Radikal aufstocken
Atelier Atlas Architektur
15. Juli 2021
Die Aufstockung steht im Dialog mit den benachbarten Häusern aus der Gründerzeit und dem markanten Fernheizkraftwerk. (Foto: Armin Schärer)
Ines Blank und Christian Beck-Wörner haben in Basel ein altes Wohnhaus aufstocken lassen und beim Umbau selbst tatkräftig mitangepackt. Architekt Lukas Gruntz über das Projekt, aus dem grosses Verantwortungsbewusstsein spricht.
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die Aufstockung sollte möglichst nachhaltig realisiert werden. Das war uns wichtig. Nachhaltig in einem ganzheitlichen Verständnis. Die bestehende Bausubstanz aus der Gründerzeit wurde weitestgehend bewahrt. Das architektonische Konzept versteht sich als konsequente Weiterentwicklung und Überformung der vorhandenen Qualitäten. Die wertvolle Bausubstanz und preisgünstiger Wohnraum konnten erhalten werden – und als Beitrag zur Verdichtung ist eine neue Wohnung für eine sechsköpfige Familie entstanden. Eine Herausforderung bestand in der statischen Ertüchtigung: Um die Erbebensicherheit zu gewährleisten, werden sämtliche Lasten über Träger und Wandscheiben auf die beiden Brandmauern abgeleitet. Im Untergeschoss übernehmen die zusätzlich verstärkten, linearen Fundamente die Lasten. Aus architektonischer Sicht soll sich die Aufstockung als neues, überformtes Dach in das Ensemble typengleicher Häuser einordnen. Dabei war der Erhalt der bestehenden Traufe ein wichtiges Detail.
Der unbeheizte Dachraum ist eine zeitgenössische Neuinterpretation des altbekannten Dachstuhls. (Foto: Armin Schärer)
Der Wohnraum im zweiten Dachgeschoss gliedert sich um die offene Küche und eine zentrale Stütze. (Foto: Armin Schärer)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Trotz knappem Budget wurde ein Maximum an Wohnqualität angestrebt. Die Oberflächen wurden roh belassen. Dreischichtplatten an Wänden und Decken bilden den Holzbau im Innern ab. Auf zusätzliche Verkleidungen wurde weitestgehend verzichtet. Besonders zu erwähnen ist der unbeheizte, nutzungsoffene Dachraum zuoberst: Als Klimapuffer absorbiert er im Sommer die Hitze. Für wenig Geld entstand ein Bonusraum, der offen bespielt, genutzt und adaptiert werden kann. Für mich ist er ein Statement für eine Architektur der Nutzungsoffenheit. Ich bin gespannt, wie der Raum in zehn Jahren genutzt wird. Da lasse ich mich gerne überraschen.
Von der Halle im ersten Dachgeschoss werden die Schlafzimmer und das Bad erschlossen. (Foto: Armin Schärer)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Für Ines Blank und Christian Beck-Wörner, die Eigentümer- und künftigen Bewohner, war von Anfang an klar, dass sie sich mit möglichst viel Eigenleistung in den Bauprozess einbringen wollen. Sie haben während der gesamten Bauzeit tatkräftig mitangepackt. Ausserdem war Urs Arlt als Bauleiter und Zimmermann von Anfang an gesetzt. Er verkörperte den «Baumeister» im besten Sinne: Er organisierte die gesamte Baustelle, bestellte die Bauteile und löste dank seiner grossen Erfahrung die kniffligen holzbautechnischen Fragen. Das ganze Projekt war geprägt von einem grossen Verantwortungsbewusstsein aller Beteiligten, das auf starkem gegenseitigen Vertrauen basierte. Dadurch waren auch bauliche Lösungen abseits der Normkataloge möglich, die sonst auf einer Baustelle undenkbar wären. Unkonventionell war Programm!
Alt und Neu: Türen aus dem Bestand wurden restauriert und in der Aufstockung wiederverwendet. (Foto: Armin Schärer)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Die Frage lautete: Wie machen wir aus weniger mehr? Da waren beispielsweise die Strategien von Lacaton & Vassal eine Inspiration, die mit wenig Geld und dem Einsatz von einfachen Materialien ein Maximum an qualitätsvollem, gut nutzbarem Raum schaffen. Aus einer ähnlichen Überlegung entstand der unbeheizte Dachraum. Mit einem verhältnismässig geringen Aufwand konnte ein grosser räumlicher und klimatischer Mehrwert geschaffen werden. Grundsätzlich war allen Beteiligten ein ökologisch nachhaltiger Umgang mit Ressourcen und Materialien wichtig. Das zeigt sich beispielsweise an der Wiederverwendung von «alten» Türen aus dem Bestand oder gebrauchten Armaturen. Hinsichtlich der Materialisierung lag das Augenmerk auf langlebigen, robusten und naturnahen Baustoffen.
Über eine grosse, gedämmte Luke erreicht man den offenen Dachraum. (Foto: Armin Schärer)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Holz war das entscheidende Material. Nur dank seiner Leichtigkeit war die Aufstockung statisch überhaupt realisierbar. Ausserdem boten die Vorfabrikation und die schnelle Montage der Holzbauelemente einen grossen logistischen und terminlichen Vorteil. Im Inneren sorgen die hölzernen Oberflächen für eine wohnliche Stimmung und tragen zu einem guten Raumklima bei. Auch die Schreinerarbeiten wurden hauptsächlich in Massivholz ausgeführt, wodurch sich die Aufstockung zu einem stimmigen Ganzen fügt.
Situation
Grundriss 1. Dachgeschoss
Grundriss 2. Dachgeschoss
Schnitt
Aufstockung Wasserstrasse
Standort
Wasserstrasse 19, 4056 Basel
Nutzung
Aufstockung Mehrfamilienhaus
Auftragsart
Direktauftrag
Bauherrschaft
Ines Blank und Christian Beck-Wörner, Basel
Architektur
Atelier Atlas Architektur, Basel
Bauleitung
Urs Arlt, Basel
Fachplaner
Holzbauingenieur: Büro für Bau und Holz, Basel
Jahr der Fertigstellung
2021
Gebäudekosten BKP 2
CHF 0,9 Mio.
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Holzbau: Zimmeria St. Johann GmbH, Basel
Baumeister: Bistra Bau AG, Basel
Metallbau: Goldschmied Metallbau AG, Liestal
Sanitär: Gebrüder Ziegler AG, Spengler, Basel
Elektro: Cadosch + Niederer GmbH, Basel
Hunziker Schreinerei AG, Fenster, Schöftland
Farbe: Thymos AG, Farb- und Produktberatung, Lenzburg
Schreinerarbeiten: Schreinerei Stohler, Basel
Fotos
Armin Schärer, Basel