Drei Giebel

Weyell Berner Architekten mit Steinbach Schimmel Architekten
31. Juli 2024
Zum Vorplatz auf der Südseite hat die Scheune ein freitragendes Vordach erhalten. (Foto: Hans Stypa)
Frau Weyell, Herr Berner, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Miriam Weyell: Die 1940 erbaute Scheune steht in prominenter Lage am Haupteingang zum Gelände einer Baumschule in der deutschen Gemeinde Neuenstein. Sie sollte umgebaut und als Verkaufsraum mit Ausstellungsfläche sowie für die Verwaltung des Betriebs genutzt werden. 

Einige Fragen waren dabei für uns zentral: Wie kann man Ressourcen schonen, kosten- und energieeffizient den Ort umgestalten und die unterschiedlichen Anforderungen unter einem Dach zusammenbringen? Wie können die Qualitäten der Scheune mit Natursteinmauer, Fachwerk und charakteristischer Holzkonstruktion herausgearbeitet werden, ohne grosse Änderungen an den vorhandenen Strukturen vornehmen zu müssen? Wir wollten einen Ort schaffen, der einladend und vertraut wirkt, aber dennoch überrascht. Einen Ort, der besucht und erkundet werden will, an dem ausgestellt, beraten, geplant, gearbeitet und verkauft wird.

Florian Berner: Unser Haus-im-Haus-Konzept nutzt die bestehende Scheune als Witterungsschutz. Den beeindruckenden Innenraum haben wir von Einbauten befreit, er präsentiert sich nun als grosses Raumvolumen mit mehreren Ebenen. Die neuen Nutzungen sind in das Stabwerk eingeflochten, um die Struktur als Ganzes zu erhalten. Zwei bauliche Elemente ergänzen die Scheune: das «Bürobrückenhaus» mit Sanitärbereich und Kasse sowie die vorgehängte Giebelfassade mit Vordach. 

Da die Scheune nach einem Brand auf bestehenden Fundamenten und Mauerresten errichtet wurde, ist ihre Form asymmetrisch. Der eingestellte Baukörper und das Vordach nehmen die Dachform des Bestandsbaus auf – so entsteht ein Dialog zwischen drei Giebeln: Scheune, Vordach und Einbau. 

Blick auf den Haupteingang der zum Verkaufs- beziehungsweise Ausstellungsraum und Bürohaus umgebauten Scheune (Foto: Hans Stypa)
Der Umbau folgt dem Haus-im-Haus-Prinzip. Der eingestellte Baukörper beherbergt ein Büro, den Sanitärbereich und die Kasse. (Foto: Hans Stypa)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Miriam Weyell: Im Entwurfsprozess haben wir uns mit den Arbeiten «Woven to last» der finnischen Textildesignerin Johanna Gullichsen auseinandergesetzt. Sie strebt eine zeitlose Gestaltung an, verbindet dabei traditionelle Techniken mit experimentellen und verwendet Naturmaterialien. Ähnlich der Arbeit an einem Webstuhl verwebten wir neue Funktionen, Räume und letztendlich vorgefertigte Bauteile mit der bestehenden Tragstruktur der Scheune, ohne diese zu zerstören. In einem Arbeitsmodell im Massstab 1:33 konnten wir diesen Prozess testen. Wir verwendeten das Modell anschliessend auch, um unsere Idee der Bauherrschaft zu kommunizieren.

Auf der Südseite wurden einige Felder der historischen Fachwerkkonstruktion geöffnet. So dringt mehr Tageslicht ins Innere der Scheune. (Foto: Hans Stypa)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Florian Berner: Die Scheune fasst zusammen mit dem Wohnhaus des Auftraggebers einen kleinen Vorplatz am Eingang zum Gelände der Baumschule. Diesen konnten wir mit unserer Umgestaltung aufwerten: Durch das neue freitragende Vordach sind dort geschützte, flexibel nutzbare Flächen entstanden. Bestehende Öffnungen im Gebäude wurden reaktiviert, um das Innere der Scheune in die alltäglichen Abläufe der Gartenausstellung, der Besuchenden und der Mitarbeitenden zu integrieren und die Gäste durch das Areal zu leiten.

