal von regionaler Ausstrahlung. In diesem besonderen Kontext durften wir dreissig Wohnungen für Menschen schaffen, die auf der Suche nach dem tieferen Sinn des Lebens sind und eine Affinität zu spirituellen Fragen haben. 

Wir mussten also ein Projekt entwickeln, das sich in die geschützte Umgebung integriert und gleichzeitig das umfangreiche Raumprogramm erfüllt. Wir lösten diese Aufgabe mit einem sechsgeschossigen Holzbau, der einen im Verhältnis sehr kleinen Fussabdruck aufweist: Durch den sehr effizienten sechsspännigen Grundriss mit vier 3,5- und zwei 2,5-Zimmer-Wohnungen pro Etage war es uns möglich, mit einem relativ niedrigen Flächenverbrauch das Raumprogramm zu erfüllen. So konnte in der streng geschützten Umgebung des Klostergartens ein massvoller Eingriff realisiert werden, der mit dem Bestand harmoniert. 

Unterstützt wird die Einbindung des Neubaus durch die filigrane Struktur seiner Fassade: Das vertikale Tragwerk mit Stützen und einer umlaufenden Laube erzeugt ein Licht- und Schattenspiel, welches das Volumen optisch zusätzlich bricht und das Gebäude mit dem umliegenden hochstämmigen Baumbestand vereint. 

Blick aus dem Hof auf den Neubau: Rechts ist die Einfahrt auf das Grundstück zu sehen. (Foto: Kuster Frey)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Rainer Schlumpf: Es ist schwierig, hier von einer Inspiration zu sprechen: Francesco entstand aus dem Zusammenwirken vieler verschiedener örtlicher und kultureller Gegebenheiten. Die bestehende Klosteranlage einschliesslich ihrer historischen Bibliothek und des Archivs war aufgrund ihrer kulturellen und geschichtlichen Bedeutung, aber auch wegen ihres Schutzstatus ein wichtiger Bezugspunkt für uns. Sie ist ein gewachsenes Konglomerat aus dem eigentlichen Kloster, dem Garten und verschiedenen Zweckbauten, das nur im ausgewogenen Zusammenspiel dieser drei «Akteure» seine aussergewöhnliche Harmonie bewahren kann. 

Es war daher von grösster Wichtigkeit, mit unserem Eingriff diese Balance nicht zu stören, sondern weiterzuentwickeln. Die bestehenden Zweckbauten aus Holz bildeten die Grundlage für unseren Entwurf. Ihre filigranen Konstruktionen und die pavillonartigen Strukturen haben wir aufgegriffen und neu interpretiert. Das prägt Francescos Erscheinungsbild und Konstruktion als «Laubenhaus».

Wir haben dies durch gezielte architektonische Eingriffe erreicht. Zum Beispiel ist das Haus bewusst abgedreht, und die leicht konisch zulaufenden Ecken des Grundrisses formen aus einem quadratischen Gebäude ein Dodekagon. Ausserdem erzeugen die feinen Strukturen der Fassadenkonstruktion und die umlaufenden Lauben der Geschosse ein mannigfaltiges Licht- und Schattenspiel. Die Fassade ist mit ihrer rautenartigen Ornamentik zudem auch als eine Hommage an die bestehenden Gartenpavillons zu lesen. Vielleicht beschreibt ein Zitat des japanischen Schriftstellers Jun’ichrō Tanizaki unser Bestreben am besten: «In der Beschränkung findet sich die wahre Eleganz; im Schatten, nicht im grellen Licht entfaltet sich die tiefe Schönheit der Dinge. Es ist die subtile Nuance, nicht die offensichtliche Klarheit, die unsere Seelen berührt.»

Links befindet sich der Eingang zur Praxis, durch die Tür in der Mitte betritt man das Treppenhaus. Rechts ist die Einfahrt zur Tiefgarage zu erkennen. (Foto: Kuster Frey)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?


Daniele Marques: Die Bauherrschaft war für uns ein wichtiger Partner bei der Entwicklung des Projekts. Nach der Überarbeitung des Entwurfs im Jahr 2020 hat sich unsere Zusammenarbeit noch intensiviert. Es ist nicht zuletzt der Baukommission zu verdanken, dass wir das Gebäude in seiner architektonischen Klarheit umsetzen konnten. Die Kommission und insbesondere Bruder Damian als ihr Präsident und Bruder Willi identifizierten sich von Anfang an mit dem Entwurf und dessen ästhetischer Qualität. Wir können daher den beteiligten Personen nicht genug danken, denn ohne ihren Enthusiasmus wäre das Haus so nie Realität geworden.

Die Holzfassade ist feingliedrig und erzeugt ein schönes Licht- und Schattenspiel. (Foto: Kuster Frey)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Rainer Schlumpf: Wir haben das Haus als reinen Holzbau mit sechs Geschossen entworfen. Doch dann mussten wir feststellen, dass dieser Vorschlag im Jahr 2015 noch zu radikal war. Auf Drängen der Bauherrenvertretung überarbeiteten wir das Projekt komplett: Das Zeltdach aus Kupfer wurde ebenso wegrationalisiert wie die konstruktiven Elemente aus Holz. Es entstand ein konventioneller Massivbau, bei dem lediglich die Fassade als Staffage in Holz an den ursprünglichen Entwurf erinnerte.

Der Weg zur Realisierung führt dann bis vor das Bundesgericht. Heute betrachten wir diese Verzögerung als ein Glück: Zwar haben wir dadurch über fünf Jahre verloren, doch in dieser Zeit hat sich der Holzbau so rasant weiterentwickelt und so viel Akzeptanz gewonnen, dass wir nach der Wiederaufnahme im Jahr 2020 mit Unterstützung des Bauingenieurs Stefan Braune und seines Teams (Walt und Galmarini) die Bauherrschaft überzeugen konnten, das Haus doch noch in Holz zu bauen.

