Alexander Rotsch: «Mies van der Rohe hätte es bestimmt genauso gemacht»

Manuel Pestalozzi
12. 五月 2021
Foto: Simon Menges
Die Neue Nationalgalerie wurde von David Chipperfield und seinem Team saniert. Alexander Schwarz und Martin Reichert leiteten das Projekt. Über 35 000 Bauteile mussten demontiert und später wieder zusammengesetzt werden. Ziel war, dass die Instandsetzung maximal zurückhaltend ausfällt und das bedeutende Baudenkmal in keiner Weise kompromittiert. Unser Berliner Autor Ulf Meyer hat sich angesehen, ob dies gelungen ist.
Foto: Simon Menges

«Mies van der Rohe hätte es bestimmt genauso gemacht» – das sagt Alexander Rotsch, Leiter der Lichtplanung beim Planungs- und Beratungsbüro Arup, über die Instandsetzung der Neuen Nationalgalerie in Berlin, einem der wichtigsten Baudenkmäler in der deutschen Kapitale. Was zunächst nach einem weit über Gebühr selbstbewussten Statement klingt, beruht in Wahrheit auf einer geduldigen Recherche. «Anhand von bauzeitlichem Fotomaterial sowie originalen Planungsunterlagen, Detailzeichnungen, Gesprächsnotizen und Bemusterungsprotokollen, die uns vom Archiv des Museum of Modern Art in New York zur Verfügung gestellt wurden, konnten wir auf bauhistorische Spurensuche gehen und detaillierte Einblicke in Mies van der Rohes ursprüngliches Lichtkonzept der Neuen Nationalgalerie erhalten», erklärt Rotsch im Gespräch und fährt fort: «Zudem hatten wir mehrmals die wunderbare Gelegenheit, mit Dirk Lohan zu sprechen, dem Enkel von Mies van der Rohe, der als junger Architekt am Entwurf und der Ausführung der Neuen Nationalgalerie mitgewirkt hatte. Das alles hat uns geholfen, ein tiefes Verständnis für die Aufgabe zu entwickeln.»

Auch der Blick in die Biographie des Jahrhundertarchitekten lieferte wertvolle Hinweise. «Mies van der Rohe beschäftigte sich damals intensiv mit den Wechselwirkungen von Licht und Raum», erklärt Rotsch. «Er liess sich dabei vom amerikanischen Lichtdesigner Richard Kelly inspirieren. Mit ihm hatte er gemeinsam am Seagram Building in New York gearbeitet. Kelly, ein Pionier der qualitativen Lichtplanung, unterschied in seiner Philosophie zwischen drei Qualitäten der Beleuchtung – ‹ambient luminescence›, das Licht zum Sehen, ‹focal glow›, das Licht zum Hinsehen und ‹play of brilliants›, das Licht zum Ansehen. Daraus entwickelte Kelly eine wegweisende Theorie der Architekturbeleuchtung, die auf Erkenntnissen aus der Wahrnehmungspsychologie und Bühnenbeleuchtung basiert und die Bedürfnisse des Menschen berücksichtigt. Den Ansatz des szenografisch eingesetzten Lichts griff Mies van der Rohe für die Neue Nationalgalerie auf.»

Foto: Simon Menges

Mies’ Lichtkonzept sieht vor, dass 784 entblendete Downlights in den 196 Kassettenfeldern der Dachkonstruktion für die allgemeine Ausleuchtung sorgen. Sie erzeugen bei Dunkelheit das unverkennbare, sich in der Verglasung spiegelnde Deckenbild. Charakteristisch für das Untergeschoss sind die engen Reihen von 1350 deckenintegrierten Wandflutern, sogenannten Wallwashern. Sie sind bündig in die Decke eingebaut und ermöglichen, die weissen Ausstellungswände in nahezu gleichmässiges Licht zu tauchen. Der fliessende Raum der Neuen Nationalgalerie wird durch die flächig beleuchteten, frei angeordneten Wandscheiben betont. 

Da der Architekt grossen Wert auf ein weiches Auslaufen des Lichts am Übergang zur Decke legte, wurden die Strukturglaslinsen der Wallwasher mit einer Teilsatinierung versehen. Besonders fortschrittlich war auch der modular konzipierte Deckenspiegel im Untergeschoss. Die Leuchtenanordnung ist auf das Raster aus 60 auf 60 Zentimeter grossen, auswechselbaren Deckenplatten bezogen. Damit sollte eine flexible Anpassung der Beleuchtung auf die jeweilige Ausstellung ermöglicht werden.

Foto: Simon Menges

Die grösste Herausforderung bei der Instandsetzung bestand darin, unter Berücksichtigung des ursprünglichen Beleuchtungskonzepts eine Lösung zu finden, welche die kuratorischen, konservatorischen, funktionalen, technischen und wirtschaftlichen Anforderungen an ein zeitgemässes Museum erfüllt und gleichzeitig den hohen denkmalpflegerischen und architektonischen Ansprüchen gerecht wird. «Dabei sollte unsere Arbeit möglichst unsichtbar bleiben», erinnert sich Alexander Rotsch an die Bedingungen, unter denen sein Team das Konzept entwickelte. Die rund 2400 Bestandsleuchten mussten behutsam restauriert und in ihrer Position im Deckenspiegel erhalten bleiben. «Das Lichtbild der bauzeitlichen Leuchten im Raum und auf den Wänden», sagt der Lichtplaner, «war ebenso wie die Leuchten selbst schützenswert.»

«Es war eine herausfordernde Aufgabe, die ursprünglich für verschiedene Glühlampentypen der 1960er-Jahre entworfenen Leuchtengehäuse und optischen Komponenten unter Verwendung neuester und für die museale Nutzung geeigneter Lichttechnik so umzurüsten, dass die bauzeitliche Lichtverteilung beibehalten werden konnte, ohne das denkmalgeschützte Erscheinungsbild zu verändern», resümiert Rotsch.

Foto: Simon Menges

Ein besonders heikles Thema war das Licht, das von heutigen LED erzeugt wird. «Das Spannungsfeld zwischen denkmalpflegerischer Zielstellung und kuratorischen Ansprüchen zeigte sich besonders beim Thema der Lichtfarbe», so Rotsch, «die bauzeitlich verwendeten Glühlampen waren warmtonig, sie hatten eine Lichtfarbe von ungefähr 2700 Kelvin. Es wäre durchaus möglich gewesen, dies in LED-Technik umzusetzen. Da sich die Sehgewohnheiten innerhalb von 50 Jahren aber geändert haben, entschieden sich die Museumsvertreter nach intensiver Diskussion und Bemusterung für eine etwas frischer wirkende Lichtfarbe mit einer Farbtemperatur von 3000 Kelvin.»

Die Option für mehr «Frische» liess sich mit dem Bedürfnis einer grösseren Nachhaltigkeit und Energieeffizienz im Betrieb gut in Einklang bringen. «Die neue Lichttechnik in der Neuen Nationalgalerie ermöglicht trotz höherer Beleuchtungsniveaus Energieeinsparungen von mehr als 80 Prozent im Vergleich zur ursprünglichen Beleuchtung», freut sich Alexander Rotsch. «Neben der Verwendung effizienter und museumstauglicher LED-Technik haben wir die umgerüsteten Leuchten so entworfen, dass die einzelnen nachgerüsteten Komponenten zu Reparatur- und Revisionszwecken möglichst einfach austauschbar sind.»

Wie alle Beiträge in der Rubrik Praxis wurde dieser Artikel von German-Architects übernommen.

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