Neues Gemeindehaus «Löwenherz»
Ein Haus für ein Jahrhundert
raumfindung
12. Dezember 2018
Haupteingang und Kaltbau mit Glasornament. Bild: Ladina Bischof
Das Architekturbüro raumfindung hat kürzlich das Gemeindehaus Uzwil fertiggestellt. Beat Loosli und Michael Fries beantworten unsere Fragen.
Nutzung Gemeindeverwaltung
Ort Stickereiplatz 1, 9240, Uzwil, SG
Auftragsart Projektwettbewerb mit Präqualifikation
Bauherrschaft Gemeinde Uzwil
Architektur raumfindung architekten eth bsa sia, Rapperswil SG | Gesamtleitung: Beat Loosli |
Projektleitung: Michael Fries | Mitarbeit: Andro Fenk, Paul Schurter, Rahel Durot, Lukas Marty, Kevin Löffler, Debora Heitz
Fachplaner Bauingenieur: Aerni + Aerni Ingenieure AG, Zürich ZH | Elektroingenieur: Zweifel AG, Wil SG | HLKKS-Ingenieur: Calorex AG, Wil SG | Bauphysik + Akustik: Gartenmann Engineering, Zürich ZH | Landschaftsarchitekt: atelier tp, Rapperswil SG | Lichtplanung: mati AG, Adliswil ZH | Farbberatung: Angelika Walthert, Luzern LU | Signaletik: lichtermeer werbekonzepte, Herisau SG | Architekturfotografie: Ladina Bischof, St. Gallen SG
Bauleitung Schertenleib Baumanagement, St. Gallen SG
Jahr der Fertigstellung 2017
Gesamtkosten BKP 1–9 CHF 16,64 Mio.
Gebäudekosten BKP 2 CHF 12,05 Mio.
Gebäudevolumen 13’096 m3 (SIA 416)
Kubikmeterpreis 920 CHF/m3 (BKP2)
Energiestandard Minergie
Kunst am Bau Autor Ferdinand Gehr, Henau Uzwil, SG
Kunst am Bau Kurzbeschrieb Integration des Sgraffito in den Neubau
Massgeblich beteiligte Unternehmer Baumeister: Stutz AG, Uzwil | Fenster aus Holz/Metall: Huber Fenster AG, Herisau | Fenster und Türen aus Metall: Toni Frei Metallbau AG, Niederuzwil; Wehrli Metallbau AG, Wil | Montagebau in Beton: saw Spannbetonwerk AG, Widnau | Schreinerarbeiten: Markus Loser AG, Niederuzwil; Egli AG, Niederstetten; Christian Frick AG, Oberbüren | Bodenbeläge aus Naturschein: Gabriel Ott AG, Bazenheid
Fotos Ladina Bischof, St. Gallen SG
«Löwenherz». Bild: Ladina Bischof
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Kommunale Bauten prägen die Identität von Dörfern über Jahrzehnte. Ein modernes Gemeindehaus ist ein Mehrzweckbau und Begegnungsort. Einerseits dient das Bauwerk mit einladender Empfangshalle und Schalteranlagen der Bevölkerung, andererseits soll es ruhige Arbeitsumgebung für die Gemeindemitarbeiter sein. Spezialnutzungen wie Trauungen oder Seminare finden ebenfalls vor Ort statt. Ein Gemeindehaus ist ein Begegnungsort und verkörpert zugleich die politische Gemeindemitte. Hinter der zurückhaltend gestalteten Fassade versteckt sich eine erstaunlich vielfältige Raumfolge. Die Gebäudestruktur ist mit entsprechender Sorgfalt, Robustheit und Weitsicht für Jahrzehnte ausgelegt.
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Das Bauwerk ist eine Komposition aus zwei ineinander verwobenen Teilvolumen: Ein fünfgeschossiger Hauptkörper mit der Hauptadresse und ein viergeschossiges, dienendes Volumen mit der Treppenerschliessung. Die Komposition erinnert uns an die Geschichte «Die Brüder Löwenherz» von Astrid Lindgren mit den zwei Protagonisten «Krümel» und «Jonathan», die sich gegenseitig unterstützen. Der verkürzte Wettbewerbsname «Löwenherz» versinnbildlicht neben dieser Anekdote die innere Halle mit dem pulsierendem Leben als ein Ort der Begegnung und des Austausches.
