Von Gebäuden und Gebilden: Günther Domenig prägte Österreichs Architektur nachhaltig
Ulf Meyer
27. de juny 2022
Günther Domenigs Gründer-, Innovations- und Gewerbezentrum Völkermarkt entstand Mitte der 1990er-Jahre. An dem Projekt wirkte auch Gerhard Wallner mit. (Foto: Gerhard Maurer)
Noch bis zum 16. Oktober dieses Jahres wird Günther Domenigs reiches architektonisches Werk in Österreich mit einem Ausstellungsreigen an vier Orten gefeiert. Es ist die bisher weitaus grösste Aufarbeitung seines Œuvres.
Weil die radikale Formensprache von Günther Domenigs Architektur eine Zäsur im Umgang mit der Moderne war, nahm sie die Entwicklung hin zum Dekonstruktivismus vorweg. Dennoch wurde seine Arbeit in den letzten Jahren verhältnismässig wenig beachtet und erforscht. Nun entdeckt Österreich einen seiner prominentesten Architekten neu: Domenig wird mit der Reihe «DIMENSIONAL» ein ganzer Reigen von Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen gewidmet – an vier Orten in Kärnten und im ganzen Land. Kuratiert wird das grosse Programm vom Büro section.a aus Wien. Die Idee ist, das Werk des streitbaren Architekten nicht nur erstmals umfassend zu zeigen, sondern auch durch andere Künstler*innen kommentieren zu lassen.
Im Architektur Haus Kärnten (AHK) und dem Museum Moderner Kunst Kärnten (MMKK), die sich beide in Klagenfurt befinden, wird Domenigs Verhältnis zur Kunst in je einer Ausstellung reflektiert. Seine Arbeiten treten dabei in einen Dialog mit Werken von Zeitgenossen wie Raimund Abraham, Peter Cook, Thom Mayne, Walter Pichler oder Lebbeus Woods. Die Ausstellung im MMKK zeigt Domenigs Zeichnungen erstmalig umfassend. Für Domenig war «die Zeichnung nicht nur ein Hilfsmittel bei der Formfindung, sondern ein eigenständiges Ausdrucksmittel», erklärt Nora Leitgeb vom MMKK. Die Hand – ein Leitmotiv in Domenigs Werk – war zugleich Voraussetzung für Zeichnungen und Sujet seiner Entwürfe.
Die kleinere Ausstellung im AHK hingegen soll einen «Dialog mit den jüngeren Generationen von Architekten in Österreich initiieren, deren Arbeit von Domenig beeinflusst ist». Raffaela Lackner, die Leiterin der Architekturinstitution, will mit der Schau «Domenig in die Jetztzeit holen». Sie hat dafür intensiv in Archiven gestöbert, «um Domenig neu zu inszenieren und zu präsentieren». In ihrem Haus zeigt das Wiener Kollektiv 4 eine Installation mit Material aus Domenigs eigenem Dia-Archiv.
Noch spannender als diese beiden Ausstellungen ist allerdings wohl die Wiederentdeckung von zwei Schlüsselwerken Domenigs in situ.
Günther Domenigs Werk ist sehr vielschichtig. In seinen Arbeiten zeigen sich verschiedenste stilistische Einflüsse. Ende der 1960er-Jahre entwarf er gemeinsam mit Eilfried Huth die Pfarrkirche Oberwart. (Foto: Gerhard Maurer)
Foto: Gerhard Maurer
Das expressiv-gestische Steinhaus am Ossiacher See ist Günther Domenigs Opus magnum. Das gebaute Manifest hat viele österreichische Architekturschaffende beeinflusst. (Foto: Gerhard Maurer)
Der Umbau der Heft, eine ehemalige Eisenhütte in den Bergen von Oberkärnten, ist Domenigs feinstes Werk. Aus Anlass der Kärntner Landesausstellung des Jahres 1995 entwarf er dort ein Gebäude, das zugleich Exponat und Schauplatz war. Die Balance von Masse und Material und die sensible Reaktion auf die Geschichte und Topografie des Ortes wurden später zum Exempel für Domenigs Umgang mit dem Dokumentationszentrum auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, seinem wichtigsten Werk in Deutschland. Der schonungslose Eingriff in den Bestand, verstanden als «gebauter Widerstand», wurde «zum Manifest seiner künstlerischen Ethik», wie der bekannte Tiroler Gestalter und Kurator Peter Noever einst formulierte.
