Auf gute Nachbarschaft
Ulrike Hark
21. de novembre 2024
Am U-förmigen Hof vor dem Haupteingang sind die halböffentlichen Nutzungen wie der Kindertreff, die Gemeinschaftsräume oder die Arztpraxis angeordnet. (Foto: Timo Kellenberger)
In Landschlacht am Bodensee ist ein Generationenhaus mit 21 Wohnungen für Menschen mit tiefem Einkommen und besonderen Bedürfnissen entstanden. Selbsthilfe, Solidarität und Teilhabe heissen die Bausteine des ehrgeizigen Projekts.
Kann Architektur neben Mauern und Decken auch gute Nachbarschaft «bauen»? Lässt sich mit Holz und Beton Zusammenhalt stiften? Klugen Architektinnen und Architekten wie Antoniol+Huber+Partner aus Frauenfeld glückt das tatsächlich – ihre Gestaltung wird zum sozialen Kitt: Beim genossenschaftlichen Generationenhaus Teupelacker in Landschlacht ermöglichen sie auf nachhaltige Weise Begegnungen einer vielfältigen Mieterschaft.
Das Projekt im Thurgau entstand auf Initiative der Genossenschaft Teupelacker mit der Absicht, über soziale Grenzen hinweg junge Menschen, Familien und ältere Personen unter einem Dach zusammenzubringen. Zudem sollen Menschen mit Beeinträchtigungen oder besonderen Bedürfnissen in dem Neubau wohnen; die Stiftung Mansio hat deshalb Teile des ersten Stocks angemietet. Die 2.5- bis 5.5-Zimmerwohnungen im Haus werden bevorzugt an Personen mit tiefem Einkommen vergeben. Um die Mieten niedrig zu halten, hat die beteiligte Age-Stiftung zusätzlich 180'000 Franken eingeschossen.
Das Gebäude hat einen starken Bezug zum Teupelackerweg und der benachbarten Genossenschaft Manau. (Foto: Timo Kellenberger)
Die östliche Fassadenfront ist auf einen idyllischen Grünraum mit Bachlauf ausgerichtet. (Foto: Timo Kellenberger)
Bei einem Wettbewerb auf Einladung überzeugten Antoniol+Huber+Partner mit ihrem Projekt: Mit dem Entwurf gelinge «eine hohe Nutzerqualität, Flexibilität und speziell der Einbezug der Nachbarschaft», befand die Jury. Wie ein Hufeisen «umarmt» der dreigeschossige Bau den gemeinsam genutzten Wohnhof, das Herzstück der neuen Anlage. Dieser öffnet sich zur benachbarten Manau, einem bereits bestehenden Genossenschaftsbau aus den späten 1970er-Jahren, und zum Teupelackerweg. Über den Zugang zum Café Manau sind die beiden Höfe verbunden, sodass ein neues Ganzes entsteht. Die Nutzungen mit halböffentlichem Charakter – ein Kindertreff mit Mittagstisch und zwei Gemeinschaftsräume samt einem kleinen Selbstbedienungsladen – sind um den Hof im Erdgeschoss angeordnet. Auch ein Arzt ist eingezogen; er praktiziert im Teupelacker nicht nur, sondern wohnt auch dort. So ist ein eigener Mikrokosmos mit sozialen Vorzeichen entstanden. Der zusätzlich geplante Hofladen steht allerdings erst noch auf der Wunschliste.
Über das Küchenfenster – liebevoll auch Blumenfenster genannt – sind die kleineren Wohnungen mit der inneren Erschliessungszone verbunden. (Foto: Timo Kellenberger)
Der Erschliessungsbereich ist grosszügig gestaltet. Durch die Anordnung der Treppen an der Fassade kann viel Licht ins Gebäudeinnere dringen. (Foto: Timo Kellenberger)
Bei unserer Besichtigung zeigt Architekt Sascha Mayer auf die Lauben in den beiden oberen Geschossen, welche die hofseitige Fassade prägen: «Sie sind ein wichtiger Kontaktraum und Begegnungsort. Hier kann man plaudern oder einfach nur schauen, was unten auf dem Hof läuft.» Hinter diesen Lauben, die durch ein vorgezogenes Dach geschützt sind und an deren Stützen und Geländern im Frühling eine üppige Glyzinie emporranken soll, grenzt innen eine weitere Erschliessungsschicht: der grosse, weite Korridor, in dem man sich sprichwörtlich über den Weg läuft, und von dem aus die einzelnen Wohnungen über zwei Treppenanlagen erschlossen werden. Während man in der Küche werkelt, kann man in einigen Wohnungen durch ein Fenster direkt auf diese «Bühne» schauen und winken oder «Hallo» sagen, wenn jemand vorbeikommt. Und wenn man lieber seine Ruhe hat, zieht man einfach den Vorhang zu. Der Übergang zwischen privater und öffentlicher Sphäre ist keine Hülle, die das Innere abriegelt, sondern eine durchlässige, raffiniert gestaffelte Schichtung. Denn das «Dazwischen» ist der Ort, wo das soziale Leben stattfindet; das Angebot an Zwischen- und Übergangsräumen schafft atmosphärische Dichte. Ein sympathisches Detail sind die kleinen Holzbänke vor jeder Wohnungstür. Man kann darauf die Einkaufstasche abstellen oder auch die Schuhe an- und ausziehen.
