Wohnen im ehemaligen Weinlager in Basel
Industriebrachen blühen auf
Paulina Minet
27. 四月 2023
Foto: © Paulina Minet
Mit der Umnutzung des ehemaligen Coop-Weinlagers in Basel ist Esch Sintzel Architekten gemeinsam mit der Proplaning AG die Transformation eines Industriegebäudes zum sozialen Wohnbau gelungen.
Industriebrachen werfen die Frage nach ihrer Weiternutzung auf: Wie können leerstehende Lagergebäude zu neuem Leben erweckt werden? Das Zürcher Architekturbüro Esch Sintzel gibt mit der Umgestaltung des Coop-Weinlagers in Basel interessante Antworten. Die neutralen, grossen Räume einstiger Lagerhallen bieten ideale Voraussetzungen für Umnutzungen, fordern jedoch auch eine umfassende Analyse des Bestands sowie eine gewisse Flexibilität hinsichtlich gestalterischer und konstruktiver Entscheidungen.
Mit dem Umbau des Weinlagers (2020–2023), das aus dem Jahr 1955 stammt, wurde eines der letzten und wesentlichen Gebäude des Quartiers Lysbüchel Süd fertiggestellt. Der gemeinnützigen Stiftung Habitat als Bauherrin ist es gelungen, nach ihrem Modellprojekt Erlenmatt Ost ein weiteres Areal in Basel zu einem attraktiven Wohnquartier nach dem Prinzip der «Stadt der kurzen Wege» zu entwickeln. Die gesamte Infrastruktur, die für das Wohnen und Leben benötigt wird, ist zu Fuss oder mit dem Velo innert weniger Minuten erreichbar. Der ÖPNV ermöglicht die optimale Anbindung an die bestehenden Stadtstrukturen ringsherum.
Die Lagerhalle wies Pilzstützen aus Beton als prägnante Elemente auf. Sie blieben erhalten und sind charakteristisch für den Entwurf des Wohngebäudes. Sie wurden freigespielt und in ihrer Form erlebbar gemacht. In Kombination mit der Gebäudetiefe haben sie durch ihr Volumen wesentliche Auswirkungen auf die Belichtung der Räume. Des Weiteren führen Unterzüge unterhalb der Decken zu einer punktuellen Reduktion der lichten Raumhöhen von 3,9 auf 2 Meter. Durchgesteckte Wohn-Essbereiche gewährleisten jedoch ausreichend Tageslicht in den mittleren Zonen. Auch Oberlichter über den Zimmertüren tragen entscheidend zur Belichtung bei und ermöglichen so eine freiere Anordnung der Räume.
Die Aufstockung des Gebäudes folgt dem Raster des Altbestands. Nach einem Rückschnitt der Fassade wurden die erwähnten Pilzstützen fassadenseitig durch Stützen aus geschälten Holzstämmen ergänzt.
Die massiven Pilzstützen des Bestands wurden durch neue Stützen aus geschälten Stämmen ergänzt. (Foto: © Esch Sintzel Architekten)
Auch nach dem Umbau prägen die betonierten Pilzstützen die Innenräume wesentlich. (Foto: © Esch Sintzel Architekten)
Die Küchen greifen in Material und Optik die Holzstützen auf. Zudem entsteht durch die Griffe eine Verbindung zur Beleuchtung der «rue intérieure». (Foto: © Paulina Minet)
Leuchten in der «rue intérieure» (Foto: © Paulina Minet)
Die mächtigen Unterzüge erschweren die Belichtung der tiefen Wohnräume. Etwas Abhilfe schaffen zum Beispiel Oberlichter über den Zimmertüren. (Foto: © Paulina Minet )
Die feingliedrige Balkonschicht aus Stahl an der Nord- und Südfassade löst die ursprüngliche Monumentalität des Baukörpers auf und ermöglicht eine bodentiefe Befensterung. Sowohl die Verwendung von Trapezblechen und Stahl als auch die Wahl von «Maschinengrün» als Fassadenfarbe spiegeln die industrielle Vergangenheit des Bauwerkes wider. Weiter macht die Kombination mit dem komplementären Farbton Rot das siebengeschossige Gebäude zum Blickfang des Quartiers. Die Farbberatung übernahm Andrea Burkhard von Archfarbe.
Der von Stauffer Roesch Landschaftsarchitekten geplante parkähnliche Aussenraum öffnet sich zum Innenhof der Nachbarbebauung, schafft Verbindungen und lädt zum Verweilen ein. Gemeinsam mit der Fassadenbegrünung, die entlang von Rankgerüsten wachsen wird, trägt er zur Biodiversität und Hitzeminderung in der Stadt bei.
