Grashüpfer

Salvini Rüegsegger Architekten
11. Juli 2024
Die grüne Fassade des frisch sanierten Hauses harmoniert gut mit den ebenfalls farbig gestalteten Nachbargebäuden. (Foto: René Dürr Architekturfotografie)
Herr Salvini, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Der heruntergewirtschaftete Bestand aus den 1970er-Jahren, den wir zu Beginn unserer Planungen antrafen, war, um es hart zu sagen, weder historisch noch architektonisch von Bedeutung. Er wurde zwischen 1972 und 1974 errichtet, um ein älteres Gebäude aus dem Jahr 1881 zu ersetzen. Immerhin konnten wir eine Fotografie finden, die den Vorgängerbau zeigte. Zu unserem Erstaunen war damals der Blockrand an dieser Stelle noch nicht geschlossen: Das Haus verfügte neben der Strassen- und Hoffassade auch über eine Stirnfassade. 

Die Vorgabe der Bauherrschaft, den Bestand aufzustocken und die Sonnenenergie zu nutzen, eröffnete uns die Möglichkeit, ihn architektonisch neu zu denken. Unsere Auftraggeber waren dabei offen für neue kreative Lösungsvorschläge. Die Nutzung blieb unverändert: Das Erdgeschoss wird weiterhin gewerblich genutzt, und in den oberen Geschosses befinden sich Wohnungen.

Blick von der Strasse: Zwei Erker gliedern die Fassade (Foto: René Dürr Architekturfotografie)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


Wir legen viel Wert auf eine spannende Gliederung und Proportionierung der von uns erstellten Gebäude. Bei diesem Projekt zeigt sich das besonders deutlich: Wir haben die klassische Teilung der Fassade auf die Spitze getrieben. Sockel, Mittelteil und Dach heben sich sehr stark voneinander ab und schaffen so neue Horizonte, Proportionen und Lesarten der Traufhöhe. Das Dach verbindet sich mit dem vierten Obergeschoss, wird dadurch markanter und gibt dem Gebäude einen neuen starken Ausdruck. Zugleich bricht das Traufblech aus Kupfer, das ohne Unterbruch über die ganze Fassade verläuft, diese Wirkung in subtiler Art und Weise.

Die Fassadenfläche wird durch die bereits bestehenden Erker markant gegliedert, zumal diese praktisch symmetrisch angeordnet sind. Sie rahmen einen Mittelteil, in dem sich die Nasszellen und das Treppenhaus befinden. Wir haben für diesen Bereich verschiedenste Varianten der Fensteranordnung geprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass sich das Rundfenster am besten eignet, Nutzung und Fassade in Einklang zu bringen. Zudem ist die Kreisform das verbinden Element zwischen Sockel, Mittelteil und Dach, das diese optisch zusammenbindet.

Zusammenspiel der verschiedenen Fassadenmaterialien und -elemente; die auffälligen Bullaugenfenster wirken verbindend. (Foto: René Dürr Architekturfotografie)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Die Rolandstrasse befindet sich im Epizentrum des Zürcher «Chreis Cheib» beziehungsweise des Stadtkreises 4. Die Langstrasse, die Dienerstrasse und die Rolandstrasse, die das Gebäude umgeben, gelten als die rausten Strassenzüge der ganzen Stadt. Das Quartier hat seinen eigenen Rhythmus und eine eigene Identität, die es in den letzten Jahren jedoch neu zu definieren versucht. Vermutlich gibt es kaum über einen Ort in der Schweiz mehr Gerüchte und Vorurteile. Viele der Vorstellungen, die Menschen vom Quartier haben, stimmt nicht mit der Realität überein. Dieser aufgeladene Ort hat uns dazu verholfen, einen mutigen und gleichzeitig eigenständigen Entwurf umzusetzen. Wie ein grosses grünes Insekt sitzt das umgestaltete Gebäude an der Kreuzung von Lang- und Rolandstrasse und schaut mit seinen markanten Bullaugenfenstern auf das Geschehen «dunne ade Langstrass».