Betrachtet man den Bau von aussen, fällt das umlaufende, unterschiedlich tiefe Vordach auf. Es akzentuiert die Fassade und schützt die Balkone der Wohnungen vor der Witterung. Geschickt ist das Dach von der Fassade abgesetzt. Durch die Profilierung mit den konstruktiv notwendigen Holzbalken wirkt es als Gebäudeabschluss elegant und leicht, scheint bisweilen sogar zu schweben. Wohnlich und dennoch nobel ist die Fassadenverkleidung aus sägeroher, silbergrau gestrichener Fichte. Das Tageslicht lässt die abwechselnd vertikal und horizontal verlegten Bretter in nuancierten Grautönen spielen.
Statt sich zu fragen, was man weglassen könnte, haben sich die Architekten bei der Konzeption überlegt, was es eigentlich zum Wohnen braucht, denn das Budget war mit 10.5 Millionen Franken knapp bemessen. Die Antwort: Es braucht Raum für die persönlichen Lebensumstände und keinen Luxus im Sinne eines geschniegelten Innenausbaus, teurer Details oder einer hochgezüchteten Haustechnik. Als Massivbau mit hinterlüfteter Fassade verfügt das Gebäude über eine hohe Speichermasse, die im Winter vor der Kälte und im Sommer gegen die Hitze schützt. Auf eine Komfortlüftung wurde verzichtet. Die Frischluft strömt über Fassadenöffnungen in die Wohnungen, und verbrauchte Luft wird in den Nasszellen und in der Küche abgesaugt. PV-Module auf dem extensiv begrünten Dach liefern Energie für die Erdsondenheizung, die im Sommer auch kühlen kann.
Naturbelassene Materialien erzeugen eine wohnliche Atmosphäre. Tiefliegende Fenster ermöglichen einen grosszügigen Ausblick in die Umgebung. (Foto: Timo Kellenberger)
Die Küchen der Übereckwohnungen grenzen an die privaten Aussenbereiche. (Foto: Timo Kellenberger)
Alle Wohnungen sind zweiseitig orientiert: Küchen und Bädern richten sich zum aktiven Hof aus, während die Schlaf- und Wohnbereiche zur Landschaft weisen. Der Blick geht hier auf den nahen Bachlauf und auf eine grosse Wiese. Die Grundrisse folgen einem einfachen, logischen Schema: Der fliessende Wohn-Essraum wird seitlich von den Schlafzimmern flankiert, die sich dank Schiebetüren je nach Bedarf mehr oder weniger zum Wohnbereich öffnen lassen. Müssig zu bemerken, dass die grossen Bäder mit ihren sanitären Apparaturen IV-tauglich und alle Räume rollstuhlgängig sind. Möglichst naturbelassene und robuste Materialien passen zum Gesamtkonzept: lasierte Betondecken, mineralische Verputze und Fliessbeläge sowie sandfarbene Anhydritböden, die umweltfreundlich und pflegeleicht sind.
Es wird interessant sein, den Teupelacker in ein, zwei Jahren erneut zu besuchen und nachzusehen, wie sich die Gemeinschaft rund um das Hufeisen entwickelt hat. Die architektonischen Voraussetzungen für ein gelungenes Miteinander sind gut. Und wenn das Hufeisen ein Omen ist, wird es hoffentlich das letzte Quäntchen zum Glück beitragen.
Modellfoto (© Antoniol+Huber+Partner Architekten)
Situationsplan von Chaves Biedermann, dem Landschaftsarchitekten des Projekts (© Chaves Biedermann, Antoniol+Huber+Partner Architekten)
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