Eingangshalle mit Réception. Bild: Ladina Bischof
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Das neue Gemeindehaus steht am Rande des dörflichen Zentrums am tiefsten Punkt in der Talmulde neben der Uze. Der Neubau bildet somit den dorfbaulichen Auftakt des Uzwiler Zentrums. Das Gemeindehaus präsentiert sich entlang der Lindenstrasse als prägnanter fünfgeschossiger Baukörper und orientiert sich mit dem Haupteingang zum hangaufwärts gelegenen Dorfzentrum. Eine wichtige Inspiration bildet der geschichtsträchtige Ort. Bis in den 1930er-Jahren wurden auf dem Areal Schifflistickereien produziert. An diese textile Vergangenheit des Ortes wird im neuen Gemeindehaus mancherorts erinnert. Die Silhouette einer 100-jährigen Schifflistickerei aus den Beständen des St. Galler Textilmuseums begleitet den Besucher auf seinem Rundgang durch das Haus. So gibt es ein Glasornament auf dem Gemeindehausplatz, Fenster- und Türverblendungen und ein mit einer Stickerei ausgekleidetes Trauzimmer im Dachgeschoss.
Treppenkern in Sichtbeton mit Brettschalung aus sägerohem Holz. Bild: Ladina Bischof
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?
Ausgangspunkt des Entwurfs ist nicht etwa die Architektur oder Fassade, sondern sind die betrieblichen Abläufe und Bedürfnisse zur Erfüllung der Verwaltungsaufgaben. Der Architekt fungiert hier als Übersetzer dieser Bedürfnisse – er wandelt die funktionalen Vorgaben in Raum und Licht um. Doch für präzise entwickelte Innenräume muss die bauherrenseitige Vorarbeit stimmen, welche die Bauherrschaft exemplarisch ausgeführt hat. Eine Gemeindeverwaltung benötigt Raumfolgen für die Begegnungen mit ihren Bürgerinnen und zugleich eine optimale Arbeitsumgebung für produktive Mitarbeiter. Bisherige Arbeitsabläufe wurden hinterfragt, die räumliche Disposition entsprechend ausgelegt. Beispielsweise wurde eine zentrale Anlaufstelle für Kunden in der Eingangshalle als einladende Réception ausformuliert und dafür betrieblich eine neue Personaleinheit geschaffen.
Trauzimmer mit textiler Auskleidung. Bild: Ladina Bischof
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?
Bei öffentlichen Bauten interessieren wir uns neben der Fassade stark für die innere Raumfolge. Beim Uzwiler Neubau haben wir die Typologie des kompakten Gebäudes mit einer effizienten innenliegenden Erschliessung weiterentwickelt. Bei diesem Bauwerk bringt der innere Luftraum Zenitlicht über fünf Geschosse bis zur Eingangshalle. Dieses Thema fasziniert und es resultieren interessante Sichtbezüge quer durch das gesamte Gebäude. Es erscheint uns besonders interessant, bei den Bauwerken solche Teilaspekte weiterzuverfolgen und über eine Serie von Gebäuden zu variieren und zu perfektionieren.
Abteilung mit Teamzone für interne Besprechungen. Bild: Ladina Bischof
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Das «Löwenherz» ist als inneres Rückgrat unverrückbar in Ortbeton gegossen. Die vertikale Brettschalung aus sägerohem Holz führt das Licht von den Oberlichtern bis hin in die erdgeschossige Empfangshalle. Die Schaltertüren der Abteilungen sind für die Adressbildung gut erkennbar in Eichenholz ausgestaltet. Der Bodenbelag im Kundenbereiche ist in Naturstein (Kanfanar) materialisiert. Die gewählten Materialien sind robust und langlebig – und zeichnen das «Löwenherz» als attraktiven Begegnungsort für die Bürgerinnen und Bürger mit der Verwaltung aus. Das Sgraffito von Ferdinand Gehr integriert sich neben den zahlreichen Innenfenstern wunderbar in die Betonhalle. Das Kunstwerk des Künstlers mit Bürgerort Uzwil kann als Fenster in die Zeitgeschichte der Gemeinde gelesen werden und stärkt den lebendigen, öffentlichen Charakter des «Löwenherz».