Aufgrund der Brandschutzauflagen war das nicht ganz in der Radikalität möglich, die wir ursprünglich beabsichtigt hatten. Trotzdem haben wir im Einklang mit unserer Vorstellung von nachhaltigem Bauen eine Konstruktionsstrategie entwickelt, welche die Qualitäten und Eigenschaften der verwendeten Baustoffe optimal nutzt. So wurde Francesco zu einem sehr modernen und nachhaltigen Hybridbau, den wir fast ausschliesslich in Holz umsetzten.

Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Daniele Marques: Ein Entwurf sollte immer eine Antwort auf den Ort und die jeweilige Aufgabe sein. Für Francesco gilt das in besonderem Masse: Auch wenn der Begriff vielleicht etwas inflationär gebraucht wird – der Genius Loci war ein entscheidender Entwurfsfaktor. Das Haus lebt von der Auseinandersetzung mit dem Ort, der Geschichte und den Gegebenheiten des Wesemlins. Francesco fügt sich nahtlos in unser Schaffen ein und spiegelt gleichzeitig die Entwicklung unseres Büros wider. Der Entwurf war zunächst ambitioniert und radikal, bis zum Baubeginn wurde er immer weiter verfeinert.

Grosse Balkone wie dieser tragen zur Qualität der Wohnungen bei. (Foto: Kuster Frey)
Foto: Kuster Frey
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Rainer Schlumpf: 2015 haben uns weniger die damaligen energetischen, konstruktiven oder gestalterischen Tendenzen beeinflusst, vielmehr verstanden wir unseren Entwurf als Antithese zu den dazumal gängigen Entwurfsstrategien. Die Entscheidung für einen reinen Holzbau war ebenso radikal wie der Ansatz, im Kontext des Klosters ein Gebäude mit sechs Geschossen vorzuschlagen. Was damals sehr fortschrittlich war, ist heute aus Gründen der ökologischen Nachhaltigkeit brandaktuell. Dennoch trieb uns 2015 weniger die bewusste Auseinandersetzung mit Suffizienz und klimagerechtem Bauen an. Stattdessen hat uns die Beschäftigung mit dem Ort und der bauhistorischen Entwicklung der Klosteranlage zu unserem Entwurf animiert.

Die filigranen Nutzbauten, die im Klostergarten stehen, bildeten für uns die Kulisse, die wir für unseren Entwurf benötigten, um ein Bindeglied zwischen dem kleinteiligen Quartier ausserhalb der Anlage und dem Kloster zu schaffen. Die filigranen Holzkonstruktionen dienten als Vorbild für die Tektonik und Ornamentik der Fassade. Es war uns wichtig, über die Materialisierung den Bezug zum «weltlichen» Charakter der Nutzbauten, die eine Klosteranlage auch beinhaltet, herzustellen. Zudem wollten wir den Bestand möglichst wenig zu tangieren. Darum haben wir bewusst einen mehrgeschossigen Bau gestaltet, der sich als Solitär im Park manifestiert.

Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Daniele Marques: Ausschlaggebend war die Kombination verschiedener Materialien. Für uns ist es wichtig, in unseren Entwürfen beziehungsweise in der Umsetzung eines Projekts die Stärken und Eigenheiten jedes Materials zu berücksichtigen. Suffizienz bedeutet für uns vor allem, mit weniger auszukommen; es geht nicht so sehr darum, ein bestimmtes Material zu wählen.

In diesem Sinne verwendeten wir recycelten Beton für die Untergeschosse und den Treppenhauskern, der neben der Erdbebensicherung auch den Brandschutz übernimmt. Die Decken wurden als Holz-Beton-Verbunddecken konzipiert, ein für uns sehr nachhaltiges und innovatives System. Diese Massnahmen ermöglichten uns, die Fassade, die Balkone sowie die Innenwände vollständig in Holz zu planen. Wo immer möglich, haben wir dabei regionales Holz verbaut. Dieses Vorgehen führte übrigens auch zu einer deutlichen Zeitersparnis.

Situation (© Marques Architekten)
Grundriss 1. bis 5. Obergeschoss (© Marques Architekten)
Längsschnitt (© Marques Architekten)
Bauwerk
Francesco
 
Standort
Landschaustrasse 4, 6006 Luzern
 
Nutzung
Mehrfamilienhaus
 
Auftragsart
Studienauftrag
 
Bauherrschaft
Stiftung Kapuzinerkloster Wesemlin, Luzern
 
Architektur
Marques Architekten AG, Luzern
Inhaber: Rainer Schlumpf und Daniele Marques
Projektleiter: Martin Walter
Mitarbeitende: Sonja Fuchs und Dario Andreoli
 
Bauleitung
Stadelmann Baumanagement AG, Luzern
 
Fertigstellung
2023
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer
WaltGalmarini AG, Zürich
Appert Zwahlen Partner AG, Cham
PZM Luzern AG, Horw
Olos AG, Baar
RSP Bauphysik AG, Luzern
TEAMverkehr.zug ag, Cham
Arnet Bau AG, Entlebuch
Spiller AG, Kriens
Sigrist Rafz Holz + Bau AG, Rafz
Burri Keramik GmbH, Malters
Kost Holzbau AG, Küssnacht am Rigi
 
Auszeichnung
Nominierung für den Preis Wohnbauten des Jahres 2024
 
Fotos
Kuster Frey, Zürich

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