Ein Multitalent als Zentrum der Gemeinde
NYX ARCHITECTES
7. März 2024
Hauptfassade des Neubaus zum Dorfplatz (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
NYX ARCHITECTES haben mit dem Dorfzentrum Untersiggenthal ihr erstes Projekt abgeschlossen. Nathanaël Chollet und Yann Gramegna erklären, wie das grosse Bauwerk, das unter anderem einen Festsaal und eine Dreifachturnhalle aufnimmt, den Dorfplatz fasst.
Herr Chollet, Herr Gramegna, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Nathanaël Chollet: Der Studienauftrag umfasste sowohl die Planung eines Dorfzentrums mit Festsaal und Sporthallen als auch eine städtebauliche Studie mit Überlegungen zur Querfinanzierung durch Wohngebäude auf demselben Grundstück. Mit dem Gewinn des Wettbewerbs wurde uns die Realisierung des Dorfzentrums mit dem Dorfplatz in Aussicht gestellt.
Da das Finanzierungsprojekt inhaltlich und terminlich unklar war, haben wir uns schnell für eine städtebauliche Haltung entschieden: Der Dorfplatz als das Zentrum der Gemeinde muss räumlich durch die vorhandene Bausubstanz und durch unser Projekt definiert werden. Unser Wettbewerbsbeitrag hiess damals «Willkommen», und das Hauptbild war eine Frontansicht des Baus am Dorfplatz. Es ist bis heute unser Lieblingsbild des Projekts geblieben – die Bilder der Fertigstellung eingerechnet. Die grosse Geste mit dem Foyer und der Mehrzweckhalle als Schaufenster zum Platz ist eine freundliche Einladung an die Besucher.
Bau der Dreifachturnhalle (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Yann Gramegna: Auf der einen Seite hat uns die Typologie der Theaterwelt mit ihrer Raumabfolge inspiriert: Foyer, grosser Saal, Bühne, Backstage. Auf der anderen Seite faszinierte uns die technische und mobile Komponente von Theaterbauten mit Vorhängen, Falltüren, versteckten und bündigen Türen, Wandverkleidungen und dergleichen mehr.
Das Motiv des Vorhangs diente uns als roter Faden. Variantenreich findet es sich sowohl im Inneren als auch im Ausdruck der Fassade. Die Wand, die das Foyer vom Saal trennt, ist ein grosser, acht Meter hoher und fester Vorhang aus Holz, der eine gewellte Form hat und akustisch aktiv ist. Die Hauptfassade zum Dorfplatz hin ist ebenfalls eine Variation dieses Vorhangmotivs; Aussehen und Durchlässigkeit werden hier je nach Blickwinkel unterschiedlich wahrgenommen.
Foyer beim Haupteingang (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
Seitliche Wand zum Foyer (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Nathanaël Chollet: Das geografische Zentrum der Gemeinde Untersiggenthal war bis anhin durch eine grosse, leere grüne Wiese gekennzeichnet. Diese Leere wurde durch das Gemeindehaus im Westen, die Kantonsstrasse im Süden, ein Wohnquartier im Osten und eine Schule im Norden begrenzt. Noch weiter nördlich befindet sich der Gemeindewald, der etwas höher liegt und so den Horizont definiert.
Das neue Dorfzentrum nimmt diesen Kontext auf. Unser Neubau steht dem Gemeindehaus gegenüber und nutzt die gesamte Tiefe des Geländes. Er definiert den Dorfplatz räumlich durch eine einfache Geste: eine einzige lange Front, die auf die gesamte Ostseite des Platzes hinwirkt. Das Grundstück öffnet sich dadurch in der Tiefe und die Sichtbeziehungen der Kantonsstrasse in Richtung Norden werden betont. Das neue Ensemble öffnet sich mit seinem neuen Platz nach Süden und klärt so die Adresse des neuen Dorfzentrums.
Mehrzweckhalle mit Bühne (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Yann Gramegna: Ein wesentlicher Aspekt im Projekt war die schiere Anzahl der Nutzer, die wir zufriedenstellen mussten. Die Gemeinde, die Schule, die Sport- und Musikvereine und die gesamte Bevölkerung werden das neue Gebäude nutzen. Wir waren mit der Nutzerklärung für eine lange Zeit sehr beschäftigt. Manchmal mussten wir auf sehr spezifische und individuelle Wünsche eingehen, sehr oft hörten wir die Formel «es muss für alle Nutzungen funktionieren». Die Kunst bestand darin, das Gebäude sowohl für neutrale als auch spezifisch für bestimmte Bedürfnisse zu konzipieren.
Trennwand zwischen Foyer und Mehrzweckhalle (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
Blick vom Erschliessungsraum in die Sporthalle (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Nathanaël Chollet: Zwei wesentliche Änderungen wurden von der Bauherrschaft gefordert: Die maximale Belegung der beiden grossen Hallen, also der Mehrzweckhalle und der Dreifachsporthalle, wurde während des Vorprojekts neu auf 1000 beziehungsweise 600 Personen festgelegt. Die ursprüngliche Idee einer sportlichen Nutzung der Mehrzweckhalle wurde gegen Ende des Bauprojekts verworfen. Das bedeutet, dass diese Halle nunmehr ein reiner Fest- und Veranstaltungsraum ist.
Ansonsten blieb die Organisation des Gebäudes sehr nahe an den Anforderungen aus dem Wettbewerb. Dank pragmatischer Entscheide – also etwa dem Entschluss, die Mehrzweckhalle ebenerdig zu platzieren oder die Dreifachturnhalle trotz Zusammenbau getrennt zu halten – konnten die eben erwähnten Änderungen ohne grossen Einfluss auf die interne Organisation umgesetzt werden.