Lange stand Domenigs Gebäude auf der Heft zuletzt leer. So hat sich die Natur das Areal zurückerobert. Die Vegetation wurde nun teilweise gerodet und das Gebäude wieder zugänglich gemacht. Zu sehen sind darin künstlerische Interventionen und Arbeiten von Architekturstudierenden.
Für die Kärntner Landesausstellung in der Heft entwickelte Domenig einen Ausstellungsbau. Dieser stand zuletzt zwanzig Jahre lang leer und wurde von Pflanzen überwuchert. Für die Schau «DIMENSIONAL» wurde das Bauwerk nun wieder aktiviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (Foto: Gerhard Maurer)
Foto: Gerhard Maurer
Das Steinhaus am Ossiacher See, Domenigs Opus magnum, ist hingegen ein Ausstellungsobjekt eigenen Rechts. Die expressiv-gestische Architektur wird während der «DIMENSIONAL» zur Bühne für Performances. An drei Wochenenden bespielt das Tanzquartier Wien das eigensinnige Haus. Eine internationale Tagung wird «die für die Architekturentwicklung wichtige Position, die es repräsentiert, nicht in Vergessenheit geraten lassen», verspricht Andreas Krištof von section.a. Domenig wurde schliesslich schon als «früher Vorläufer von Zaha Hadid und rechtmässiger Erbe von Friedrich Kiesler» tituliert. Mit dem Haus in Steindorf hat Domenig unnachgiebig und über viele Jahre hinweg einen Ort des Rückzugs und ein Laboratorium für neue Ideen und Details geschaffen. Eine «Allegorie menschlicher Existenz» hat Peter Noever das Haus und seine prozessuale Architektur genannt. Weil Domenig dort sein eigener Bauherr war, ging er bis an persönliche und bauliche Grenzen. Das Steinhaus ist Domenigs Lebenswerk, ein gebautes Architekturmanifest, eine Offenbarung seiner Intentionen.
Am klarsten auf den Punkt brachte Domenigs Entwurfshaltung vielleicht der amerikanische Autor und Architekt Mark Wigley: «Der dekonstruktive Architekt behandelt die reinen Formen der architektonischen Tradition wie ein Psychiater seine Patienten – er stellt die Symptome einer verdrängten Unreinheit fest. Diese Unreinheit wird durch eine Kombination von sanfter Schmeichelei und gewalttätiger Folter an die Oberfläche geholt. Die Form wird verhört.» Küche, Wohnraum, Schlafzimmer und Sanitärräume wurden in dem Haus zum Ausdruck totaler Expression. Die dynamische Raumstruktur übersetzt alpine Steinformationen in ein autonomes Gebilde. Die ineinander verkeilten Beton-, Glas- und Stahlblöcke scheinen wie nach einem Felssturz übereinander zu (f)liegen.
Der Mehrzwecksaal des Klosters der Schulschwestern in Graz wurde in den 1970er-Jahren gebaut. Dem Gebäude aus Beton, damals das Material der Stunde, wurde in der Fachwelt sowohl aufgrund seiner aussergewöhnlichen Formensprache als auch wegen seiner Konstruktion grosse Aufmerksamkeit zuteil. Die Planung und Umsetzung der freien Form stellte zu dieser Zeit eine enorme Herausforderung dar. (Foto: Gerhard Maurer)
Foto: Gerhard Maurer
Foto: Gerhard Maurer
Domenig verbrachte seine Kindheit im Mölltal in Oberkärnten, und die schroffe Landschaft prägte seine Wahrnehmung. Domenigs Eltern waren Nationalsozialisten. Er litt zeitlebens unter seiner Herkunft, suchte fortwährend eine Versöhnung mit der Geschichte. Nach dem Studium der Architektur in Graz entwarf Domenig Megastrukturen. Die «Neue Wohnform Ragnitz» von 1969 übertrug die Prinzipien des japanischen Metabolismus auf Österreich.
