Pia und Artemis Truffer: «Wir wollten nicht etwas wiederholen, das es schon gibt – deshalb hat uns dieser Entwurf am meisten entsprochen»
Daniela Meyer
2. de març 2023
Der gebaute Beweis, dass man mit einem schweren Material ein leichtes Erscheinungsbild erzeugen kann, steht im Bergdorf Vals. (Foto: © naaro)
Das Geschäftshaus der Firma Truffer hat bei der Wahl zum «Bau des Jahres» den zweiten Platz erreicht. Die Bauherrinnen Pia und Artemis Truffer erzählen, was die Leute an dem Bau fasziniert, und geben einen Einblick in die Zusammenarbeit mit Kengo Kuma & Associates.
Waren Sie überrascht, dass es das Haus Balma bei der Publikumswahl aufs Podest geschafft hat?
Pia Truffer: Wir wagten zu hoffen, dass dieses Haus viele Stimmen kriegen wird, denn es hat ein sehr grosses Interesse geweckt. Ich wohne gerade gegenüber und kann täglich beobachten, wie Leute stehen bleiben, um Bilder davon zu machen. Uns erreichen viele Anfragen für Führungen, von ganz unterschiedlichen Gruppen: Architekturbüros, Design-Interessierte, Turnvereine, Geologie-Exkursionen, Firmenjubiläen oder Wandergruppen.
Welche Aspekte sind es, die das Interesse der Besucherinnen und Besucher wecken?
Pia Truffer: Wenn ich den Leuten zuhöre, die nicht dem Fachpublikum angehören, dann sind sie häufig überrascht, dass man so ein modernes Haus bauen kann, das gleichzeitig in die Landschaft passt und mit den alten Häusern rundherum harmoniert. Zudem interessiert sie die Materialisierung. Sie sind fasziniert, dass man mit einheimischen Materialien und traditionellen Elementen wie den Steindächern ganz ausgefallene Architektur machen kann.
Artemis Truffer: Wir erhalten auch Anfragen von externen Firmen, die einen besonderen Sitzungsraum suchen, oder von Kulturschaffenden, die hier eine Veranstaltung durchführen möchten. Inzwischen hat sich gezeigt, dass dieses Haus ein Ort ist, der sehr vieles möglich macht. In erster Linie ist es natürlich unser Geschäftshaus, hier befinden sich unsere Büros. Doch mittlerweile fanden hier auch Konzerte und Tanzaufführungen im «Sunken Garden» im Untergeschoss statt. Eine solche Anforderung hatten wir nie an das Programm gestellt, das hat sich so ergeben.
Im «Sunken Garden» fanden auch schon Konzerte und Tanzaufführungen statt. Der Raum soll über eine überraschend gute Akustik verfügen. (Foto: © naaro)
Wie lautete die Aufgabe, die Sie dem Architekturbüro stellten?
Artemis Truffer: Wir liessen Kengo Kuma und seinem Team recht viel Spielraum. Gegeben waren die Parzelle und das Budget. Zudem wünschten wir, dass der Valser Quarzit, den wir hier abbauen und verarbeiten, bei unserem neuen Geschäftshaus eine Hauptrolle spielen wird. Aber wir waren offen für vieles. Wir wollten uns nicht allzu sehr einmischen in Design und Ausführung, denn nur so kommen interessante Entwürfe zustande.
Glich die erste Entwurfsidee bereits dem fertigen Objekt?
Pia Truffer: Am Anfang präsentierte uns der Architekt vier unterschiedliche Entwürfe und Modelle. In unserer Familie lösten diese eine angeregte Diskussion aus. Am Ende stimmten wir ab und haben uns für eine Variante entschieden. Es war diejenige, die von der Form her dem Endresultat bereits nahekam. Aber die Gestaltung war anfänglich eine andere, und es folgte ein sehr langer Prozess, bis tatsächlich etwas entstand, das einerseits zu unseren Vorstellungen und gleichzeitig in unser Budget passte. Wir haben Kengo Kuma & Associates vor zehn Jahren kontaktiert. Der dreijährigen Bauzeit gingen sieben Jahre Planung voraus.
In die Erstellung des neuen Geschäftshauses war die ganze Familie involviert. Links Pia Truffer und rechts ihre Tochter Artemis Truffer, die hier über den Planungsprozess sprechen. (Fotos: © Truffer AG)
Was waren die Gründe für den langen Planungsprozess?
