Der Bau des Jahres 2016
Juho Nyberg, Inge Beckel, Jenny Keller, Manuel Pestalozzi
9. 二月 2017
Bild: Hertha Hurnaus
Was zeichnet den Bau des Jahres 2016 – das Schwimmbad Allmendli in Erlenbach von Illiz-Architektur – aus? Und was unsere Rubrik Bau der Woche? Einige Überlegungen von der Redaktion.
Der Bau des Jahres ist ein Publikumspreis. Als solcher ein wenig unberechenbar, auch etwas beliebig, denn das Spektrum der 50 als Bau der Woche präsentierten Projekte ist bewusst breit gewählt, was wiederum den Vergleich erschwert. Für das Jahr 2016 gingen die meisten Stimmen an das Schwimmbad Allmendli in Erlenbach. Eine kleine Bauaufgabe, die sich durch einen geschickten Umgang mit dem Vorhandenen auszeichnet. Geplant war, das Schulschwimmbad komplett im Bestand – einer ehemaligen unterirdischen Truppenunterkunft der Armee – unterzubringen. Doch das Team Illiz Architektur, Zürich und Wien, und Pöyry Schweiz konnte die Gemeinde Erlenbach beim selektiven Vergabeverfahren 2012 davon überzeugen, das Schulschwimmbad nicht einzugraben, sondern die Schwimmhalle als Pavillon auf den Bestand zu setzen, sodass nun mit Blick auf den Zürichsee geschwommen werden kann.
Der Wasserspiegel befindet sich also auf dem Niveau des angrenzenden Sportplatzes, während der Eingang zum Bad, die Umkleidekabinen sowie die technischen Räume ein Niveau tiefer angesiedelt sind. An der Südostecke markiert eine geschosshohe Glasfassade den Eingang, während zwei neu betonierte Stützwände im Neunzig-Grad-Winkel das einstige, deutlich kleinere Zugangsportal zur Truppenunterkunft ersetzen und den Vorplatz sowie den Eingangsbereich räumlich fassen.
Im Innern geht es direkt und pragmatisch weiter: geflieste Oberflächen bereits im Eingangsbereich machen einen Materialwechsel überflüssig, und nach einem kleinen Windfang biegt man rechts in den Vorraum der nach Geschlechtern getrennten Garderoben ab. Ein Empfang oder eine Kasse sind nicht nötig, es handelt sich um ein nicht-öffentliches Schwimmbad. Die grosse Kaverne, in der heute der Garderobentrakt untergebracht ist, war früher die Einstellhalle für Fahrzeuge und hatte Rohbaucharakter. Der Beton des Bestands wurde hydrophobisch beschichtet, zur Verhinderung der Korrosion wegen der hohen Luftfeuchtigkeit, die in einem Schwimmbad herrscht. Der Fussabdruck der bestehenden unterirdischen Anlage ist drei- bis viermal so gross wie die heutige Nutzung, so sind die Räumlichkeiten hinter dem Hubbecken noch un- oder zwischengenutzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt umgebaut. Nach den Umkleiden führt ein schmaler Flur zu einer einläufigen Treppe, die in die Schwimmhalle und ans Tageslicht führt.
Bild: Hertha Hurnaus
Bild: Hertha Hurnaus
Das Schwimmbecken, das mit einer Grösse von 16,66 Meter auf 8 Meter einem Drittel eines olympischen Beckens entspricht, ist relativ klein. So auch der Pavillon, doch die Decke über der Schwimmhalle verleiht dem Zweckbau oder der Alltagsarchitektur eine neue Wertigkeit und gleichzeitig eine Massivität, die an den Bestand anlehnt, und macht die Tektonik auf höchst ästhetische Weise sichtbar: Der Innenraum wird von einer Betonkassettendecke mit quadratischen Feldern überspannt. Die Rippen dieser Decke ruhen am Gebäuderand auf vorgefertigten Betonstützen, die in das ebenmässige Raster der nach Süden und Westen verglasten Fassade eingegliedert sind. Trotz der Kargheit des Materials verleiht die ebenmässig kassettierte Decke dem Raum einen besonderen Ausdruck. Der Schwere des Betons wirken auch die mit Liebe zum Detail gestalteten Gebäudeecken entgegen: Als Glasecken ohne störende Profile ausformuliert, überspielen sie die tatsächlichen Ecken geschickt, die beiden Fassadenflächen gehen sanft ineinander über, trotz der orthagonalen Anordnung. Der Pavillon besticht durch ausgewogene Proportionen, die ihm eine gewisse Feierlichkeit geben. Dennoch wirkt er zweckmässig.