Als Reaktion auf das konservativ-katholisch geprägte Nachkriegsösterreich übte die junge Architektengeneration Ende der 1960er-Jahre eine fundamentale Gesellschaftskritik: Die Grenzen zwischen Architektur, Kunst und Aktivismus verschwammen. Die Avantgardisten wollten Architektur radikal neu denken, ästhetische und formale Strukturen hinterfragen und einen subjektiven Ausdruck suchen, der bei manchen später zur Egomanie wurde. Die Grazer Wohnzellen widerspiegelten den Zeitgeist von Weggefährten wie Yona Friedman (1923–2019) und Haus-Rucker-Co, Hans Hollein (1934–2014) und Coop Himmelb(l)au. Domenigs erste gebaute Werke waren hingegen plastische Sichtbetonbauten, die sich an Gottfried Böhm (1920–2021) und dem Brutalismus orientieren.
Organische Formen zeigten sich erstmals beim Saal der Schulschwestern in Graz-Eggenberg. Die Mehrzweckhalle aus den 1970er-Jahren hat eine raupenartig geformte Schale, eine kuriose Mischung aus Expression und Pop, die zum ersten Mal in Österreich in einem Spritzgussverfahren gebaut wurde.
Domenig gestaltete die Zentralsparkasse in Wien als biomorphes Wesen mit Knochen und Schuppen. (Foto: Gerhard Maurer)
Foto: Gerhard Maurer
Foto: Gerhard Maurer
Diese Werkphase wird der Grazer Schule zugeordnet, weil die Entwürfe «dramatisch überartikuliert» waren, wie Friedrich Achleitner (1930–2019) schrieb. Die Zentralsparkasse in Wien (1979) negierte die herkömmliche Vorstellung von einer Bank. Die sichtbar belassene Haustechnik, die hervortretende Fassade, die versetzten Etagen und die geometrisch komplex gewundene Treppe prägen das Bauwerk, das heute als Restaurant genutzt wird.
T-Mobile-Center, Wien, 2004 (Foto: Gerhard Maurer)
Das T-Mobile-Center in Wien war Domenigs letztes grosses Werk. Auf dem Gelände des Schlachthofs, das unmittelbar neben der Stadtautobahn liegt, machten seine Faltungen und schräg aufragenden Gebäudeteile den Konzernsitz alsbald zu einer Landmarke.
Als Domenig 2012 in Graz starb, hinterliess er ein Œuvre, das es verdient, wie nun im Zuge der «DIMENSIONAL» genauer erforscht und kanonisiert zu werden. Neben dem neuen digitalen Archiv von Domenigs Werken gibt es zwei Publikationen, die im JOVIS-Verlag erschienen werden: «In Resonanz» mit einem Text von Anna Baar und «In Reflexion» mit Beiträgen von Matthias Boeckl, Simone Egger, Lukas Vejnik und vielen anderen mehr. Gerhard Maurer hat für den Band über dreissig Bauten Domenigs in ihrem heutigen Ist-Zustand porträtiert – angefangen bei den frühen Projekten wie der Wiener Z-Sparkasse.
Foto: Maria Wawrzyniak, marygoodfoto
Die «DIMENSIONAL» läuft noch bis zum 16. Oktober 2022 an vier Orten in Österreich: dem AHK (St. Veiter Ring 10, Klagenfurt), dem MMKK (Burggasse 8, Klagenfurt), dem Steinhaus (Uferweg 31, Steindorf) und auf der Heft in der Gemeinde Hüttenberg (Landesstrasse Heft, Hüttenberg).
Hinzu kommen Exkursionen und Führungen sowie ein Forum, das am 23. und 24. September stattfindet. Teilnehmen werden an diesem Greg Lynn, Thom Mayne und Wolf D. Prix sowie Hermann Eisenköck.