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?


Wir agierten in diesem Fall klassisch als Planer und Gesamtleiter, wobei wir mit Büro Interni Raumkonzept zusammenspannten. Dies war bei der Gestaltung der Gebäudehülle, beim Innenausbau und natürlich auch bei der Entwicklung des Farbkonzepts eine grosse Bereicherung. Wir haben unsere unterschiedlichen Perspektiven eingebracht und konnten so den Entwurf immer weiter schärfen und verbessern. Die Bauherrschaft gab uns zudem den nötigen Freiraum für unsere gestalterische Entfaltung und war auch für teils gewagte Ideen offen.

Aus der Attikawohnung hat man einen schönen Blick über Zürichs Dächer. (Foto: René Dürr Architekturfotografie)
Blick auf das Geschehen «dunne ade Langstrass» (Foto: René Dürr Architekturfotografie)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Umbauten in der Stadt Zürich sind ein wichtiges Thema für uns. Nicht immer sind alte Häuser historisch wertvoll oder sogar denkmalgeschützt, manche sind weder architektonisch noch geschichtlich besonders bedeutend. Aber immer kommt es darauf an, sich auf den Bestand einzulassen und die im Einzelfall richtige Lösung zu finden. Und wie bei unserem Projekt in der Rolandstrasse sind solche Umbauten ausserdem oft mit einer Aufstockung verbunden. Wir versuchen immer, in den bestehenden Geschossen die Substanz so weit wie möglich zu erhalten und mit wenigen Eingriffen fit für die Zukunft zu machen. In den neu hinzugefügten Stockwerken hingegen bleibt uns viel architektonischer Freiraum.

Natürlich planen wir zuvorderst für die Nutzenden. Sie sollen sich in den von uns geschaffenen Räumen wohlfühlen. Doch der äussere Ausdruck und die Präsenz des Gebäudes im städtischen Raum sind für uns genauso wichtig. Immer versuchen wir Bauten so zu gestalten, dass sie einen Mehrwert generieren – selbst wenn manche Menschen diesen vielleicht nur unbewusst wahrnehmen. 

Luftaufnahme mit Blick über den Kreis 4 in Richtung Prime Tower: Sanierung und Aufstockung sollen einen Mehrwert für das ganz Quartier schaffen. (Foto: René Dürr Architekturfotografie)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Die Nutzung der Sonnenenergie hat den Ausdruck des Gebäudes stark beeinflusst: Die in die Dachfläche integriert Fotovoltaikanlage und die Ergänzungsplatten aus Faserzement sind sehr gut sichtbar, zumal wir sie auch an den Fassaden der Attikageschosse verbaut haben.

Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Ich denke, man kann kein Produkt hervorheben, dass allein prägend ist für unser Projekt. Vielmehr gewinnt der Umbau seine Kraft aus der gekonnten Anwendung von Materialien und Farben, die im Zusammenspiel ein harmonisches Bild ergeben – in den Innenräumen wie auch an den Fassaden.

Situation (© Salvini Rüegsegger Architekten)
Grundrisse von links nach rechts: Regelgeschoss, 4. Obergeschoss und 1. Dachgeschoss (© Salvini Rüegsegger Architekten)
Pläne von links nach rechts: Ansicht der Strassenfassade und Querschnitt (© Salvini Rüegsegger Architekten)
Bauwerk 
Gesamtsanierung eines Wohnhauses in der Rolandstrasse 3
 
Standort
Rolandstrasse 3, 8004 Zürich
 
Nutzung
Wohnen
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Privat
 
Architektur
Salvini Rüegsegger Architekten, Zürich
Marco Salvini, Peter Rüegsegger und Nikolai Göldi
 
Fertigstellung
2024
 
Fotos
René Dürr Architekturfotografie, Zürich

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