An der alten Holzkonstruktion wurde weitergebaut, ohne Vorhandenes zu zerstören. (Foto: Hans Stypa)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Miriam Weyell: Unsere Arbeiten setzen sich immer mit bestehenden Orten, Räumen und Strukturen auseinander. Wir wertschätzen die Geschichte und die Spuren des Gebrauchs. Bei allen Projekten entsteht Identität durch das Offenlegen vorhandener Qualitäten in Kombination mit sensiblen Eingriffen. Wir suchen und gestalten Räume, die überraschen und ihre Geheimnisse erst nach und nach preisgeben. 

Durchschreitet man die umgebaute Scheune, überlagern sich enge und weite Räume sowie helle und dunkle Bereiche. Dadurch entstehen jeweils unterschiedliche Raumqualitäten. An der Südfassade, wo sich der Haupteingang befindet, haben wir einige Felder der Fachwerkkonstruktion geöffnet, um mehr Tageslicht ins Innere zu lassen. Der Lichteinfall stärkt das Raumvolumen, da der gesamte Dachraum ausgeleuchtet wird. Bei Einbruch der Dunkelheit tritt die innere Struktur nach aussen und wird zum markanten Leuchtkörper für Passantinnen und Passanten.

Zugang zur Verwaltung des Betriebs (Foto: Hans Stypa)
Blick aus dem Büro in den offenen Scheunenraum (Foto: Hans Stypa)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Florian Berner: Von bestehenden landwirtschaftlichen Gebäuden kann man viel über das nachhaltige Bauen lernen. Die mit lokalem Baumaterial errichtete Scheune ist als Hülle erhalten geblieben. Infolge der Reduktion der beheizten Fläche auf ein Minimum und die Aktivierung der bestehenden Scheune als thermische Pufferzone kann der gesamte Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. In den Sommermonaten deckt die Plus-Energie-Scheune den Energiebedarf des ganzen Betriebs. 

Die Bauteile sind sichtbar gefügt, die Konstruktion ist nachvollziehbar. (Foto: Florian Berner)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Miriam Weyell: Die vorhandenen Materialen und Konstruktionsweisen prägen weiterhin den Innen- und Aussenraum: Sandstein, Mauerwerk, sichtbares Holzfachwerk. Neue raumbildende und statisch notwendige Bauteile sind wie schon die bestehende Struktur ausschliesslich aus lokalem Holz gefertigt. Die durch die vorgehängte Südfassade mit Vordach erhöhte Belastung ist im Inneren ablesbar: Wo es statisch notwenig war, haben wir das Stabwerk mit neuen Elementen verdichtet.

Wenn es draussen dunkel wird, kommt die innere Struktur deutlich zum Vorschein. (Foto: Hans Stypa)
Luftbild der Situation (© Weyell Berner Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© Weyell Berner Architekten)
Grundriss Obergeschoss (© Weyell Berner Architekten)
Schnitt (© Weyell Berner Architekten)
Bauwerk
Scheune Baumschulen Vogg
 
Standort
Haller Strasse 15, 74632 Neuenstein (Deutschland)
 
Nutzung
Ausstellung, Büroarbeitsplätze, Kasse
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Baumschulen Vogg GmbH, Neuenstein (Deutschland)
 
Architektur
Weyell Berner Architekten GmbH, Zürich
Florian Berner und Miriam Weyell
 
Bauleitung
Steinbach Schimmel Architekten, Öhringen (Deutschland)
Ulrich Schimmel und Mandy Ibrahim
 
Fachplaner
Wieland + Meißner Ingenieurgesellschaft mbH, Öhringen
Gerhard Meissner
 
Fertigstellung
2024
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Zimmerei Stefan Kraft, Nitzenhausen (Deutschland)
Schreiner Melber, Kirchensall (Deutschland)
Karl Hüftle Sanitär, Neuenstein (Deutschland)
Schnell Gebäude und Anlagentechnik, Neuenstein (Deutschland)
Sanwald Garten & Landschaftsbau, Emmertshof (Deutschland)
 
Fotos
Hans Stypa, Neuenstein, und Florian Berner, Weyell Berner Architekten GmbH, Zürich

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