Mythos Wald
Susanna Koeberle
5. maio 2021
Marianne Engel, «Dreieinhalb Pilze», 2018, Holzkasten (dunkel), UV-Röhre, eingefärbtes Epoxidharz, Nachleuchtpigmente (© Marianne Engel)
Die Ausstellung «Im Wald» im Kunsthaus Grenchen ist kein Ersatz für einen Spaziergang durch diesen faszinierenden und vielschichtigen Natur- und Kulturraum. Und doch absolut sehenswert.
Der Wald ist tief in unser kollektives Bewusstsein eingeschrieben. Denn wir kennen den Wald nicht nur als romantisch überhöhten Ort – wie er in der Kunst häufig dargestellt wurde –, unsere Bilder über diesen imaginierten wie reellen Ort reichen bis zurück in unsere Kindheit. Wie viele Märchen sind doch im Wald beheimatet. Unsere Idee von Wald ist von Gegensätzen geprägt: Von der Vorstellung unberührter, friedlicher und stiller Natur, über einen magisch aufgeladenen Ort bis hin zu einem unheimlichen Territorium, in dem Ängste das Sagen haben. Vertrautes und Fremdes begegnen sich im Topos des Waldes. Vielmehr als Natur seien Landschaften in erster Linie kulturelle, also konstruierte Orte, hält Simon Schama in seinem epochalen Werk «Landscape and Memory» fest. Darin widmet der amerikanische Geisteswissenschaftler dem Wald ein längeres Kapitel. Und er zeigt darin, dass der Mythos Wald auch zu propagandistischen Zwecken missbraucht werden kann. Der Wald ist aber heute nicht zuletzt aus wissenschaftlicher Perspektive zu einem Ort geworden, an dem Hoffnung und Schrecken zusammenkommen. Für die Klimakrise spielt der Wald keine untergeordnete Rolle: Bäume absorbieren CO2, sie tragen (oder könnten) einen wichtigen Beitrag leisten im Kampf um das Überleben unseres Planeten. Doch Rodungen und Brände (solche, die aufgrund der Klimaerwärmung entstehen oder gezielt gelegt werden) zerstören diesen wichtigen Lebensraum immer mehr. Im Wald verdichten sich Geschichte und Gegenwart.
«Captured #7» von Teresa Chen verweist auf die unheimlichen Seiten des Waldes. (© Teresa Chen)
Dass der Wald auch in der zeitgenössischen Kunst ein Thema ist, erstaunt daher nicht. Das zeigen auch die Arbeiten von elf Schweizer Künstler*innen, die auf Einladung von Claudine Metzger ihre Werke derzeit im Kunsthaus Grenchen zeigen. Die Gruppenausstellung «Im Wald» versammelt Werke von Kunstschaffenden, die sich dem Thema des Waldes auf künstlerische Art und Weise nähern. Der Wald als Ort des Unheimlichen, der ungestörten Natur und Idylle wird genauso thematisiert wie auch der Wald als Lebensraum und Wirtschaftsfaktor. Im neuen Teil des Kunsthauses (2008 durch das Solothurner Büro ssm architekten erstellt) zeigen sich die Waldarbeiten vornehmlich von ihrer dunklen Seite. Etwa in den Kohlezeichnungen und verkohlten Baumstrünken des Tessiner Künstlers Luca Mengoni.
Ein «anderer» Wald: «Wälder und Verwandtes II (Nr. 4)» von Esther van der Bie (© Esther van der Bie)
Schwarz sind auch die Stelen aus Tropenholz von Julian Charrière, bei denen man erst bei genauerem Hinschauen die eingravierten Zeichnungen entdeckt. Die Arbeiten vermitteln den Eindruck, als seien sie Überreste einer Katastrophe oder archäologische Fundstücke einer untergegangenen Zivilisation. «To Observe Is To Influence» lautet der Titel dieser Werkserie des Schweizer Künstlers: Ja, schon Beobachtung kann einiges bewirken, denn dort kann im Idealfall Veränderung beginnen. Der Schüler von Olafur Eliasson reist wiederholt in entlegene Gebiete und dokumentiert mit seinen Arbeiten den Einfluss des Menschen auf die Erde. Im alten Teil des Museums ist Charrière auch mit dem eindrücklichen Video «Ever Since We Crawled Out» vertreten; dort können wir bis fast an die Schmerzgrenze das Fällen von Bäumen erleben. Andere Werke wie etwa die Fotografien von Teresa Chen fokussieren eher auf botanische oder zoologische Aspekte und machen die Komplexität und Vielfalt verschiedener Waldlebewesen erfahrbar. In den fluoreszierenden Kunstharzpilzen und Fotografien von Marianne Engel begegnen wir der magischen Seite des Waldes. Als Wissenschaftler betätigt sich Markus Maeder mit seiner audiovisuellen Installation, für die er Föhren verkabelt hat. Das knisternde Geräusch, das wir hören, stammt vom Wasser, das durch den Baum fliesst. Das sinnliche Erfahrbarmachen des Lebens eines Baumes kann ein erster Schritt sein, diese Waldbewohner anders zu beurteilen. Und plötzlich blicken wir mit Alex Hanimann dem Wolf direkt in die Augen.