«Zoom-Tour» bei «Tsoom-tor»?

Ulf Meyer
18. 二月 2021
Peter Zumthors Neubau hat eine schwungvolle Form. Im Vordergrund ist Renzo Pianos Academy Museum of Motion Pictures zu sehen. (Montage © Atelier Peter Zumthor & Partner / The Boundary)

Der Wilshire Boulevard zieht sich von Ost nach West durch Los Angeles. Er verläuft von Santa Monica am Pazifik über Century City, Koreatown und Downtown bis nach Beverly Hills. Von hohen Palmen flankiert, bis zu zehn Fahrspuren breit und mit dem Theater versehen, in dem alljährlich die Oscars verliehen werden, ist der Boulevard eine kalifornische Verkehrsschneise, wie sie im Buche steht. Seinen prominentesten Abschnitt, die sogenannte Miracle Mile, an dem Kaufhäuser im Stil des Art Deco so entworfen wurden, dass sie im Vorbeifahren bei einer Fahrgeschwindigkeit von fünfzig Meilen pro Stunde ihre beste Wirkung entfalten, hat der britische Architekturhistoriker Reyner Banham (1922–1988) einst als «linear downtown» bezeichnet. Am Wilshire Boulevard ist die Linksabbiegespur erfunden worden. Eines der Kaufhäuser, die ihn einst zur bevorzugten Einkaufsstrasse machten, baut Renzo Piano derzeit zum Oscar-Museum um. Gleich nebenan wächst das Opus magnum und Alterswerk von Peter Zumthor aus dem Boden. Es ist selbst nach Baubeginn noch heiss umstritten. 

Die Abbildung zeigt den Blick zum Resnick-Pavilion hinüber. (Visualisierung © Atelier Peter Zumthor & Partner / The Boundary)

Um den Konflikt zu verstehen, muss man auf den Ebenen der Stadt-Psychologie, der Baugeschichte und der Kunst der musealen Präsentation suchen: Kulturell hat Los Angeles, die zweitgrösste Stadt der Vereinigten Staaten, einen (berechtigten) Minderwertigkeitskomplex gegenüber New York und Chicago. Das grösste Kunstmuseum der Stadt ist das Los Angeles County Museum of Art (LACMA), das – wie in den USA üblich – stark von der Spendenbereitschaft mehr oder weniger kunstsinniger Millionäre abhängig ist. Architektonisch hat das LACMA eine zwar kurze, aber durchaus komplexe und leider auch tragische Geschichte. 

Das LACMA wird das einzige Gebäude sein, das sich über den Wilshire Boulevard schwingt. (Visualisierung © Atelier Peter Zumthor & Partner / The Boundary)

Das LACMA wurde erst 1961 gegründet und bezog 1965 einen Neubau, den das Büro Pereira entworfen hatte. William Pereira (1909–1985) war damals der mit Abstand erfolgreichste Architekt der aufstrebenden Stadt, und sein Büro stiess Bürohochhäuser, Flughäfen, Shopping Malls und Universitäten in einem gemässigt futuristischen Mid-Century-Stil fast schon im Stundentakt aus. Nahezu 400 Gebäude hat Pereira in seinem Leben entworfen. Das LACMA gehört zusammen mit der Transamerica-Pyramide in San Francisco zu seinen bekanntesten. Das Museum bestand aus drei Teilen: dem Ahmanson-, dem Bing- und dem Hammer-Building. Derlei Bau-Konglomerate und ihre Benennungen sind für amerikanische Museen typisch, weil sie, wie eben erwähnt, weitgehend auf reiche Gönner angewiesen sind und sich die Erweiterungsbauten je nach Spendenstand oft wie Jahresringe um die Kerngebäude legen. Die schönen Bassins, die alle Gebäude ursprünglich umgaben und in denen sie sich wirkungsvoll spiegelten, mussten leider schon bald nach der Einweihung des Museums geleert werden – auf dem Gelände drang Erdöl an die Oberfläche und verschmutzte die Becken. Diesen Tar Pits auf dem Grundstück ist heute ein eigenes Museum nebenan gewidmet. Die Fassaden aus Betonfertigteilen indes waren Pereiras Markenzeichen. In den 1980er-Jahren kamen diverse Erweiterungsbauten hinzu, entworfen vom Büro Hardy Holzman Pfeiffer, und der Pavilion for Japanese Art, entworfen von dem exaltierten Architekten Bruce Goff (1904–1982). Der Haupteingang wurde zu einem Vorplatz zwischen Alt- und Neubauten verlegt. In den 1990er-Jahren kaufte das LACMA sogar noch das benachbarte May-Kaufhaus und eröffnete es vier Jahre später als Erweiterungsbau. 

