Die Schattenseite der Fotografie
Nadia Bendinelli
28. de setembre 2023
Richard Nielsen (links), Tristan Duke (rechts) und Lauren Bon (nicht im Bild), Metabolic Studio, «Unearth lakebed developed prints from the Owens lakebed», Owens Lake, USA, 2013 (© Metabolic Studio LLC)
In immer mehr Disziplinen wird nach den ökologischen Folgen der eigenen Arbeit gefragt – auch in der Fotografie. Die Schau «Mining Photography. Der ökologische Fussabdruck der Bildproduktion» deckt nun Hintergründe auf, die zuweilen überraschen und oft verstören.
Die aktuelle Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur dürfte bei vielen Bauchschmerzen hinterlassen. Das ist aber kein Grund, sie zu verpassen – ganz im Gegenteil: Nur wer Bescheid weiss, kann die richtigen Entscheidungen treffen und verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen. Sehr interessant ist die Schau obendrein.
Die Fotografie ist und war schon immer dazu da, Ereignisse zu dokumentieren. Dazu gehört auch, die Konsequenzen der Ausbeutung von Bodenschätzen zu zeigen. Dass die Disziplin allerdings selbst für eben jene mitverantwortlich ist und in welch grossem Ausmass, ist vermutlich weniger bekannt. Um das zu ändern, hat das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) in Kooperation mit dem Gewerbemuseum Winterthur und dem Kunst Haus Wien eine Ausstellung konzipiert, die auf den Untersuchungen vieler Akteure basiert. Die Bandbreite reicht dabei von den Forschungsarbeiten verschiedener Kunstschaffender bis hin zu historischen Objekten. Die Zusammenhänge zwischen Fotografie und Rohstoffverbrauch werden somit nicht nur wissenschaftlich erläutert, sie erhalten auch eine visuelle Darstellung und Interpretation.
Anaïs Tondeur, «Fair Isle Lighthouse, Carbon Black», 2017 (© Anaïs Tondeur)
Rohpapierlager der AGFA AG, Leverkusen, 1956 (Foto: Unbekannt, © Archiv Museum Ludwig, Köln)
Die Schau entfaltet sich über fünf Bereiche, die jeweils einen Rohstoff oder eine Kombination aus Rohstoffen thematisieren: Kupfer und Gold für die Daguerreotypie, Kohl und Bitumen als Pigmente, Silber als Schlüsselelement, Papier und seine Beschichtung mit Gelatine und zum Schluss die digitale Fotografie, die ganz und gar nicht frei von fragwürdigem Ressourcenverbrauch ist. Anhand von Fallbeispielen werden Zusammenhänge erläutert und charakteristische Merkmale hervorgehoben.
Wie alle Teile der Schau ist auch das Kapitel «Papier und Gelatine» faszinierend und erschreckend zugleich. Dabei gibt es nicht nur Aufwühlendes, sondern auch leichte Kost, die zum Staunen einlädt: Das Künstlerpaar François und Daniel Cartier aus Biel hat abgelaufene und unentwickelte Fotopapiere aus den 1890er- bis 2000er-Jahren an die Wand gehängt – weiss, wie sie aus der Packung kommen. Mit dem Verstreichen des Verfallsdatums verliert das Medium an Lichtempfindlichkeit, ohne sie aber gänzlich einzubüssen. Langsam nimmt das aufgehängte Papier Licht auf und färbt sich in unterschiedlichen Tönen – abhängig von der chemischen Mischung des Herstellers. François und Daniel Cartier untersuchten so das Potenzial des Mediums in einer maximal reduzierten Form.
Doch so erfrischend diese Arbeit ist, die dunkle Seite der Papierproduktion ist tieftraurig. Im 19. Jahrhundert wurde Fotopapier – genau wie herkömmliches Papier übrigens – aus Lumpen erzeugt. Die Produktion stand also indirekt in Verbindung mit der Sklavenarbeit, denn die meiste Baumwolle stammte aus den Vereinigten Staaten. Im 20. Jahrhundert ersetzte die Zellulose aus Holzschliff die Lumpenerzeugnisse. Doch das neue Verfahren trug aufgrund der eingesetzten giftigen Chemikalien zur Verschmutzung der Gewässer bei.
Nimmt man die Fotopapierbeschichtung unter die Lupe, sieht es nicht besser aus: Ein Teil der verwendeten Stoffe stammt aus der Massentierhaltung und wird von Schlachthöfen bezogen. Der Verbrauch an Albumin und Gelatine spricht für sich: 6 Millionen Eier pro Jahr soll ein Papierproduzent aus Dresden Ende des 19. Jahrhunderts verbraucht haben. Und Kodak verarbeitete noch bis vor wenigen Jahrzehnten 30'000 Tonnen Rinderknochen jährlich. Die Realität zweier Pariser Grossschlachthöfe wurde von der berühmten Fotografin Madame d’Ora (1881–1963) in einer Serie dokumentiert, die zwischen 1949 und 1953 entstand. Einige Aufnahmen dieser Arbeit sind in Winterthur zu sehen. Die kolossale Nachfrage aus der Fotoindustrie trug neben dem schier unstillbaren Hunger der Bevölkerung nach (billigem) Fleisch mit zur Industrialisierung der Schlachthöfe und vor allem zur massenhaften Haltung von Rindern bei, was wiederum die CO2-Emissionen exponentiell steigen liess.
Ignacio Acosta, «Refurbished computers at Computer Aid International awaiting dispatch – 41'536 of these of have been sent to Chile.» London, 2015, aus der Serie «Copper Geographies», 2012–2016 (© Ignacio Acosta)
Jeder der fünf Bereiche birgt Überraschungen und bringt lehrreiche Erkenntnisse mit sich. Vielleicht ist selbst für ausgewiesene Spezialisten in Sachen Fotografie noch Neues dabei, denn das Thema ist äusserst komplex und vielschichtig. Neben den Exponaten zeigen fünf Videos interessante Interviews mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen: Es sprechen eine Mineralogin, eine Restauratorin, ein Biologe, ein Chemiker, eine Kunsthistorikerin und eine Aktivistin.
Man benötigt etwas Zeit, um die vielen Informationen aufzunehmen und zu verknüpfen. Natürlich sollte man keine Ausstellung im Schnelldurchlauf konsumieren, doch diese auf wirklich gar keinen Fall. Zwar ist die Frage nach dem ökologischen Fussabdruck nur auf die Fotografie gemünzt, doch sie kann auf andere Disziplinen übertragen werden. Mittlerweile beschäftigen sich zahlreiche Branchen mit den Auswirkungen ihrer Arbeit und Produkte auf die Umwelt. Die Motive sind dabei vielschichtig. Manche Fachleute wollen aus Überzeugung an einer besseren Zukunft arbeiten. Andere sehen sich durch die Politik oder ein allmählich wachsendes Umweltbewusstsein der Konsumenten dazu gezwungen. Leider gibt es hierzulande jedoch noch immer genügend Menschen, die Klimawandel und Umweltzerstörung grundsätzlich leugnen oder behaupten, die kleine Schweiz könne ohnehin keinen Unterschied machen, «die anderen» sollten also zuerst etwas ändern. Wie dem auch sei: Wer die Ausstellung «Mining Photography. Der ökologische Fussabdruck der Bildproduktion» besucht, lernt die negativen Auswirkungen der Fotografie auf die Umwelt kennen und kann eigene Schlüsse ziehen.
Die Schau im Gewerbemuseum Winterthur (Kirchplatz 14, 8400 Winterthur) bleibt bis zum 21. Januar 2024 geöffnet. Mehr Informationen