Jaguar als Städteplanungs-Mäzen

Manuel Pestalozzi
14. novembro 2018
So könnte eine Autobahn-Raststätte der Zukunft aussehen. Bild: Jaguar Land Rover

Unter dem Titel «Die elektrifizierte automobile Zukunft und ihre Beziehungen zur Architektur» trafen sich anfangs November das Jaguar Design und eine Gruppe von RIBA-Architekten, Stadtplaner, Bauträger und Infrastrukturexperten im Mayfair-Showroom von Jaguar. Dort wurden Ideen für urbane und elektrifizierte Infrastrukturen der Zukunft vorgestellt.
 
Vier Modelle thematisierten neue Nutzungsmöglichkeiten für Autobahn-Raststätten und grosse Parkhäuser sowie Wege zu komplett emissionsfreien Grossstädten und deren Vernetzung mit wiederbelebten Industriebrachen. Die Entwürfe verantworten der Jaguar Design Direktor Ian Callum, Ehrenmitglied des Royal Institute of British Architects (RIBA), und das Architekturbüro Barr Gazetas aus London.
 

Vision für den Stanley Dock in Liverpool. Bild: Jaguar Land Rover

Umsteigeort
Der Entwurf «Electric City – Belebung von Industriebrachen» befasst sich mit dem Stanley Dock in Liverpool, einer postindustriellen Brachfläche am Fluss Mersey. Das 1901 dort errichtete Tabakwarenhaus gilt bis heute als das grösste aus Backstein errichtete Warenhaus der Welt und ist denkmalgeschützt. In den 1980er-Jahren verfiel es jedoch immer mehr, Symbol einer untergegangenen Industrie und des wirtschaftlichen Niedergangs. Die Visualisierung zeigt das Hafengebiet der Beatles-Stadt als pulsierenden Ort – mit Freitzeitangeboten auf dem Wasser, Park- und Lademöglichkeiten für Elektroautos und als Umsteigeort für die «letzte Meile» bis in die vom Autoverkehr komplett befreite Innenstadt. Ein reizvolles Szenario für Industriebrachen im ganzen Land, die nicht nur sich selbst, sondern auch die Städte, auf deren Gebiet sie liegen, neu beleben und verjüngen.

Die «Electric Future» sieht Londons Himmel voller Drohnen. Bild: Jaguar Land Rover

Neue Infrastruktur
​Die Vision «Electric Future» präsentiert die heute noch von Schadstoffen stark belastete City von London als sauberere und gesündere Metropole. Eine neue Infrastruktur in Verbindung mit Elektrofahrzeugen schafft mehr Raum für Vegetation und Grünflächen. Auch alle anderen Städte des Landes sind in dieser Utopie energiewirtschaftlich autark und versorgen elektrisch angetriebene Fahrzeuge – zu Wasser und in der Luft – mit aus Solar- und Gezeitenenergie gewonnenem Öko-Strom.

Der umgenutzte NCP Car Park in Londons West End verkörpert die Zukunft. Bild: Jaguar Land Rover

Parkhaus-Neuinterpretation
Als Vorlage für « Tomorrow – das Parkhaus der Zukunft» diente eines der bekanntesten mehrstöckigen Parkhäuser des Vereinigten Königreichs: der NCP Car Park an der Welbeck Street (nördlich Oxford Street) in Londons West End. Die Struktur und Aussenfassade des 1970 fertiggestellten Gebäudes symbolisiert eine Ära des Verbrauchs fossiler Brennstoffe. Der Plan für morgen sieht vor, dieses und ähnliche Parkhäuser zu Ladezonen für Bewohner oder Pendler auszubauen, die keine Möglichkeit haben, ihr Elektroauto in der heimischen Garage aufzuladen. Hier bietet sich ihnen die Gelegenheit, ihr Auto – mit naher Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr – über Photovoltaikanlagen mit CO2-freiem Solarstrom mitten in London zu «betanken». Zugleich könnten Teile des Gebäudes für Geschäfte und Freizeiteinrichtungen freigemacht und zusätzlich das Dach begrünt werden.

Karawanserei 
Der vierte Beitrag, «Today», zeigt Überlegungen, wie eine Autobahn-Raststätte aussehen könnte (siehe Einstiegsbild). Für dieses Beispiel wählten Callum und das Architektenteam die ursprünglich 1965 an der englischen Autobahn M6 eröffnete Raststätte Forton Service, damals mit einem gehobenen Restaurant und einem Sonnendeck durchaus ein Beispiel für Modernität. Heutige Raststätten sind oft ein wenig einladendes Konglomerat aus kommerziellen Gebäuden, die eine laute und schadstoffreiche Autobahn bedienen. Im Zuge der Elektromobilität lockt sich neben weniger Lärm und Verschmutzung auch die Möglichkeit eines längeren Verweilens (beispeilsweise während des langsamen Aufladens der Batterie). Daher bieten künftige Raststätten eine grössere Zahl an Annehmlichkeiten und Services, wie Hofläden, Fitnessstudios, Swimmingpools und Restaurants. Auch Menschen aus dem lokalen ländlichen und urbanen Umfeld sollen dazu ermuntert werden, solche Stationen nicht mehr nur zum Tanken oder schnellen Zwischenstopp anzusteuern – sei es in der Freizeit, bei der Arbeit oder zum Einkaufen. So sollen die Raststätten das vergessene Modell der alten Karawanserei neu beleben.

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