Artemis Truffer: Der Steinvorhang, der das Haus umgibt, tauchte schon auf den ersten Renderings auf. Darauf sah die Fassade stets sehr schön und filigran aus; die Steine schienen wirklich zu schweben. Die Umsetzung dieses Bildes hat uns sehr gefordert. Aber auch an anderen Stellen lag Kengo Kuma eine filigrane Ausführung sehr am Herzen. Die Summe aller Details, die stimmen mussten, führte zu dieser langen Planungszeit.
Pia Truffer: Aufgrund der Statik war auch der Ingenieur sehr gefordert. Die Vordächer, die sich rund ums Gebäude ziehen und mit traditionellen Steinplatten eingedeckt sind, wiegen etwa 300 Kilogramm pro Quadratmeter. Diese Dächer kragen nicht nur aus, daran mussten auch die mit je 500 Kilogramm vorgespannten Kabel für den Steinvorhang befestigt werden. Weiter gibt es in der Fassade grosse, unregelmässig platzierte Fenster.
Trotz diesen Herausforderungen hielten Sie an dem vom Architekten entworfenen Bild fest. War es die Idee, die schweren Steine zum Fliegen zu bringen, die Sie fasziniert hat?
Artemis Truffer: Ja, dieses Bild stand bestimmt im Zentrum und löste eine Faszination aus. Wir wollten mit unserem Geschäftshaus verschiedene Anwendungen unseres Steins zeigen, wenn möglich auch neue. Wir wollten nicht etwas wiederholen, das es schon gibt – deshalb hat uns dieser Entwurf am meisten entsprochen.
Pia Truffer: Dieser Gegensatz – der leichte Vorhang in Kombination mit den schweren Steinplatten-Dächern – ist etwas Spezielles. Auch etwas, das polarisiert. Im Normalfall führt der Stein zu einer massiven Bauweise, doch hier haben wir das absolut Konträre.
Während der filigrane Steinvorhang in der Fachwelt polarisiert, fasziniert er täglich zahlreiche Besucherinnen und Besucher. (Foto: © naaro)
Die möglichst unsichtbare Befestigung der Stein- und Holzpaneele stellte alle Beteiligten vor grosse Herausforderungen. (Foto: © naaro)
Gab es auch Momente, in denen Sie den grossen technischen Aufwand für die Umsetzung dieses Bildes infrage stellten?
Artemis Truffer: Aufgrund der Anforderungen an die Statik entstanden durchaus Diskussionen über die Realisierbarkeit des Projekts. Dennoch war die technische Machbarkeit weniger ein Thema als die ästhetische. Als wir die ersten Muster anfertigten, wirkten diese alles andere als leicht – sie glichen eher einer Lawinenverbauung. Wir versuchten unter anderem, die Paneele oben und unten mit Klammern zu fixieren, doch das wirkte sehr nervös. So schlossen wir viele Varianten aus. An der Technik zweifelten wir weniger, da sich die beteiligten Firmen sehr fachkundig und innovativ zeigten.
Pia Truffer: Die Entwicklung der Klemmen zusammen mit der Produktionsfirma war für die Architekten ein Highlight. Denn das international tätige Büro macht nicht immer die Erfahrung, dass das gebaute Resultat dem entspricht, was anfänglich die Idee war. Letztendlich gelang uns die Herstellung einer Klemme, die in unterschiedlichen Winkeln in den Stein- und Holzpaneelen bündig versenkt werden kann. So sind die Halterungen kaum sichtbar.
Grossformatige, gespaltene Steinplatten kleiden das Treppenhaus ein. Obwohl die Montage der schweren Platten nicht einfach ist, stossen sie bei manchen Kundinnen und Kunden auf Interesse. (Foto: © naaro)
Können Sie sich vorstellen, dass der Steinvorhang zukünftig auch bei anderen Objekten Anwendung finden wird?
Pia Truffer: Hätten wir mit unserem Geschäftshaus Anwendungen zeigen wollen, die sich einfach verkaufen lassen, wäre dieses Projekt der falsche Ansatz gewesen. Aber das war nicht unsere Idee. Wir wollten von einem Architekten ein Gebäude für diese Umgebung entwerfen lassen, unabhängig davon, ob wir damit weitere Aufträge generieren oder nicht. Bis jetzt haben andere Installationen im Haus mehr Interesse an einer Anwendung geweckt, wie zum Beispiel die grossen gespaltenen Platten beim Treppenhaus. Das ist auch machbar, aber der Steinvorhang war bis jetzt kein Thema für eine Nachahmung.