Die feingliedrige Balkonschicht aus Stahl löst die ursprüngliche Monumentalität des Baus auf. (Foto: © Paulina Minet)
Der Farbton «Maschinengrün» verweist wie auch die Verwendung von Stahlteilen und Trapezblechen auf die industrielle Vergangenheit des Bestandsbaus. (Foto: © Paulina Minet)
Mit 64 Mietwohnungen (1-Zimmer-Studios bis 7,5-Zimmer-Wohnungen) bietet das Gebäude nun Raum für Bewohnende jeden Alters und aller Gesellschaftsschichten mit den unterschiedlichsten Lebensentwürfen. Die in Längsrichtung durchlaufende «rue intérieure» fördert eine belebte Nachbarschaft und erschliessen über vier Treppenkerne nicht nur die Wohnungen, sondern auch gemeinschaftliche Flächen wie die Wasch- und Trockenräume, die als «chambre des amies» bezeichneten Gästezimmer und die Dachterrasse mit Gemeinschaftsraum.
Temporär zumietbare Joker-Zimmer für erwachsene Kinder oder zum Arbeiten sowie sieben schallgedämpfte Musikproberäume im Untergeschoss erweitern das Raumangebot zusätzlich. Am Kopf des Gebäudes befinden sich Gewerberäume und die Café-Bar «Claire».
Die Dachterrasse gehört zu den verschiedenen gemeinschaftlich genutzten Räumen. (Foto: © Esch Sintzel Architekten)
Eine durchdachte Signaletik des Grafikbüros Berrel Gschwind schafft Zugehörigkeit und erleichtert die Orientierung. Vier Farben leiten Bewohnende wie Besuchende von der Eingangshalle durch das Gebäude. Beginnend bei den Briefkästen über die Bodengrafik und die Handläufe der Treppen führen sie zu den farbig adressierten Wohnungen.
Die Liebe zur Gestaltung zeigt sich auch in den innenarchitektonischen Details: Die Farben der Signaletik und der Fassade finden sich in den «Plättli» der Badezimmer wieder. Sie erinnern an die früheren «Plättli» der Pilzstützen, die aufgrund ihrer Diversität und Beschaffenheit nicht erhalten werden konnten. Die Küchen indes greifen in Material und Optik die eingangs erwähnten Holzstützen auf. Und sie stellen mit den Griffen eine Verbindung zur Beleuchtung der «rue intérieure» her.
Eine Farbcodierung wie hier an den Briefkästen erleichtert die Orientierung im Gebäude. (Foto: © Paulina Minet)
Bodengrafik im Eingangsbereich (Foto: © Paulina Minet)
Aus der Innenarchitektur spricht die Liebe der Gestalter zum Detail. (Foto: © Paulina Minet)
Foto: © Paulina Minet
Ein wichtiger Aspekt des Entwurfs war das Ziel eines schonenden Umgangs mit Ressourcen. Dieser Umstand sprach für den Teilerhalt der Tragstruktur. So konnte im Vergleich zur Erstellung eines durchschnittlichen Neubaus 42 Prozent der grauen Energie eingespart werden. Der Zusammenschluss zu einem Energieverbraucher, die Photovoltaikanlage (142 kWp) auf dem Dach und die Nutzung einer Grundwasser-Wärmepumpe ermöglichen, hinsichtlich des Gesamtenergieverbrauchs zu zwei Dritteln autark zu sein. Der Gebäudestandard Minergie P-ECO konnte erfüllt und eine Zertifizierung erreicht werden.
Zwar ist die Belichtung der tiefen Räume schwierig, doch Charme und Identität des Areals konnten erhalten werden. Dem Weinlager wurde tatsächlich neues Leben eingehaucht. Das Projekt kann ein Vorbild sein für den Umgang mit einstigen Lager- und Industriebauten.
Grundriss Erdgeschoss (© Esch Sintzel Architekten)
Grundriss 1. und 2. Obergeschoss (© Esch Sintzel Architekten)
Grundriss 3. Obergeschoss (© Esch Sintzel Architekten)
Grundriss 4. Obergeschoss (© Esch Sintzel Architekten)
Grundriss 5. Obergeschoss (© Esch Sintzel Architekten)
Grundriss 6. Obergeschoss (© Esch Sintzel Architekten)
Längsschnitt (© Esch Sintzel Architekten)
Querschnitt (© Esch Sintzel Architekten)
Ausschnitt Grundriss 1. Obergeschoss (© Esch Sintzel Architekten)
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