Corona: Debatte um Schweizer Baustellen
Manuel Pestalozzi
20. de març 2020
Foto: Nadia Bendinelli
Derzeit ändert sich die Lage fast stündlich. Auf Schweizer Baustellen wird vielfach noch gearbeitet, einige sind allerdings bereits geschlossen. Weitere Schliessungen werden diskutiert. Wirtschaftliche Nöte und die Sorge um die Gesundheit der Arbeiter*innen wie der gesamten Bevölkerung prallen dabei aufeinander.
Gestern um 13 Uhr meldete das BAG 3'438 bekannte Corona-Fälle in der Schweiz. Diese Zahl ist einen Momentaufnahme, die Lage verändert sich stündlich. Die Ausbreitung des Virus erfolgt noch immer exponentiell. 33 Menschen sind in der Schweiz bisher an den Folgen der Lungenkrankheit COVID-19 verstorben. Alle sind daher angehalten, zu Hause zu bleiben und möglichst im Home-Office zu arbeiten. Es ist wichtig, soziale Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Auch die meisten Schweizer Architekt*innen leisten so ihren Beitrag zur Verlangsamung der Ausbreitung des Virus, ebenso die Redaktion von Swiss-Architects und das ganze World-Architects-Team.
Doch auf vielen Baustellen wird noch gearbeitet. Vor meiner Wohnung zum Beispiel: In der Parallelstrasse wird unbeirrt und stoisch an der Sanierung der Kanalisation gearbeitet, in der Gegenrichtung hört man Bohrer, Hämmer und Trennscheiben: Eine kleinere Sanierung im Bestand schreitet voran. Schweizweit wird diskutiert, ob nicht der gesamte Baubetrieb im Interesse der Allgemeinheit eingestellt werden sollte. Die Kantone Genf und Waadt haben bereits gehandelt: Bauarbeiten sind dort mittlerweile verboten. Auch im Tessin kam es bereits vor Tagen zu Schliessungen. Der Baukonzern Implenia hat ebenfalls reagiert und aus Sorge um das Wohl seiner Mitarbeitenden den Betrieb eingeschränkt. In Zürich fordert die Gewerkschaft Unia mit einer Online-Petition an den Regierungsrat die Schliessung der Baustellen. Über 10'000 Unterschriften kamen bereits bis Mitte der Woche zusammen. Wie immer in diesen Corona-Tagen sind die Meinung geteilt. Umso willkommener sind deutliche Statements.
Am Abend des 18. März war der Schweizerische Maler- und Gipserunternehmer-Verband (SMGV) an der Reihe. In einer Pressemitteilung wehrte er sich «mit aller Vehemenz gegen eine allgemeine Schliessung der Baustellen». Er reagierte damit auf die erwähnten Forderungen der Unia. Der SMGV meint, eine generelle Schliessung der Baustellen wäre unverhältnismässig. Vor allem kleine Baustellen sollen weiter betrieben werden. Der von Unia bemängelte geringe Abstand zwischen den Handwerker*innen sei dort durchaus zu gewährleisten. Diese Haltung beruht sicher nicht auf der Profitgier der oft eher kleinen Unternehmungen. Wenn der SMGV schreibt, dass eine generelle Schliessung der Baustellen für zahlreiche Betriebe aus der Maler- und der Gipserbranche unweigerlich zur Gefährdung ihrer Existenz führen würde, muss man dies Einschätzung ernst nehmen.
Am Mittag des gestrigen 19. März titelte auch bauenschweiz, die Dachorganisation der Schweizer Bauwirtschaft, in einem Communiqué: «Keine flächendeckenden Baustellenschliessungen». Zentral sei «die grösstmögliche Aufrechterhaltung von Kontinuität in der Krise, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und gleichzeitig die Folgen für die Wirtschaft abzufedern». Ob und wie auf den einzelnen Baustellen weitergearbeitet wird, sei zwingend im Einzelfall und gemeinsam mit allen Betroffenen zu beurteilen. Platzverhältnisse, die Anzahl der Anwesenden, Zugänge und vieles mehr zeigten sich von Baustelle zu Baustelle unterschiedlich. Eine individuelle Beurteilung sei notwendig. Im Zentrum stehe auch weiterhin, dass die Eigenverantwortung von allen – Arbeitgebern und Arbeitnehmern – wahrgenommen werde.
Die Abwägung zwischen wirtschaftlichen Zwängen und epidemiologischen Notwendigkeiten, zwischen Eigenverantwortung und Zwang bleibt für die Entscheidungsträger*innen überaus schwierig. Am heutigen Freitag, dem 20. März, wird sich der Bundesrat neuerlich zu Wort melden. Vielleicht bringt dies auch der Schweizer Bauwirtschaft neue Erkenntnisse und mehr Klarheit.