Dreifachturnhalle (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Yann Gramegna: Es ist unser allererstes Projekt – das ist natürlich besonders aufregend. Wir haben unser Büro NYX ARCHITECTES 2015 gegründet und zwei Jahre später diesen Wettbewerb gewonnen. Derzeit arbeiten wir an zwei Baustellen und an zwei Bauprojekten für Sport- und Schulgebäude. So ist das Dorfzentrum von Untersiggenthal eine wichtige Referenz für die nächsten Projekte geworden.
Manches taucht in unserer Arbeit so ähnlich immer wieder auf, obwohl wir natürlich bei jedem Projekt neue Antworten finden und spezifische Lösungen entwickeln. Kurzum, wir merken einfach mit der Zeit, dass uns bestimmte architektonische Themen faszinieren: das Rohe als Ausdruck, die Eigenschaften von Materialien, die Effizienz von Grundrissen, das Strukturelle und die Suche nach dem spezifischen «Mehr», das nicht explizit im Wettbewerbsprogramm bestellt worden ist. All das hat mit diesem Projekt in Untersiggenthal begonnen.
Treppenhaus in Sichtbeton (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Nathanaël Chollet: Da wir fast ausschliesslich für öffentliche Bauherren arbeiten, sind wir immer gezwungen, mit Energielabels zu planen. Dass Gebäude nachhaltig sein müssen, steht heute ausser Frage, aber das Spektrum der Planungsmassnahmen ist sehr breit: Es beginnt mit dem Wettbewerbsbeitrag, der Kompaktheit der Baukörper, der Wahl der wichtigsten Materialien und so weiter. Die meisten Bauherrschaften sind sich der Bedeutung der Nachhaltigkeit sehr bewusst. Beim Dorfzentrum Untersiggenthal haben wir überall, wo es möglich und sinnvoll war, mit Holz gearbeitet: bei der Fassade, bei den Stützen und Trägern der Hallen, bei den Wand- und Deckenverkleidungen.
Eine Komponente, die man am Ende kaum sieht, finden wir besonders wichtig: die Energieversorgung der Gebäude. Die Projekte unseres Büros zeigen die Vielfalt an möglichen Lösungen: Wir haben Bauten mit Holzschnitzelanlagen, Erdwärmesonden, Fernwärme und Photovoltaikanlagen in der Planung beziehungsweise in der Ausführung.
Stirnseite des Neubaus am Dorfplatz (Foto: Olivier di Giambattista Photographie)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Yann Gramegna: Man kann beim Dorfzentrum Untersiggenthal eindeutig von Holz und Beton als den wichtigsten Akteuren sprechen. Wir haben sie in Kombination eingesetzt, wobei sie fast immer im Verbund wirken. Die Vorteile und Eigenschaften beider Materialien wurden berücksichtigt, und wir haben beide Baustoffe nach einer Maxime eingesetzt: Das Haus muss robust sein. Trotz der notwendigen Schutzschichten bleibt das Holz im ganzen Haus so naturbelassen wie möglich und erweist sich mit seiner tiefen Textur als edles Material. Die Betonmasse legt sich um die weichen Holzstrukturen, bleibt in ihrem Ausdruck roh und erscheint als kontinuierlicher und ruhiger Hintergrund.
Situation (© NYX ARCHITECTES)
Grundriss Untergeschoss (© NYX ARCHITECTES)
Grundriss Erdgeschoss (© NYX ARCHITECTES)
Grundriss Obergeschoss (© NYX ARCHITECTES)
Querschnitt (© NYX ARCHITECTES)
Längsschnitt (© NYX ARCHITECTES)
Dorfzentrum Untersiggenthal
Standort
Kornfeldweg 1, 5417 Untersiggenthal
Nutzung
Mehrzweckhalle mit Bühne und Grossküche, Dreifachsporthalle mit Garderoben und Geräteräume, Mehrzweckraum, Sitzungszimmer, Tiefgarage mit 70 Parkplätzen und Dorfplatz
Auftragsart
Studienauftrag nach Präqualifikation, 1. Preis
Bauherrschaft
Einwohnergemeinde Untersiggenthal
Architektur
NYX ARCHITECTES, Zürich
Nathanaël Chollet, Yann Gramegna, Dorian Bürgy, Steffen Marschall, José Martínez, Benjamin Melly, Justyna Porowska und Petra Steinegger
Fachplaner
Baumanagement: Gruner Generalplanung AG, Basel
Bauingenieur: skylight klg, Niederrohrdorf
Holzbauingenieur: Indermühle Bauingenieure, Thun
Haustechnik Koordination, Sanitär, MSLR: Sani Project, Niederrohrdorf
HLK-Ingenieur: Twerenbold Consulting GmbH, Lenzburg
Elektroplanung: HKG Engineering AG, Dättwil
Landschaftsarchitektur: Andreas Geser Landschaftsarchitekten AG, Zürich
Verkehrsplanung: Verkehrsteiner AG, Bern
Bauphysik, Brandschutzingenieur: Pirmin Jung Ingenieure AG, Rain
Lichtplanung: Lichtblick AG, Buchs
Bühnenplanung, AV-Anlage: Bühnenplan Nerlich AG, Tuggen
Planung Sportanlagen: Alder + Eisenhut AG, Ebnat-Kappel
Küchenplanung: GaPlan GmbH, Würenlingen
Bauleitung
Gruner Generalplanung AG, Basel
Fertigstellung
2023
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 35.5 Mio.
Gebäudekosten BKP 2
CHF 28.7 Mio.
Gebäudevolumen
44'500 m3 (gemäss SIA 416)
Energiestandard
Minergie Standard angestrebt, nicht zertifiziert.
Fotos
Olivier di Giambattista Photographie, Genf