Innen ist aussen ist innen
Susanna Koeberle
2. de març 2020
Ausstellungsansicht aus «innenausseninnen», einer Retrospektive zu Marion Baruchs Werk im Kunstmuseum Luzern (Foto: Marc Latzel)
Die Retrospektive zum Werk von Marion Baruch im Kunstmuseum Luzern macht nicht nur die grossen Konflikte und Bewegungen des 20. Jahrhunderts deutlich. Ihr Werk lehrt uns auch eine wichtige Lektion: Austausch findet in offenen Räumen statt.
«innenausseninnen» nennt die italienische Künstlerin Marion Baruch (*1929) ihre Retrospektive. Wieso ein so banaler Titel?, fragte Fanni Fetzer, Direktorin des Kunstmuseums Luzern, an der Eröffnung der Ausstellung. Diese konnte leider wegen des Coronavirus nur im kleinen Rahmen stattfinden. Fetzer gab den Anwesenden die Antwort gleich selber. Die Wortschöpfung sei typisch für Baruchs Werk und fasse ein wesentliches Moment ihrer Arbeit zusammen. Denn dieses Wort beinhaltet nicht nur eine räumliche Dimension, es benennt zugleich einen Dialog. Die beiden «innen» umklammern das «aussen»: Dadurch findet quasi eine Inversion statt. Was wiederum Fragen impliziert: Wer oder was gehört dazu oder nicht? Wer ist drin und wer draussen? Das Wort bringt Gewissheiten durcheinander und macht sie zugleich deutlich: Es tut, was es sagt. Es öffnet starre Grenzen und schafft dadurch einen osmotischen Prozess. Diese Bewegung könnte man als das Wesen des Dialogs bezeichnen. Ein Dialog findet nämlich erst statt, wenn wir bereit sind, unsere Position zu verlassen und uns zu öffnen auf die andere Person.
Die Künstlerin Marion Baruch in ihrem Haus in Gallarate (Foto: Noah Stolz)
Sie glaube an das Wunder der Begegnung, sagte Baruch, als ich sie letztes Jahr in ihrem Haus und Arbeitsort in Gallarate besuchte. In ihrem Leben und durch ihre Kunst hat die Ausnahmekünstlerin dieses Wunder stets geteilt. Kooperation und Austausch prägten ihre Arbeitsweise schon sehr früh, etwa als sie ab 1988 unter dem Label Name Diffusion im Kollektiv arbeitete. Der Name war im Handelsregister eingetragen und war eine kritische Reaktion auf den Kunstmarkt und seinen Habitus. Auch mit ihrem Exkurs in die Designwelt (1972 entwarf sie den Teppich «Lorenz» und dem Sessel «Ron Ron») unterwanderte sie starre Systeme und stellte mit ihrer Arbeit Fragen. Doch Marion Baruch geht es nie nur um Kritik, ihre Kunst ist im Kern stets bejahend. Am radikalsten zeigt sich diese Geste in einem Werk, das immateriellen Charakter hat.
In den 1990er-Jahren vollzog sie einen Bruch mit ihrem bisherigen Leben und zog nach Paris. Dort trat sie auch mit fremden Menschen und Kulturen in Kontakt. Sie beobachtete in ihrer Wohnung ein banales Phänomen. Wenn die Sonne durch das Fenster schien, bildete sich auf dem Parkettboden ein Licht-Rechteck – eine Art Raum im Raum. Für ihre Arbeit «Une chambre vide» (2009) leerte sie ein Zimmer ihrer Wohnung und lud während eines Monats Menschen ein, sie in diesem leeren Zimmer zu besuchen. Sie setzte sich mit den Besucher*innen auf das warme Rechteck am Boden und diskutierte mit ihnen. Das leere Zimmer füllte sich und wurde zum Raum für Begegnungen. Diese fanden jenseits einer fixen Sprache statt, es waren Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft. Mehrstimmigkeit ist schon in der Biographie der Künstlerin zu finden. Baruch wuchs in Rumänien auf und sprach daheim Ungarisch. Mit den Kindermädchen wurde Deutsch gesprochen. Später lernte sie in Israel (wo sie studierte) Hebräisch, dann Italienisch in Rom, wo sie weiterstudierte. Französisch und Englisch beherrscht Marion Baruch ebenfalls. In Paris war diese Mehrfachidentität der Künstlerin sicher auch eine Basis für ihre Neugierde und Offenheit. Doch Baruch will uns damit auch sagen, dass Begegnungen immer und überall stattfinden können.
Name Diffusion, «Une chambre vide», 2009, 32 Rue Sorbier, Paris (Foto: Corinne Vigne-Loup, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin)
Einer der Räume der Luzerner Ausstellung erinnert an dieses Zimmer und bleibt bewusst leer. Auf einem Podest sollen verschiedene Gespräche stattfinden. Gerade in diesen Zeiten sollten wir solche für Austausch offene Räume bewahren, um nicht in eine gedankliche und physische Erstarrung zu fallen. Auch dafür steht Marion Baruchs leeres Zimmer.