Nach einigem Hin und Her bekam der italienische Architekt Renzo Piano die Aufgabe, das Gestrüpp an Gebäuden neu zu organisieren. Sein Masterplan zur Umgestaltung sah drei Phasen vor. In der ersten wurde ein neuer zentraler Eingangs-Pavillon zum Schlüssel, um die disparaten LACMA-Gebäude endlich räumlich und gestalterisch enger zusammenzubinden. Die Spenden sprudelten, und bald wurde das Broad Museum für zeitgenössische Kunst (BCAM) – ebenfalls von Piano entworfen – gebaut. Später folgte der Resnick-Pavilion mit seinem markanten Sägezahn-Dach. Doch schlussendlich scheiterte das Weiterbauen am Ensemble, und die beiden letztgenannten Gebäude werden zukünftig neben dem Goff-Bau als einzige erhalten bleiben. Im Jahr 2011 entschied sich das LACMA, der benachbarten Academy of Motion Picture Arts and Sciences (bekannt als Erfinder des Oscar-Preises) das May-Kaufhaus zu übergeben, in dem das neue Museum of Motion Pictures von Piano gebaut wird. Noch in diesem Jahr soll die Eröffnung gefeiert werden.

Für den Neubau mussten die Pereira-Gebäude abgerissen werden. (Visualisierung © Atelier Peter Zumthor & Partner / The Boundary)

Ein Grossteil des LACMA-Ensembles wurde inzwischen abgerissen, um Platz für Zumthors Bau zu machen. Nur das Hochhaus gegenüber, «5900 Wilshire» genannt und 1971 von Pereira entworfen, bleibt als Erinnerung an dessen generischen Nachkriegsstil erhalten. Mindestens USD 650 Millionen soll Zumthors schwungvoller, S-förmiger Neubau kosten. Der Entwurf sieht im Erdgeschoss sieben Pavillons mit Nebenräumen wie Läden, einem Auditorium und drei Restaurants vor. Das gesamte Obergeschoss beansprucht die Galerie für die Dauerausstellung. Ingesamt wird der Bau über 26 Ausstellungsräume verfügen, deren blanke Wände an Zumthors Kolumba in Köln erinnern. 

Das LACMA wird Zumthors grösster Museumsbau und zugleich sein erstes Werk in den USA. Als einziges Gebäude entlang des Wilshire Boulevards wird es über die Strasse spannen. Das Obergeschoss wird dabei von den erwähnten sieben Pavillons getragen.

Visualisierung © Atelier Peter Zumthor & Partner / The Boundary

Zumthors LACMA-Entwurf ist das «Baby» von Museumsdirektor Michael Govan, der 2006 aus New York nach Los Angeles kam – mit dem Architekten aus Graubünden im Gepäck. Über Zumthor sagt er bewundernd, er sei der «Architekt, der das Metaphysische mit dem Materiellen verbindet». 

Die tonangebende Lokalzeitung Los Angeles Times schoss sich schon bald gegen den Entwurf ein: Zu gross, zu teuer, zu dunkel sei Zumthors Projekt. Als Amöbe oder Bumerang wurde es verspottet, und tatsächlich änderte Zumthor seine Gestaltung bald zugunsten von sandfarbenen Fassaden. Auch die Gebäudeform wurde angepasst, sodass die Ausstellungsfläche um ein Zehntel kleiner ausfällt. An seiner wichtigsten Idee jedoch hielt Zumthor beharrlich fest: Das ganze Museum ist als offenes Raumkontinuum mit ineinanderfliessenden Räumen organisiert. Durch grosse Glasfassaden wird man ausserdem in den benachbarten Hancock Park blicken können. Die Kuratoren sprangen im Karree, als sie Pläne sahen! Sie befürchten nicht nur zu viel Tageslicht im Haus, sondern auch, dass die Architektur statt zur Vertiefung zu oberflächlichen Streifzügen verführt: gewissermassen zu einer eiligen, touristischen «Zoom-Tour» durch das «Tsoom-tor»-Gebäude. Denn das Museum, das jährlich von einer Million Menschen besucht wird, verfolgt einen enzyklopädischen Ansatz, es sammelt Schätze aus allen Bereichen und Epochen. Die extrem eklektische Kollektion ist, so die bisher vorherrschende Meinung, nur in kleinen Kompartimenten zu geniessen. 

Visualisierung © Atelier Peter Zumthor & Partner / The Boundary
Visualisierung © Atelier Peter Zumthor & Partner / The Boundary

Zumthor hingegen erhofft sich neue «Wechselwirkungen zwischen den Objekten der Sammlung». Die Kuratoren halten das für vorschnell und naiv. Ein Gebäude ohne Hierarchien, wehklagen sie, in dem man überall Kunst ausstellen kann, das keine Kammern und Korridore kennt, würde nur im Einzelfall «Sichtverbindungen schaffen, dank denen Werke neue Bedeutung erlangen», wie es Zumthor verspricht. Doch für den kommt «Qualität nicht von Kompromiss». Er ist bekannt für seine Standhaftigkeit, an der auch schon Projekte gescheitert sind wie beim Bau der Topografie des Terrors in Berlin. Ob sich sein Konzept als Kunstgriff erweist oder scheitert, wird sich nach der Fertigstellung zeigen. Allerdings hängt der Erfolg auch von der Kreativität der Kuratoren ab und von deren Wille zur Ausnutzung des Potenzials der neuen Räumlichkeiten.

Die Eröffnung des LACMA ist für 2024 geplant, gleichzeitig mit der einer neuen U-Bahn-Linie unter dem Wilshire Boulevard. Dann geht die allein autozentrierte Entwicklung der Miracle Mile nicht nur architektonisch, sondern auch verkehrspolitisch in eine neue Ära über.

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