Sozialräume für eine Werkhalle
Transformation in Stahl
Furrer Jud Architekten
31. August 2017
Nordostfassade. Bild: Furrer Jud Architekten
Furrer Jud Architekten haben kürzlich Sozialräume für eine Werkhalle in Thun-Gwatt fertiggestellt. Die Architekten Patric Furrer und Andreas Jud stellen sich unseren Fragen.
Nutzung Sozialräume für eine Werkhalle
Ort Eisenbahnstrasse 6, 3645 Thun-Gwatt BE
Auftragsart Direktauftrag
Bauherrschaft Privat
Architektur Furrer Jud Architekten, Zürich ZH | Patric Furrer, Andreas Jud, Frédéric Muller (Projektleitung)
Fachplaner Tragstatur, Ermatingen TG, Dr. Uwe Teutsch
Bauleitung MTP Architekten, Bern BE, Pierre Fuhrer
Jahr der Fertigstellung 2017
Gesamtkosten BKP 1-9 CHF 1,7 Mio.
Gebäudekosten BKP 2 CHF 1,5 Mio.
Kubikmeterpreis CHF 950/m³
Fotos Furrer Jud Architekten
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Die Aufgabe bestand darin, einen Schulungs-, Aufenthalts und Garderobenraum für die Mitarbeiter auf dem Areal zu realisieren. Zu Beginn haben wir einen freien Bauplatz zwischen den Werkhallen anvisiert. Der Ansatz war städtebaulich aber unbefriedigend. Das Interesse an den konstruktiven Möglichkeiten und dem Ausdruck von Stahl beim «Weiterbauen», sowie die Aussicht auf eine städtebaulich überzeugendere Lösung, bewegte uns dazu, uns bewusst in eine Situation der Transformation zu begeben. Der Schweizer Stahlbau scheint in seiner heutigen Anwendung immer noch in der faszinierenden, gleichzeitig aber dogmatischen Bewegung der «Solothurner Schule» gefangen zu sein. In einer Architektur, die das «Weiterbauen» kategorisch ausschloss, wo der Systemgedanke oberstes Gebot war und somit das freie Feld als Bauplatz bevorzugte. Also das Gegenteil von unserem Vorhaben, bei dem das «Weiterbauen» zur treibenden Kraft wurde.
Südwestfassade mit hängendem Balkon. Bild: Furrer Jud Architekten
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Die Publikation «Zuhause im Stahl», die vor kurzem im Parkbooks Verlag erschienen ist und an der wir am Institut Konstruktive Entwerfen der ZHAW mitgearbeitet haben, geht der Frage nach, weshalb Stahl im Wohnungsbau heute kaum mehr Anwendung findet, obwohl diverse Ikonen der Baukunst seine Potentiale für diese Nutzung belegen. Das Material Stahl kämpft heute mit der Brandschutzproblematik und dem Image der ungenügenden Nachhaltigkeit. Holz, ein Material, das in der hiesigen Bautradition stark verankert ist und in den vergangenen Jahren faszinierende Entwicklungen durchlaufen hat, kennt diese Probleme weniger. Perspektiven für Stahl sehen wir heute in hybriden Konstruktionen, bei denen das Material seine ausgewiesenen Potentiale ausschöpfen kann und die Defizite durch andere dafür geeignete Materialien, wie z.B. Holz, ausgeglichen werden.
Lichtband mit frei tragendem Treppenaufgang. Bild: Furrer Jud Architekten
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die Aufgabe war verbunden mit der Bedingung, möglichst wenig Verkehrsfläche der Halle zu besetzten. Mit der Stapelung der drei Räume: Garderobe im EG, Schulungsraum im 1.OG und Aufenthaltsraum im 2.OG, sahen wir die Forderung erfüllt.
Erste Bestandsanalysen zeigten, dass das Tragwerk der Halle aufgrund der Kranbahn überdimensioniert war. Wir aktivierten dieses Potential für den Einbau, indem wir die Obergeschosse in die Kranbahn einhängten und so gänzlich auf Fundierungen verzichten konnten. Alle zusätzlich einwirkenden Kräfte werden dabei über das bestehende Tragwerk abgeleitet. Weiter löste dieser Ansatz die Frage nach einer angemessenen Belichtung der Garderoben – einem Ort, der Privatsphäre erfordert. Aber auch der effiziente Bauprozess, gegeben durch die Vorfabrikation und konsequent als «maison a sec» ausgebildet, war entscheidend. Der laufende Betrieb wurde dadurch nur marginal tangiert.
Mit der horizontalen Verschiebung der Räume zueinander, wollten wir oszillierende Momente zwischen der Fassadenhülle und den eingebauten Räumen schaffen. Dabei führt die heterogene Materialisierung der Volumen zu einer fast collageartigen Komposition, die von einer dem Stahl oft anmutenden Rationalität Abstand nimmt. Das statische Konzept trägt wesentlich zu dieser Wirkung bei.
Garderobe. Bild: Furrer Jud Architekten
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Die hybride Wirkung von Stahl und Holz war entscheidend: Mit den Hohlkastenelementen aus Holz konnte 2/3 des Gewichtes einer klassischen Betonverbunddecke eingespart werden und der statische Kräfteakt der Aufhängung kann in dieser Dimensionierung nur ein Material wie Stahl leisten. Das Holz interessierte uns aber auch als Stimmungsträger in dieser rauen Arbeitsumgebung.
Die seitlichen grossflächigen Stahlwangen steifen den Schulungsraum in Querrichtung aus. Sie bestehen aus 8mm dickem Stahl und sind für ihre Funktion bewusst überdimensioniert. Uns interessierte die Masse und ihre Wirkung im aufgehängten Zustand. Auch hier wollten wir mit der dem Stahl anhaftenden Rationalität und der damit einhergehenden phänomenologischen Wirkung brechen. Bewusste Überzeichnungen lassen sich auch bei der inszenierten Kranbahneinhängung und bei den Dachträgern des zum Platz hin aufgehängten Balkons ablesen. Mit letzterem wollten wir das Thema der Aufhängung auch gegen Aussen abbilden. Dieser spezifische Umgang mit Material und Tragwerk wurde von der Bauherrschaft getragen. Im Fahrleitungssektor für Bahnen tätig, identifiziert sich die Firma stark mit dem Material Stahl.
Nordwestfassade mit Fenster vom Schulungsraum. Bild: Furrer Jud Architekten
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?
Parallel zur Praxis arbeiten wir beide zusätzlich in der Forschung und Lehre an der ZHAW, am Institut Konstruktives Entwerfen und Institut Urban Landscape. Die Denkräume der Hochschule begleiten viele unserer Projekte substanziell, wie auch dieses Projekt zeigt. Gerade in einer Zeit der hochkonjunkturellen Bauproduktion, bietet uns das Hochschulumfeld die Möglichkeit, gängige Tendenzen zu hinterfragen — wir können innezuhalten.