Lernort, Wohnzimmer, Treffpunkt – Stirling-Preis für das Town House der Kingston University

Elias Baumgarten
15. 十月 2021
Foto: Ed Reeve

Treffpunkt, Kunstraum, Ausbildungsstätte, Übungsfläche, Bibliothek, Café – nur wenige Gebäude können Multitasking so wie das Town House der Kingston University in London. 2013 aus einem Wettbewerb hervorgegangen, wurde das Gebäude voriges Jahr fertig. Nun hat es das Royal Institute of British Architects mit dem Stirling-Preis ausgezeichnet, einem der wichtigsten Architekturpreise Grossbritanniens. Entworfen hat das Town House das Team von Grafton Architects um Yvonne Farrell und Shelley McNamara, die Pritzker-Preisträgerinnen von 2020.

«Kingston University Town House is a theatre of life – a warehouse of ideas. It seamlessly brings together student and town communities, creating a progressive new model of higher education.»

Lord Norman Foster

Foto: Dennis Gilbert
Foto: Alice Clancy
«We imagined a place where students would feel at home. This building is about people, interaction, light, possibilities. It is about connecting to the community, the passer-by, an invitation to cross the threshold.»

Grafton Architects

Aufgebrochene Struktur, demokratische Räume, Vertrautheit

Ähnlich wie der räumlich überaus reiche UTEC-Campus in Lima, bei dem Unterrichtsräume, Hörsäle, Labors und Büros, aber auch ein Theater und verschiedene Ausstellungsflächen geradezu spielerisch übereinander gestapelt sind, bringt auch das Town House die Haltung der Architektinnen in gebauter Form auf den Punkt. Wie das Gebäude in Perus Hauptstadt ist auch jenes in London ein Begegnungsort. Studierende verschiedener Fachrichtungen sollen hier zusammenkommen, aber auch der Austausch zwischen der Hochschulgemeinschaft und der übrigen Bevölkerung Londons soll stimuliert werden. Yvonne Farrell und Shelley McNamara spannen einen demokratischen Raum auf. Keinesfalls soll die Hochschule für sie ein elitärer, abgekapselter Ort sein. 

Doch wie wurde das architektonisch umgesetzt? Die Räumlichkeiten wurden um die Treppenanlage herum entworfen. Es gibt vielfältige Blickbeziehungen, die zum Beispiel die Übungsräume der Tänzer*innen und die Bibliothek verknüpfen. Zudem wurden zahlreiche Begegnungsräume gestaltet, die immer wieder neu angeeignet werden können. Neben Tanzstudios, Unterrichtsräumen und Arbeitsplätzen für die Studierenden gibt es auch ein gemütliches Café, Ausstellungsflächen und sogar ein Theater. Das Gebäude soll weit mehr sein als ein Lernort: Studierende und Lehrer*innen sollen sich dort, wie der Name schon sagt, zu Hause fühlen.

Foto: Alice Clancy
Ein Haus als Einladung

Für die Verbindung mit der Stadt sorgt unter anderem die Eingangsfassade, durch die Passant*innen ins Treppenhaus und die umliegenden Räume blicken können. Sie sehen die Studierenden beim Lernen und Lesen, beim Üben neuer Cho­reo­gra­fie oder auch beim Schwatz mit dem Kaffeebecher in der Hand. Dadurch soll sich die Bevölkerung eingeladen fühlen, das Town House zu betreten und mitzubenutzen. Obwohl der Betonbau mit seinen vielfältig verknüpften Räumen und seiner aufgebrochenen Struktur innovativ ist, wirkt er ästhetisch dennoch vertraut. Das Town House weckt je nach Standort und Perspektive Erinnerungen an den Brutalismus und die Architektur der Moderne. Und nicht nur auf der konzeptionellen Ebene, sondern auch formal sind Gemeinsamkeiten mit anderen Grafton-Bauten offensichtlich.

Unterdessen sind Yvonne Farrell und Shelley McNamara nicht allein mit ihrem Wunsch, Stadt und Hochschule eng miteinander zu verknüpfen. Derselben Haltung entspringt zum Beispiel die Gestaltung der École Nationale Supérieure d’Architecture im französischen Nantes von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, den heurigen Gewinnern des Pritzker-Preises. Die Stockwerke dieser weitläufigen Betonstruktur sind durch breite Rampen miteinander verbunden. Es gibt grosse Räume ohne festgelegtes Programm. Und tatsächlich: Neben Vorträgen, Ausstellungen und Performances fanden dort sogar schon Zirkusvorstellungen statt.

Foto: Dennis Gilbert
Foto: Ed Reeve

Im letzten Jahr wurde der Stirling-Preis, den es seit 1996 gibt, nicht verliehen. Denn weil nicht Einzelpersonen oder Büros, sondern Bauten ausgezeichnet werden, muss die Jury durch Grossbritannien touren und Besichtigungen machen. Das war im ersten Pandemie-Jahr nicht möglich. Das Town House folgt somit auf das Hauptquartier von Bloomberg (Foster + Partners) und die energieeffiziente Wohnsiedlung an der Goldsmith Street (Mikhail Riches mit Cathy Hawley). Auf der diesjährigen Shortlist war übrigens auch ein Projekt, das mit Beteiligung aus der Schweiz zustande kam: die neue Moschee von Cambridge (Marks Barfield Architects). Ihr frei geformtes Tragwerk mit baumartigen Stützen aus Holz wurde von Blumer Lehmann mitgestaltet und umgesetzt.

Foto: Ed Reeve

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