Das Haus als Kraftwerk

Elias Baumgarten
12. 十一月 2020
Foto: Ivar Kvaal

Eindrückliche Zahlen zeigen, welch grosse Mitverantwortung unsere Disziplin für den Klimawandel trägt: 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses gehen auf das Konto der Bauindustrie, die zudem für einen grossen Teil des Abfalls verantwortlich ist und die Hälfte aller endlichen Ressourcen verschlingt. Ganz zu schweigen davon, dass der weiterhin hohe Flächenverbrauch für Neubauten die Biodiversität gefährdet und das Artensterben beschleunigt. Um die Klimakatastrophe noch abzuwenden, sind alle gefragt, es bedarf eines tiefgreifenden Wertewandels. Als Architektinnen und Architekten haben wir die Chance, wesentlich zur Verbesserung der Lage beizutragen – so sieht es auch das norwegische Büro Snøhetta. Schon anfangs der 2010er-Jahre begann das Team mit der Entwicklung von Plusenergiehäusern, inzwischen ist das vierte «Powerhouse» fertig. Es steht in der Industriestadt Porsgrunn, 160 Kilometer von Oslo entfernt. Bauherrin des 8403 Quadratmeter grossen Bürogebäudes ist die Firma R8 Property. Es ist so ausgelegt, dass es über seine Lebensspanne (kalkuliert wurden mindestens 60 Jahre) mehr Energie produziert als es verbraucht – inklusive Erstellung, Abriss und der Produktion des verbauten Materials. 256 000 Kilowattstunden Strom werden pro Jahr erzeugt – das Zwanzigfache des Energiebedarfs eines norwegischen Durchschnittshaushalts. Doch wie funktioniert das im Detail?

Das Gebäude verfügt über ein sehr leistungsstarkes Solarkraftwerk. (Foto: Ivar Kvaal)
Foto: Ivar Kvaal
Für die nötige Verschattung sorgen Elemente aus regionalem Holz. (Foto: Ivar Kvaal)

Das Haus in unmittelbarer Nachbarschaft des Industriegebiets Herøya beherbergt neben Büros zahlreiche Co-Working-Arbeitsplätze, diverse Besprechungsräume, ein Restaurant und eine Dachterrasse mit schönem Blick über den Fjord. Auf seinem um 24 Grad geneigten Dach und an der Südostfassade wurde das aktuell effektivste Solarkraftwerk Norwegens installiert. Gleichzeitig wurde der Energiebedarf gegenüber gewöhnlichen Bürobauten in Skandinavien um 70 Prozent reduziert. Dafür wurden beispielsweise die Grundrisse des hochgedämmten Gebäudes so gestaltet, dass signifikant weniger Kunstlicht benötigt wird. Dazu tragen auch Glasschlitze im Dach bei, durch die Licht in die obersten drei Geschosse dringt. Die Innenräume sind stark standardisiert, damit beim Mieterwechsel Abfall möglichst vermieden wird. Fussböden, Glaswände, Trennelemente, Kochnischen und Sanitäranlagen sind einheitlich gestaltet. Sogar ein eigenes Folierungssystem wurde entwickelt, damit bei Austausch von Beschriftungen kein unnötiger Müll entsteht. Zudem setzten die Architekt*innen bei den Materialien auf Dauerhaftigkeit und Recycling: Die Teppichfliesen zum Beispiel bestehen zu 70 Prozent aus ausrangierten Fischernetzen aus der Region, der Parkettboden wurde aus Holzabfällen hergestellt.

Im Haus befindet sich auch ein Restaurant. (Foto: Ivar Kvaal)
Foto: Ivar Kvaal

Das Haus ist als Betonskelettbau konstruiert. Der Beton dient als Speichermasse, Heizung und Kühlung erfolgen passiv über eine Geothermieanlage. Um den Verbrauch des wegen seiner Umweltbilanz problematischen Baustoffs einzuschränken, haben die Architekt*innen gemeinsam mit der Bauherrschaft beschlossen, auf eine Unterkellerung des Gebäudes zu verzichten.

Wir leben in Zeiten des Wandels. Doch die Bauwirtschaft als Ganzes und leider oft auch die Architektur sind noch in einer anderen Zeit verhaftet. Konfrontiert mit grossen Herausforderungen, besteht die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit, unsere Disziplin neu zu erfinden. Einfallsreichtum, Kreativität und Pioniergeist sind gefragt wie selten zuvor. Wichtig ist ausserdem ein offener, qualitätsvoller Diskurs über Projekte und Lösungsansätze. Snøhettas Bau ist ein bemerkenswerter Beitrag, der interessante Ideen in konkreter Umsetzung zeigt, aber auch gesellschaftliche, politische und kulturelle Fragen vergegenwärtigt. Wie und wo werden wir zum Beispiel künftig arbeiten, wenn Bauten so effizient wie möglich genutzt werden sollen? Snøhetta jedenfalls geht davon aus, dass der Bedarf an Co-Working-Arbeitsplätzen deutlich steigen wird. 

Beim Gebäude handelt es sich um einen Betonskelettbau. Das Material dient als Speichermasse. (Foto: Ivar Kvaal)
Foto: Ivar Kvaal
Foto: Ivar Kvaal
Situation
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 8. Obergeschoss
Grundriss 10. Obergeschoss
Schnitt

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