Lieblingsbücher 2024
Elias Baumgarten
5. de desembre 2024
Fotos: Elias Baumgarten
«Städtebau beginnt an der Strasse» fordert die Rückeroberung des Strassenraums, Anna Heringer begeistert mit einem sehr persönlichen und meinungsstarken Architekturbuch, und Stefan Kuraths «jetzt: die Architektur!» fegt noch immer.
Bücher hat man nie genug. Nur Regale werden manchmal zu klein. Aber dann quetscht man eben irgendwie noch neue in die Wohnung. Und so habe ich mir auch heuer ziemlich viele Architekturbücher gekauft. Gefallen haben sie mir nicht alle, etliche lagen bald angelesen herum. Doch einige habe ich regelrecht verschlungen. Drei meiner Lieblinge möchte ich Ihnen zum Jahresende besonders ans Herz legen.
«jetzt: die Architektur!» erschien schon 2021, doch die pointierte Kritik hat seither keinesfalls an Relevanz verloren. (Foto: Elias Baumgarten)
Lucius Burckhardt forderte Architektinnen und Architekten schon in den 60er-Jahren auf, über die Wechselbeziehung zwischen Architektur und Gesellschaft nachzudenken – und eckte damit an. Anfang der 70er wurden seine Ideen vom Konzept einer «Autonomie der Architektur» verdrängt, das Architekten wie Aldo Rossi verfochten. Jahrzehnte später wendet sich Stefan Kurath erneut gegen ein Architekturverständnis, das gesellschaftliche Einflüsse vernachlässigt – und muss sich dafür schon mal die Frage anhören, ob er gegen Architektur sei. Ist er nicht. Der ZHAW-Professor wünscht sich Architektinnen und Architekten, die sich interessieren und einmischen, die öffentliche Debatten mitgestalten.
Vielleicht ist «jetzt: die Architektur!» aktuell sogar noch relevanter als bei seinem Erscheinen 2021. Denn dass eine autonome Architektur zur Lösung der aktuellen Krisen beitragen kann, ist zu bezweifeln. Kuraths Buch ist nicht nur intellektuell ein Vergnügen, sondern auch sprachlich: Die Kritik ist pfiffig geschrieben und messerscharf argumentiert.
«Form Follows Love» ist fesselnd erzählte Autobiografie und Manifest zugleich. (Foto: Elias Baumgarten)
Architektenmonografien interessieren mich eigentlich kaum noch: Viele Pläne, noch mehr Fotos und kurze, oft wenig gehaltvolle Beschreibungstexte. Langweilig. Einen anderen Weg geht Anna Heringer mit «Form Follows Love»: Statt nur ihre besten Projekte zu zeigen, erzählt sie unterstützt durch die Autorin Dominique Gauzin-Müller ihre Lebensgeschichte. Sie schreibt über ihre Entwicklung als Mensch und als Architektin, lässt keine persönliche Krise aus, macht sich angreifbar. Das ist grossartig. Ich habe das Buch in wenigen Stunden gelesen. Es hat mir Mut gemacht.
«Form Follows Love» ist auch ein Manifest. Das Buch verändert den Blick auf die Länder des globalen Südens und kehrt die überhebliche und im Grunde kolonialistische Vorstellung um, man müsse den Menschen dort mit unserem Wissen und unserer vermeintlich überlegenen Technologie helfen: Sie werden unsere Lehrer. Wollen wir nachhaltig und zufriedener leben, können wir von ihnen lernen.
Ein Plädoyer für eine neue interdisziplinäre Planungskultur: «Städtebau beginnt an der Strasse» (Foto: Elias Baumgarten)
Wer wie ich an einer viel befahrenen Strasse wohnt, den wird «Städtebau beginnt an der Strasse» sofort abholen. Denn dort lesen wir: «Die Gestaltung der Strassenräume soll wieder im Dienste der Bewohner:innen und Passanten:innen stehen.» Regula Iseli, Peter Jenni und Andreas Jud fordern eine «Umgestaltung und Neuaufteilung der Strassenräume und eine stärkere Vernetzung mit den unterschiedlichen Aktivitäten innerhalb des Quartiers».
Die Forschenden des Instituts Urban Landscape der ZHAW beginnen ihr Buch mit einer hervorragenden historischen Einführung, bevor sie zwölf Strassenräume analysieren. Schliesslich stellen sie neue Planungsstrategien vor. Im Kern muss, das habe ich bei der Lektüre gelernt, in Zukunft interdisziplinärer gearbeitet werden. Hoch- und Tiefbauämter sollten sich abstimmen, statt weiter nebeneinanderher zu wursteln. Wichtig ist auch, die Bevölkerung einzubeziehen. Unattraktive, nur für den motorisierten Verkehr gestaltete Strassenräume müssen nicht hingenommen werden. Hoffnung macht da die Ablehnung des Autobahnausbaus in der Schweiz. Und was bereits möglich ist, beweisen internationale Vorzeigeprojekte wie die Umgestaltung des Ortskerns der österreichischen Gemeinde Griffen. Dort wurden Verkehrsflächen wieder Stadtraum und die Fahrgeschwindigkeit auf der Hauptstrasse sank dank architektonischer Eingriffe merklich.
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