Die Umgebung, in der sich das Schwimmbad Allmendli befindet, ist keine Augenweide und für die Situation (auf einer Anhöhe mit Blick auf den See gelegen) paradigmatisch: Einfamilienhäuser in unterschiedlichster Grösse und Qualität orientieren sich zum See hin und negieren bewusst ihre eigentliche Umgebung. Auch der Pavillon ist in Richtung Norden und Osten, wo die Aussicht weniger besticht, mit einem einfachen Trapezblech verkleidet. Für die Architektinnen zählte vor allem der Schulcampus mit seinen verschiedenen Bauten. Hier soll die Schwimmhalle neben dem Sportplatz einen Abschluss bilden, ohne eine Sonderstellung einzunehmen. Um die Umgebung aufzuwerten, haben sie nach eigenen Aussagen einen grosszügigen Vorplatz angelegt, von der auch für die umgebenden Wohnbauten profitieren soll. Der Bau des Jahres 2016 repräsentiert Schweizerische Baukultur exemplarisch (das Schwimmbad ist «präzis», «konzis» und «sorgfältig» entworfen und gebaut worden). Und er steht auch in einer typisch schweizerischen Umgebung, was man anhand der Publikationsbilder nicht vermuten würde.
Bild: jk
Und so wird den Schreibenden bewusst, dass Architekturpublikationen auch nur einen Ausschnitt der Wahrheit zeigen; Architekten wollen ihr Werk zeigen, und wir geben diesem Bedürfnis den Raum. Natürlich ist die Auswahl der Bauten der Woche kuratiert, wir zeigen Alltagsarchitektur auf gutem Niveau. Damit sorgen wir dafür, dass ein einzelnes Projekt ein Publikum erhält, und in Zeiten, in denen Journalisten ihre Recherchen am Schreibtisch machen (müssen), wird es eventuell auch anderswo erwähnt und abgebildet. Die Rubrik Bau der Woche hat so – seien wir selbstkritisch – also nichts mit Architekturkritik zu tun, denn kritisieren kann man ein Objekt erst, wenn man es vor Ort gesehen und es erfahren hat. Man kann oder sollte als Architekturkritiker nicht über etwas seine Meinung abgeben, das man nur von Bildern her kennt.
Wir leisten es uns, – und schulden es unserer Glaubwürdigkeit – dass auch Projekte von Büros gezeigt werden, die nicht Mitglied bei Swiss-Architects sind. Der Bau der Woche wird so zu einem Werkzeug für ein breites Publikum, um sich mit «guter» Architektur auseinanderzusetzen. Eine weitere Eigenart von Architekturpublikationen und dem Bau der Woche ist es, dass die Objekte dann gezeigt werden, wenn sie fertiggestellt wurden. Alltagsspuren sind noch nicht sichtbar, allfällige Materialmängel noch nicht entstanden und die Bewährung im Alltag und die Aneignung der Nutzerinnen und Nutzer stehen noch aus. Wie der Bau des Jahres 2016 in einigen Jahren aussehen wird, wissen wir nicht. Die Substanz scheint vielversprechend, und Illiz Architektur steht in gutem Kontakt mit der Gemeinde Erlenbach. So werden sie auf eine Rückmeldung der Lehrer beim Schwimmbad einen Blendschutz einbauen müssen, damit der Schwimmunterreicht auch bei Sonnenschein ungestört stattfinden kann. – Und wir werden die vergangenen fünf Bauten des Jahres in Zukunft einem zweiten Realitäts-Check unterziehen, um ein paar Jahre später zu schauen, was nach dem siegreichen Abschneiden aus der prämierten Architektur geworden ist. Denn da hört die Publikation auf und beginnt die Kritik.